Analyse Wie viel Ludwig Erhard steckt noch in der CDU?

Berlin · Mindestlohn, Mietbremse, Pflegebeitrag – die Kanzlerin ist für die große Koalition zu allen Kompromissen bereit. Von den freiheitlichen Ideen Ludwig Erhards ist sie weiter entfernt denn je.

Mindestlohn, Mietbremse, Pflegebeitrag — die Kanzlerin ist für die große Koalition zu allen Kompromissen bereit. Von den freiheitlichen Ideen Ludwig Erhards ist sie weiter entfernt denn je.

Der Wahlsieg wird zu einem Problem für die CDU. Weil die FDP aus dem Bundestag gewählt wurde und die Grünen die Oppositionsbänke vorziehen, bleibt die SPD. Und die lässt sich ihren erneuten Eintritt in die große Koalition teuer bezahlen. Der Mindestlohn soll ebenso kommen wie eine Beitragserhöhung in der Pflegeversicherung. Der Zeitarbeit, einst von der SPD im Zuge der Hartz-Gesetze in die Freiheit entlassen, sollen wieder Fesseln angelegt werden. Und nun hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch das Ziel der Schuldentilgung aufgegeben, mit der er 2015 beginnen wollte.

Die CDU wandelt sich unter ihrer Chefin Angela Merkel mehr und mehr zu einer größen Ausgabe der SPD. Mancher fragt sich: Was hat diese Partei noch mit den Ideen eines Ludwig Erhard zu tun? Wie viel von seinem Erbe hat sie mittlerweile durchgebracht?

Für die Deutschen ist der Wirtschaftsminister (1949 bis 1963) der Mann, der das Wirtschaftswunder machte. Doch von einem Wunder wollte Erhard schon damals nicht sprechen. Er betonte, in der Wirtschaft gehe es nicht mit übernatürlichen Kräften zu. Der Aufstieg in den Westzonen sei vielmehr das Ergebnis der richtigen Anreize, mit denen das Potenzial der Volkswirtschaft zur Entfaltung gebracht worden sei. "Anreize", lautete das Schüsselwort. Anreize richtig zu setzen, galt als zentrale Aufgabe des Staates. Denn wer die Volkswirtschaft anreizt, stetig zu wachsen, macht die beste Sozialpolitik. Frei nach dem Motto: "Die Flut hebt alle Boote". Sie bringt "Wohlstand für alle", wie Erhards Klassiker hieß.

Der Staat als Kartellwächter

Von Sozialpolitik, die massiv umverteilt und negative Anreize für die Leistungsbereitschaft von Unternehmern und Arbeitnehmern setzt, wollte Erhard dagegen nichts wissen. "Je freier die Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch", erklärte er 1953 auf einer Tagung, wie Philip Plickert in seinem Buch "Wandlungen des Neoliberalismus" berichtet. "Ich meine, dass der Markt an sich sozial ist, nicht dass er sozial gemacht werden muss", schrieb Erhard dem Nobelpreis-Träger Friedrich Hayek, der neben dem Ordoliberalen Walter Eucken zu seinen Ideengebern zählte.

Das hieß für Erhard nicht, dass der Staat nichts zu tun habe. Zu seinen zentralen Aufgaben gehört es, den Wettbewerb sich frei entfalten zu lassen — unbehindert vom Staat und von Kartellen, die von Schaden der Verbraucher sind. 1958 setzte der Minister das "Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen" durch, wenngleich es auf Druck der Industrie weniger scharf ausfiel als von ihm gewünscht. Bis heute wird der Staat als Kartellwächter dringend gebraucht: Kaffeeröster und Bierbrauer sprechen Preise ab, ThyssenKrupp schädigt Industriekunden mit Schienen-und Aufzugskartellen. Selbst erste Adressen wie Eon (Gas) und Henkel (Waschmittel) machten mit Absprachen Schlagzeilen.

Freier Wettbewerb ist wichtig, damit der Preismechanismus zum Segen aller wirken kann, forderte Erhard. Er hatte dabei vor Augen, wie die Planwirtschaft als alternative Organisationsform bei der Versorgung von Industrie und Verbrauchern versagt hatte.

Was würde Erhard sagen, wenn er sähe, wie die Großkoalitionäre die Preisbildung auf dem Arbeitsmarkt aushebeln? Die Baubranche hat sich seit langem der lästigen ausländischen Konkurrenz entledigt, indem sie Mindestlöhne vereinbart. Nun wird die CDU einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn mitmachen, der für Millionen eine Bezahlung oberhalb des Marktlohnes bedeutet. Derzeit verdienen hier (so das Institut der deutschen Wirtschaft) sechs Millionen Arbeitnehmer weniger als 8,50 Euro pro Stunde.

Warnung vor "kollektiver Zwangsversicherung"

Selbst auf dem Wohnungsmarkt will Merkel den Preismechanismus außer Kraft setzen. Anstatt hohe Mieten als Anreiz für die Erhöhung des Angebotes (sprich: für den Neubau von Wohnungen) wirken zu lassen, hat sich die Kanzlerin schon im Wahlkampf für eine Lieblings-Idee der Sozialdemokraten ausgesprochen: die Mietpreisbremse. Damit dürfte der Weg auch für diese anti-marktwirtschaftliche Regulierung frei sein.

Erst recht haben Merkels Pläne nichts mit Erhards Vorstellungen von sozialer Absicherung zu tun. Erhard ging schon die Dynamisierung der gesetzlichen Rente zu weit, die Konrad Adenauer 1957 gegen seinen Willen durchsetzte. Erhard hielt eine Grundabsicherung für das Alter für ausreichend und hatte (vergeblich) vor einer Ausweitung der "kollektiven Zwangsversicherung" gewarnt.

Heute würde Erhard verzweifeln. Schon 1995 wurde unter der CDU (Norbert Blüm war damals Sozialminister) die umlagefinanzierte Pflegekasse als weitere Säule der Sozialversicherung eingeführt. Die Sozialabgabenquote wurde bis heute auf fast 40 Prozent hochgetrieben. Bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen wird wohl eine erneute Anhebung des Pflegebeitrags herauskommen.

Es gab Zeiten, da war Angela Merkel noch ganz im Sinne Erhards und seiner Lehrer unterwegs. Sie wollte gar die soziale Marktwirtschaft programmatisch neu denken. Beim Leipziger Parteitag 2003 warb sie für das Merz'sche Bierdeckel-Steuersystem und die Kopfpauschale in der Krankenversicherung, womit die Abgaben-Belastung des Faktors Arbeit gesenkt werden sollte. Noch im Januar 2005 schrieb sie in einem Gastbeitrag: "Die Vorzüge des Wohlfahrtsstaates werden mehr denn je abgewogen gegen die daraus folgenden Probleme einer hohen Staatsverschuldung und einer Lähmung der wirtschaftlichen Antriebskräfte."

Als sie über diese Position die Bundestagswahl im September 2005 fast verlor, war Schluss mit dem Lob von Freiheit und Eigenverantwortung. Seitdem hat Merkel viel sozialpolitischen Unfug zugelassen, um nur ja Wähler oder Koalitionspartner nicht zu vergraulen. Die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I wurde erhöht, das Betreuungsgeld eingeführt. Nun folgen im Namen der großen Koalition weitere Fehler.

Erhards Lehrer Hayek hat schon 1960 messerscharf erkannt: "Es waren immer die Konservativen, die dem Sozialismus Zugeständnisse gemacht haben und ihm zuvorgekommen sind."

(RP)
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