SPD-Chef spricht über seine Kindheit Wie Sigmar Gabriel unter seinem Nazi-Vater litt

Berlin · Als Politiker hat Sigmar Gabriel einiges erreicht: Ministerpräsident von Niedersachsen, Bundesumweltminister, Parteichef. Doch auf dem SPD-Politiker lastet eine schwierige Kindheit – mit einem überzeugten Nazi-Vater, der ihn schlug und sogar entführte.

September 2012. Der Zukunftskongress der SPD
9 Bilder

September 2012. Der Zukunftskongress der SPD

9 Bilder

Als Politiker hat Sigmar Gabriel einiges erreicht: Ministerpräsident von Niedersachsen, Bundesumweltminister, Parteichef. Doch auf dem SPD-Politiker lastet eine schwierige Kindheit — mit einem überzeugten Nazi-Vater, der ihn schlug und sogar entführte.

Es ist das erste Mal, dass der SPD-Chef über seinen Vater spricht, und das in aller Ausführlichkeit. Im Interview mit der "Zeit" spricht er über die Jahre seiner Jugend, die ihn enorm geprägt haben dürften. Denn Gabriel wuchs in den ersten Jahren mit einem Vater auf, der bis zu seinem Tod ein überzeugter Nazi war. Walter Gabriel, der im vergangenen jahr starb, hinterließ seinem Sohn Akten, Karteikästen und rechtsextreme Zeitschriften, wie es in dem Bericht heißt.

Bei den Gesprächen mit der Zeitung zeigt Gabriel das Material seines Vaters, die Bücher, in denen der Mann akkurat Stellen unterstrichen hatte, die Karteikarten mit rechtsextremen Gedankengut, die er an viele Menschen, auch an seinen Sohn, schickte. Die "Zeit" schreibt von einem "in Wut erstarrten Vater".

Prügel und verschenktes Spielzeug

Gabriel selbst erfährt demnach erst mit 18 Jahren, dass sein Vater ein Nazi war. Er sei damals Bundeswehrsoldat gewesen und habe seinen Vater, zu dem er damals kaum noch Kontakt gehabt hätte, in Unifrom besuchen sollen. Dabei habe er einschlägige Literatur gefunden. Der Kontakt brach ab, 20 Jahre lang.

Die Erinnerungen an seine Kindheit mit dem Vater sind nicht die eines Nazis, aber die eines strengen Vaters, die einer harten Kindheit. Als er drei Jahre alt gewesen sei, so heißt es in dem Bericht, ließen sich die Eltern scheiden. Ein erbitterter Sorgerechtsstreit entbrannte, der sieben Jahre dauern sollte. Der Vater wollte den Sohn bei sich haben, und Sigmar Gabriel lebte dort.

"Wehe, wenn der Vater nach Hause kommt", solche Drohungen habe er immer wieder von der Großmutter gehört und auch Angst gehabt vor dessen Rückkehr. Prügel habe es oft gegeben, Taschengeld sei ihm abgezogen worden, wenn er die neue Frau seines Vaters nicht "Mutti" nannte. Und als er unerwünschte Schulnoten heimgebracht habe, habe sein Vater sein ganzes Spielzeug an einen Kindergarten verschenkt. Nur ein Teddy, ein Geschenk seiner Mutter, sei ihm geblieben, den habe der Vater nicht gefunden.

Auch habe er in der Schulzeit immer zu seinem Vater, der Beamter war, auf die Arbeit kommen müssen bis zu dessen Feierabend, damit er nicht zu seiner Mutter gehen konnte.

Gabriel klaute und zerstach Reifen

Nach sieben Jahren dann bekam Gabriels Mutter doch noch das Sorgerecht, heißt es in dem Bericht weiter. Das habe sie sich unter anderem mit einem Sitzstreik erkämpfen müssen. Doch der Vater, so Sigmar Gabriel, habe ihn nach Ahrensburg in der Nähe von Hamburg entführt, dort in der Schule angemeldet und ihn gezwungen, bei seiner Mutter anzurufen und zu sagen, er wolle noch bleiben.

Schließlich aber kam er doch zurück zur Mutter, es blieb eine schwere Zeit für die Frau, die später sogar ertragen musste, dass ihr Ex-Mann einen DNA-Test beantragte, um nachzuweisen, dass die gemeinsame Tochter nicht von ihm sei. Denn Gabriel, so schreibt die "Zeit", zerstach Reifen, klaute. Zwei, drei Jahre sei das so gegangen.

"Sie hat mir das Leben gerettet, und dennoch sah ich sie oft weinen", sagt Gabriel der "Zeit". "Sie hatte lange um mich gekämpft, und nun hatte sie es so schwer mit mir." Bis heute empfinde er so etwas wie eine Schuld ihr gegenüber.

Mit seinem Vater habe er 2005, damals Bundesumweltminister, wieder Kontakt aufgenommen. Er habe mit ihm reden wollen. Doch der Vater machte weiter der Mutter Vorwürfe, verbreitete weiter seine Nazi-Propaganda. Ein uneinsichtiger Mann bis zum Schluss. Sigmar Gabriel selbst aber sagt heute: "Ich habe keinen Groll mehr gegen meinen Vater, ich bin nicht zornig, ich bin nicht wütend, und ich fühle mich nicht einmal mehr verletzt."

Geblieben, so schätzt er ein, sei ihm von seiner Kindheit ein fast unbändiger Zorn. Wenn er etwas als ungerecht empfinde, dann könne er sich richtig aufregen. Dieser Jähzorn, den ihm auch seine Freunde attestierten, wecke in ihm manchmal die Sorge, dass ein Stück seines Vaters in ihm stecken könnte.

(das)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort