EU-Beschlüsse zu Mobilität und Energie Wie weit der Verbrenner-Kompromiss wirklich reicht

Brüssel · Nach wochenlanger Blockade durch Deutschland und weitere Länder hat der EU-Ministerrat den letzten formalen Haken hinter das Aus für Verbrenner ab 2035 gemacht. Es ist jedoch nur Teil von Kompromissen und neuen Konflikten.

 Auspuff kurz nach dem Start eines Kleinlasters.

Auspuff kurz nach dem Start eines Kleinlasters.

Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

Das Ratsgebäude in Brüssel bildet an diesem Dienstag Ende März 2023 die Bühne für ein besonderes Déjà-Vu. Deutschland sagt Ja zum Verbot für Verbrennermotoren in neuen Autos ab 2035 - nachdem die Bundesregierung eine Ausnahme für klimaneutrale E-Fuels hineinverhandelt hat. So war es schon einmal am 29. Juni vergangenen Jahres. Da sagte Deutschland Ja zum Verbot für Verbrennermotoren in neuen Autos ab 2035 - nachdem die Bundesregierung in der nächtlichen Sitzung in Luxemburg schon einmal eine Ausnahme für E-Fuels in die „Erwägungsgründe“ des Gesetzes hineinverhandelt hatte. Damals bekam die Kommission den Auftrag, einen Vorschlag dafür zu machen, wie Spezialfahrzeuge außerhalb der üblichen Fahrzeugflotten auch nach 2035 noch zugelassen werden können, wenn sie mit E-Fuels fahren.

Dazwischen liegen intensive Verhandlungen der EU-Gesetzgebungsorgane, ein weiterer Kompromiss ohne Änderungen bei diesen zentralen Punkten, eine aufgeregte Parlamentsdebatte, an deren Ende der Kompromiss bestätigt wird - und eine Überraschung, als auf Vorstoß des deutschen Verkehrsministers Volker Wissing (FDP) die nötige Bestätigung durch den Rat ausgesetzt wird, weil außer Deutschland auch Italien, Polen, Bulgarien, später auch Tschechien und Österreich kurz vor dem formalen finalen Akt mehr Ausnahmen wollen.

Es folgt ein wochenlanges Hin und Her zwischen dem zuständigen EU-Klimakommissar Frans Timmermans und Wissing. Als Ergebnis verkündet der deutsche Minister das „Aus für das Verbrenner-Aus“, erläutert Timmermans, die Richtung sei klar, dass 2035 neue Pkw „emissionsfrei“ sein müssen. Schon diese unterschiedliche Interpretation wirft neue Fragen auf. Die konkrete Umsetzung des Kompromisses tut es erst Recht.

Timmermans hat mit Wissing nämlich eine neue Typenklasse von Autos ausgehandelt. Das sollen solche sein, für die die Industrie den Nachweis erbringt, dass sie nicht starten, wenn sie mit fossilem Sprit betankt sind. Nur nach E-Fuels-Füllung setzen sie sich in Gang. Dafür dürfte eine neue elektronische Überwachungssoftware nötig sein, die das Kunststück fertig bringen muss, die am Ende chemisch kaum unterscheidbaren Spritsorten zu erkennen. Herkömmliche Benzin- und Dieselsorten hinterlassen reichlich CO2 am Auspuff, genauso wie E-Fuels. Mit dem Unterschied, dass diese bei ihrer energie-intensiven Herstellung CO2 aus der Atmosphäre gezogen haben, sodass sie unterm Strich als nahezu klimaneutral bezeichnet werden können.

Wissing gab sein neuerliches Ja erst, als Timmermans ihm versichert hatte, dass die Kommission sich zu einer Festschreibung in einem so genannten Delegierten Rechtsakt verpflichte. Hier entsteht nun ein gewaltiges Fragezeichen. Bezieht sich diese Regelung nur auf Spezialfahrzeuge wie Feuerwehrautos, dürfte es zwar rechtlich keine Probleme geben - faktisch hätte Wissing jedoch nichts erreicht. Kein normaler Autofahrer hätte dann etwas davon. Bezieht sich die Regelung aber auf eine größere Zahl von Fahrzeugen, kollidiert sie automatisch mit dem am Dienstag endgültig beschlossenen Gesetz. Denn das lässt keinen Raum für Ausnahmen innerhalb der üblichen Flotten. Sowohl der Rat als auch das Parlament können einen Delegierten Rechtsakt mit Mehrheit verhindern. Das Parlament scheint dazu bereit - die Grünen kündigten auch schon eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof an, weil der Kommission die Rechtsgrundlage fehle.

CDU-Verkehrsexperte Jens Gieseke sieht in der Entscheidung eine „herbe Niederlage“ für Wissing. Sowohl die Grünen als auch Timmermans würden sich „die Hände reiben und das Ende des Verbrenners feiern“. Letztlich sei alles nur eine „wirkungslose Show für die Öffentlichkeit“ gewesen. Sogar Wissings eigene liberale Fraktion in Brüssel sei mehrheitlich gegen eine Anerkennung von E-Fuels gewesen. Das zeige, wie es um die Mehrheit bei der Parlamentsabstimmung zu einem Delegierten Rechtsakt bestellt sein werde.

Die Verzögerung hat jedoch zwei bemerkenswerte Nebeneffekte zur Folge. Denn in der Zwischenzeit konnten die Verhandlungen über die für ein Funktionieren des Verbrenner-Aus nötige Lade-Infrastruktur erfolgreich abgeschlossen werden. In den frühen Morgenstunden vor der Verbrenner-Entscheidung einigten sich Parlament, Rat und Kommission darauf, bis 2025 auf Hauptverkehrsachsen überall in Europa mindestens alle 50 Kilometer eine Ladesäule für E-Autos zur Pflicht zu machen. Bis 2030 gilt das dann flächendeckend für die gesamte EU.

Die andere Folge besteht in der Befürchtung, dass Wissings Stopp in letzter Minute Schule machen könnte. So befinden sich die Verhandlungen über die Erneuerbare-Energie-Novelle in der Schlussphase. Noch wollen Kommission und Parlament bis 2030 insgesamt 45 Prozent der gesamten Energie aus Erneuerbaren produziert wissen, die Mitgliedstaaten lediglich 40 Prozent. Eine Parlamentsinitiative will eine Lösung, wonach die Mitgliedstaaten für 40 Prozent verantwortlich sein sollen, die EU selbst für weitere fünf Prozentpunkte.

Doch Frankreich beharrte auch am Dienstag bei der Beratung der Gas- und Wasserstoff-Strategie auf mehr Berücksichtigung von „kohlenstoffarmen Energien“. Das ist Atomstrom. Der soll auf Geheiß Frankreichs bei den Vorgaben für Erneuerbare angerechnet werden können. Noch hat Paris dafür keine Mehrheit. Deshalb fürchtet Grünen-Klimaexperte Michael Bloss bereits, dass es bei den Erneuerbaren ein weiteres Déjà-Vu geben könnte - und Frankreich am Ende „den Wissing macht“.

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