Winfried Kretschmann Der rechte Grüne

Berlin · Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist für einen dritten Asylkompromiss, wenn Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Nach den Silvester-Ereignissen hat er die Tonlage verschärft.

 Winfried Kretschmann posiert beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in Heidelberg für ein Selfie mit einem Mitarbeiter der Firma "European Homecare".

Winfried Kretschmann posiert beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in Heidelberg für ein Selfie mit einem Mitarbeiter der Firma "European Homecare".

Foto: dpa

Könnten die Menschen in Baden-Württemberg am 13. März den neuen Ministerpräsidenten direkt wählen, wäre der bisherige wohl auch der künftige Regierungschef. Winfried Kretschmann führt bei den Beliebtheitswerten mit weitem Abstand vor seinem ärgsten Konkurrenten, dem CDU-Kandidaten Guido Wolf. Dass der Grüne gegen Wolf auch das Wahl-Duell heute Abend im Stuttgarter Theaterhaus gewinnen wird, daran haben Wahlbeobachter wenig Zweifel.

Das liegt nicht nur an seiner Person, der unaufgeregten Art und der bodenständigen Landesvater-Attitüde, die zu ihm passt wie maßgeschneidert. Es ist auch sein pragmatischer Kurs in der Flüchtlingskrise, den viele schätzen. Kretschmann lässt sich nicht wie CSU-Chef Horst Seehofer zu populistischen Schnellschüssen hinreißen, und jeden Versuch, das Grundrecht auf Asyl anzutasten, wehrt er entschieden ab. Aber er neigt auch nicht zu idealistischer Schönfärberei wie viele in seiner Partei. Sein Asylkurs hat mehr gemein mit dem von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als mit jedem Grünen-Bundesparteitag.

Und er ist mächtig. In der Asylpolitik der Grünen gibt seit zwei Jahren Stuttgart den Ton an, nicht Berlin. Kretschmann hat bisher schon zwei Bund-Länder-Asylkompromisse im Bundesrat ermöglicht, und er wird es auch noch ein drittes Mal tun, vorausgesetzt er ist bei der nächsten Bundesratsentscheidung zur Asylpolitik noch Ministerpräsident. Er sei gesprächsbereit, wenn Schwarz-Rot auch die nordafrikanischen Länder Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklären wolle, sagte Kretschmann gestern in Stuttgart. "Ich bin dafür offen, wie ich es immer war."

In der Bundespartei sind sie darüber nicht glücklich, aber das ist Kretschmann egal. "Zunächst steht erstmal die Frage an, ob Marokko oder Algerien die Menschen wieder zurücknehmen", sagte Parteichef Cem Özdemir. "Die große Koalition muss aufhören, mit ständig neuen Gesetzesideen Augenwischerei zu betreiben. Was nützen Gesetzesverschärfungen, die nicht umsetzbar sind?" Es gelte, funktionierende Rücknahmeabkommen zu verhandeln. Doch Özdemir lässt Kretschmann eine Hintertür offen: "In unserem föderalen System entscheiden die Landesregierungen im Einzelfall selbst. Da braucht es keine ,freie Hand´ der Bundespartei. Niemand verschließt sich kategorisch zukünftigen Gesetzesänderungen."

Wenigstens bis zum Wahltag am 13. März wird kein Spitzengrüner Kretschmann härter kritisieren. und auch danach wird er wie bei den ersten beiden Asylkompromissen sein Ding durchziehen: Er weiß, dass ihm viele der grün-mitregierten Länder dann wieder folgen werden, weil auch sie alles tun müssen, um die Migrantenzahlen zu verringern. Bei den bisherigen Asylkompromissen konnte Kretschmann für die Grünen zudem einiges erreichen - etwa legale Einwanderer-Kontingente für Menschen aus dem Balkan oder den schnelleren Arbeitsmarktzugang für anerkannte Flüchtlinge.

Auf die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht hat Kretschmann mit Härte reagiert, auch Stuttgart war mit 17 Sexualdelikten einer der traurigen Schauplätze. "Wer straffällig geworden ist, hat sein Bleiberecht verwirkt", sagte er. Jetzt hat seine Landesregierung entschieden, Flüchtlinge aus Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten und Libyen nicht mehr an die Landkreise zu verteilen, sondern in den Erstaufnahmezentren zu lassen. Dort habe das Land diese "teilweise problematische Klientel besser im Blick", sagte der Chef der zuständigen Lenkungsgruppe. Mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vereinbarte Kretschmann, die Asylverfahren der Nordafrikaner bevorzugt zu bearbeiten, damit sie schneller ausgewiesen werden können. Die Zahl der Abschiebungen hat das Land deutlich hochgefahren. Und Kretschmann lässt Innenminister Reinhold Gall (SPD) freie Hand für einen Fünf-Punkte-Plan, dessen Essenz ist, die Polizeipräsenz und die Videoüberwachung auf neuralgischen Plätzen drastisch zu erhöhen.

CDU-Kandidat Wolf wird heute im Wahl-Duell große Probleme haben, dem Grünen einen zu laschen Flüchtlingskurs vorzuwerfen.

(mar)
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