Interview mit Leutheusser-Schnarrenberger "Wir brauchen keinen Therapeuten"

Berlin (RP). War unter Kohl und Genscher alles besser? Können Merkel und Westerwelle nicht miteinander? Warum funktioniert das Wunschbündnis Schwarz-Gelb nicht? Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist das einzige Regierungsmitglied, das schon in den Neunzigern in einem Kabinett von Union und FDP saß. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt sie die Unterschiede und wie es besser werden kann.

Diese Streitthemen beherrsch(t)en Schwarz-Gelb
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Foto: AP

Schwarz-Gelb wirkt schon nach 100 Tagen ermattet. Spielen sich die angeblichen Wunschpartner Union und FDP ihre Zuneigung nur vor?

Leutheusser-Schnarrenberger Nein, wir brauchen keinen Paartherapeuten oder Mediatoren. Die Koalition braucht einfach nur einen klaren Blick auf die Probleme und eine schrittweise Umsetzung unserer Politik.

Was ist der Unterschied zwischen Schwarz-Gelb in den 1990er Jahren und heute?

Leutheusser-Schnarrenberger Ich habe seit 1990 im Bundestag und von 1992 bis 1996 als Bundesministerin eine schwarz-gelbe Bundesregierung erlebt, die vertrauensvoll und professionell miteinander gearbeitet hat, trotz aller Differenzen. Das war eine gewachsene Koalition, man kannte sich und hatte seit 1982 einige Höhen und Tiefen durchstanden.

Eingespielt wie ein altes Ehepaar?

Leutheusser-Schnarrenberger Jedenfalls war ein Grundvertrauen da.

Fehlt das denn heute?

Leutheusser-Schnarrenberger Es entwickelt sich vielleicht erst noch. Union und FDP hatten in den Neunzigern mit der Wiedervereinigung ein zentrales Politikprojekt, das gemeinsam durchgezogen wurde. Das hat zusammengeschweißt, auch wenn gegen Ende der Neunziger die Gemeinsamkeiten spürbar nachließen.

Wo ist das schwarz-gelbe Projekt 2010?

Leutheusser-Schnarrenberger Nach mehr als elf Jahren ohne gemeinsame Regierungserfahrung bedarf es einer gewissen Zeit, um sich als politische Partner zu finden. Union und FDP müssen Koalition üben. Das ist normal. Am Ende werden wir an unseren Ergebnissen gemessen, nicht an den Schlagzeilen.

Ist es vielleicht auch eine persönliche Sache. War der Umgang zwischen Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher besser?

Leutheusser-Schnarrenberger Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher haben als professionelles Duo gut funktioniert. Viele Streitfragen wurden aber in interner Runde geklärt. Daran müssen wir uns orientieren. Wieder mehr miteinander, statt übereinander reden, ist mein Ratschlag. Dann wächst ein Bündnis auch zusammen.

Hält das Band Merkel/Westerwelle überhaupt vier Jahre?

Leutheusser-Schnarrenberger Davon gehe ich aus. Die beiden haben doch schon in der Opposition viele Jahre gut zusammengearbeitet.

Trotzdem: Ist das noch eine Wunschkoalition?

Leutheusser-Schnarrenberger Regierungsarbeit ist kein Wunschkonzert. Wir sind eine Vernunftkoalition von eigenständigen Parteien, die gewollt wurde. Es geht jetzt aber auch darum, dass sich alle an den Koalitionsvertrag halten. Vertragstreue ist Voraussetzung für das Funktionieren der schwarz-gelben Koalition.

Man hat eher das Gefühl, dass sich die Union von der FDP absetzt und mit den Grünen liebäugelt.

Leutheusser-Schnarrenberger Ich bin überzeugt, dass Frau Merkel Schwarz-Gelb will. Übrigens auch in NRW, wenn es die Mehrheiten zulassen. Frau Merkel hat sich im Wahlkampf und in den anschließenden Koalitionsverhandlungen deutlich geäußert und ich glaube ihr. Für mich ist die Kanzlerin eine verlässliche Partnerin.

Ist Schwarz-Gelb eine Reformkoalition?

Leutheusser-Schnarrenberger Natürlich. Weiter so ist nicht unser Auftrag. Am Ende der Legislaturperiode muss das Ergebnis einer Reformkoalition stehen. Die Herausforderungen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise erfordern mutige Reformen etwa bei der Bankenaufsicht oder der Regulierungen der Finanzmärkte. Auch in der Rechts- und Innenpolitik korrigieren wir einige falsche Beschlüsse der Vorgängerregierung, zum Beispiel die Internetsperren. Die FDP ist der Motor für diese Veränderungen.

FDP-Chef Westerwelle läutet offenbar mit seinem Kampf für die Leistungsträger wieder altbekannte Wahlkampfrituale der FDP ein?

Leutheusser-Schnarrenberger Zunächst: Es gibt kein Verbot der Profilierung für einen Koalitionspartner. Aber klar ist, dass die FDP nicht mehr als Ein-Thema-Partei wahrgenommen werden will. Wir Liberale haben überzeugende Konzepte für die Bildungs-, Bürgerrechts- und Gesellschaftspolitik. Diese werden wir auch in der Öffentlichkeit wieder stärker herausstellen.

Braucht Guido Westerwelle personelle Unterstützung?

Leutheusser-Schnarrenberger Wir sind ein Team an der Spitze. Da gibt es auch keinen Maulkorb für FDP-Bundesminister oder Vize-Parteivorsitzende. Das sieht der Parteivorsitzende genau so.

Zwischen Ihnen und ihrem thematischen Widerpart, CDU-Innenminister Thomas de Maiziere, läuft die Zusammenarbeit anscheinend reibungslos. Was machen Sie anders?

Leutheusser-Schnarrenberger Wir versuchen uns regelmäßig abzustimmen. Wir sagen uns aber auch, wo Unterschiede sind und wo etwas nicht zusammen passt. Aber wir gehen erst an die Öffentlichkeit, wenn es auch eine Lösung gibt.

Das Interview führte Michael Bröcker.

(pst)
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