Streitthema in Politik und Wissenschaft Wie viel Betreuung tut Kindern gut?

Berlin · Krippenplätze und Betreuungsgeld sorgen nicht nur in der Politik für Streit. Auch in der Wissenschaft gehen die Meinungen darüber weit auseinander, ab welchem Alter und in welchem Umfang eine Betreuung durch andere Personen als die eigene Mutter für Kinder gut ist.

Was kostet welche Kinderbetreuung?
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Foto: schierenbeck/gms

In einem Punkt sind sich die Forscher über kindliche Entwicklung einig: Die Bezugsperson des Kindes sollte sich "feinfühlig" verhalten und die Signale des Kindes achten, damit Urvertrauen und Bindung wachsen können. "Wenn sich seine Bezugspersonen feinfühlig verhalten, glaubt das Kind, dass diese Welt gut ist", sagte der bekannte Schweizer Kinderarzt und Fachbuchautor Remo Largo der Frauenzeitschrift "Brigitte".

Largo, dessen Werke bei vielen Eltern als Standard-Ratgeber für Erziehungsfragen bei allen Altersklassen im Regal stehen, beantwortet die Fragen nach frühkindlicher Betreuung sehr unideologisch. Als Vorbild nennt er Schweden. "Dort herrscht Wahlfreiheit. Die Eltern können in den ersten drei Jahren zu Hause bleiben, müssen es aber nicht." In Schweden gibt es Betreuungsgeld und ein gut ausgebautes Netz an Krippenplätzen.

Kinder brauchen mehr Bezugspersonen

Trotz seines Statements für ein Betreuungsgeld ist Largo der Ansicht, dass ein Kind mehrere Bezugspersonen braucht. "Und es braucht vor allem andere Kinder — jeden Tag für mehrere Stunden. Kleinkinder spielen gemeinsam das Leben durch, das ist ihre Hauptbeschäftigung. Das kann auch die beste Mutter nicht leisten." Der Schweizer Kinderarzt Largo verweist auch auf eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, die Krippen-Kindern einen überdurchschnittlichen Bildungserfolg attestiert. Doch an eben solchen Studien entzündet sich Streit.

Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) sagte unserer Zeitung: "Die Behauptung, die die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie aufstellte, wonach Krippen-Kinder höhere Chancen haben, später ein Gymnasium zu besuchen, ist weder verifizierbar noch haltbar." Dort sei völlig ausgeblendet, dass zum Zeitpunkt der Studie vor etwa zehn Jahren überdurchschnittlich viele Kinder aus Akademiker-Familien eine Krippe besucht hätten. "Die Tatsache, dass diese Kinder später ins Gymnasium kamen, lag vorrangig an dem bildungsaffinen Elternhaus."

Der aktuelle Familienbericht der Bundesregierung sieht die Frage, ob und in welcher Form sich die Betreuung von Kleinkindern außerhalb der eigenen vier Wände auf die Bildung der Kinder auswirkt, zweischneidig. Generell habe die Berufstätigkeit der Mutter einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder, meinen die Wissenschaftler, die im Auftrag der Bundesregierung den Bericht erstellt haben. Ein Wiedereinstieg innerhalb des ersten Jahres wirke sich allerdings negativ auf die Entwicklung aus, heißt es.

Von mütterlicher Berufstätigkeit profitierten vor allem Kinder von Alleinerziehenden und Familien mit niedrigem Einkommen. Bei Kindern aus der Mittel- und Oberschicht könne sich auch ein negativer Effekt ergeben — dadurch, dass dem Kind durch die außerfamiliäre Betreuung die Bildung und Erziehung durch seine gut gebildete und erziehungskompetente Mutter entginge. Das bayerische Staatsinstitut für Frühpädagogik rät, dass im Sinne eines guten Bindungsaufbaus zwischen Kind und Eltern die Betreuungszeit der Kleinsten nicht mehr als vier bis fünf Stunden am Tag betragen sollte.

Wo entwickeln sich Kinder besser?

Die wissenschaftlichen Befunde sind in dieser Frage allerdings nicht eindeutig. So widerspricht wiederum eine Studie im Auftrag des thüringischen Bildungsministeriums der These, dass sich die Kinder möglicherweise doch zu Hause besser entwickeln. Die Thüringer gaben die Studie in Auftrag, nachdem dort ein landesweites Betreuungsgeld eingeführt wurde und dadurch die Quote der Kleinkinder in den Kitas sank. Die Wissenschaftler beobachteten, dass insbesondere bei Mädchen die kognitiven Fähigkeiten und auch die Alltagskompetenzen zurückgegangen seien.

Aus Sicht der Eltern ist das Durcheinander der wissenschaftlichen und politischen Meinungen schwierig, da es vor allem zur Verunsicherung beiträgt. Der Schweizer Kinderarzt Largo sieht eine Ursache für die dogmatische Diskussion in Deutschland im "Muttermythos". Den Streithähnen über das Für und Wider der Kinderbetreuung wirft er vor: "Bei der ganzen Debatte wird ja sehr häufig vom Kindswohl gesprochen — oft ohne das Wohl des Kindes zu meinen. Und auch ohne zu fragen: Was ist gut für die Mutter?"

(qua)
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