Die Deutschen sind impfmüde Hausärzte warnen vor Infektwelle im Winter
Berlin · Das System befinde sich schon jetzt am Anschlag: Die Hausärzte befürchten, dass die Praxen in der bevorstehenden Grippewelle an ihre Grenzen stoßen könnten. Ein Blick nach Australien zeige dabei, dass viele Fälle zu erwarten sind.

Angepasster Corona-Impfstoff – wer sich boostern lassen sollte
Die Hausärzte in Deutschland haben vor einer Infektwelle gewarnt, die die Arztpraxen an ihre Grenzen bringen könnte. Es sei davon auszugehen, dass es in der kalten Jahreszeit eine „Grippewelle geben wird, die wir deutlich spüren werden“, sagte Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, in Berlin. Beier verwies dabei auf das zuletzt beobachtete Geschehen in Australien. Das Land auf der Südhalbkugel hat einen Winter mit vielen Grippefällen hinter sich. Dabei zeige die Erfahrung, dass es zwischen dem Verlauf der Infektwellen in Australien und bei uns häufig einen Zusammenhang gebe.

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Nicola Buhlinger-Göpfarth sieht das ähnlich. Die erste stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbands bezeichnete die Arztpraxen im Land als „Maschinenraum der Versorgung“. Das Problem dabei: Die Maschinen laufen aus Sicht der Ärzte zunehmend heiß. Mit Beginn des Herbstes droht nun eine Überlastung.
Erschwerend komme hinzu, dass in Deutschland eine gewisse Impfmüdigkeit zu beobachten sei. Die Nachfrage nach der Corona-Impfung bezeichneten die Ärzte als steigerungsfähig. Die Mediziner empfahlen Risikogruppen, sich immunisieren zu lassen, auch gegen die Grippe. Helfen könnte aus Sicht der Ärzte eine Kommunikationskampagne, die die Menschen informiere. Es sei wichtig zu verdeutlichen, dass Corona- und Grippeimpfstoffe zwar nicht vor einer Ansteckung, wohl aber vor schweren Verläufen schützten, betonten die Hausärzte. Denn hohe Fallzahlen könnten die ambulanten Praxen an ihre Grenzen bringen.
Die zu befürchtende Krankheitswelle in diesem Winter würde dabei ein System treffen, das ohnehin mit strukturellen Problemen zu kämpfen hat. Wie die Hausärzte mitteilten, gebe es schon jetzt etwa 5000 unbesetzte Hausarztstellen. Der Anteil der Hausärzte, die älter als 60 Jahre sind, liege zudem bei mehr als 35 Prozent. „Die Versorgung ist am Kippen und wird nur noch durch unsere Bereitschaft, immer wieder Sonderschichten zu schieben, aufgefangen“, sagte Buhlinger-Göpfarth. Auch Engpässe in der Versorgung mit Fiebersäften und Antibiotika würden die Ärzte weiterhin beschäftigen.
Bereits zu Beginn der Woche hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gesagt, er erwarte in diesem Winter sehr viele Infektionen mit dem Coronavirus. Zugleich erklärte er, dass keine Maßnahmen wie etwa eine Maskenpflicht geplant seien. Die Corona-Infektion bleibe aber „keine Kleinigkeit für Menschen über 60 oder Menschen mit Risikofaktoren“, betonte Lauterbach. Frank Bergmann, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, sagte unlängst, dass insbesondere zum Schutz vulnerabler Gruppen Masken im Herbst und Winter medizinisch wieder sinnvoll werden könnten – zum Schutz vor Corona, aber auch vor anderen Infektionen.
Die Ethikerin Christiane Woopen warnte derweil vor verfrühtem Alarmismus. Zwar sei es richtig, dass man das Coronavirus weiterhin im Blick behalte, betonte die Wissenschaftlerin. „Dass man in der Öffentlichkeit aber mit Reizworten wie Maskenpflicht wieder alte Wunden aufreißt, halte ich für schädlich – erst recht, da die Coronapandemie bisher nicht gründlich aufgearbeitet wurde“, erklärte Woopen im Gespräch mit unserer Redaktion. Weiter betonte sie: „Wenn man traumatische Erfahrungen aus einer nicht gut aufgearbeiteten Pandemie immer und immer wieder wachruft, schadet das der Gesellschaft.“