Weg zu Klimaneutralität Wie Klimaschutzverträge beim Umbau der Industrie helfen sollen

Analyse | Berlin · Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral sein will, müssen besonders emissionsintensive Industrien schnell umgebaut werden. Eine gigantische Aufgabe. Damit sie gelingt, will die Bundesregierung finanziell unterstützen. Das Mittel der Wahl sind sogenannte Klimaschutzdifferenzverträge. Ein kompliziertes Konstrukt, das nicht jedem gefällt.

 ARCHIV - Ein Mitarbeiter von ThyssenKrupp zieht am 08.02.1011 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) am Hochofen im Stahlwerk eine Probe. Während Lichttechnik und Stahlprodukte für die Verbraucher im kommenden Jahr billiger werden könnten, dürften sich andere Bauteile für Autos nach Einschätzung von Experten verteuern. Foto: Oliver Berg/dpa (zu dpa «Metallpreise 2015: Lichttechnik billiger, einige Autoteile teurer» vom 24.12.2014) +++(c) dpa - Bildfunk+++

ARCHIV - Ein Mitarbeiter von ThyssenKrupp zieht am 08.02.1011 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) am Hochofen im Stahlwerk eine Probe. Während Lichttechnik und Stahlprodukte für die Verbraucher im kommenden Jahr billiger werden könnten, dürften sich andere Bauteile für Autos nach Einschätzung von Experten verteuern. Foto: Oliver Berg/dpa (zu dpa «Metallpreise 2015: Lichttechnik billiger, einige Autoteile teurer» vom 24.12.2014) +++(c) dpa - Bildfunk+++

Foto: dpa/Marcel Kusch

Auf dem Weg hin zur Klimaneutralität ist der Umbau der Industrie eine der Großbaustellen. Die größten Herausforderungen warten in der emissionsintensiven Stahl-, Chemie- oder Zementindustrie, die wesentlich auf fossilen Energieträgern wie Kohle basiert. Der Staat will die Transformation nun finanziell unterstützen, mit sogenannten Klimaschutzdifferenzverträgen (Carbon Contracts for Difference, kurz CCfD).

Was hat es damit auf sich?

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will mit großen Industrieunternehmen spezielle Verträge schließen, in denen der Fahrplan hin zur klimaneutralen Produktion festgelegt wird. Neben der staatlichen Finanzspritze verpflichten sich die Unternehmen auch zu eigenen Investitionen. „Differenzverträge“ bedeutet, dass der Staat jeweils die Differenz zwischen den herkömmlichen Energiekosten und den Kosten der klimaneutralen Produktion ausgleichen wird. In der Stahlproduktion geht es um die Umstellung von der Kokskohle auf Wasserstoff. Dessen Bereitstellung ist eine riesige logistische Aufgabe. Habeck will die Unternehmen sowohl bei der Umstellung der Energieversorgung als auch bei den laufenden Betriebskosten mit Staatsgeld unterstützen. Die Differenzverträge sollen Teil des Oster-Pakets werden, mit dem Habeck eine Reihe von Gesetzen zum Umbau von Industrie und Energieversorgung auf den Weg bringen will.

Inwiefern können die Verträge den Umbau beschleunigen?

Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht bei einer raschen Umsetzung der Verträge auch Chancen auf einen schnellen Umstieg auf eine klimaschonende Industrie und Produktion. „Bis zum Ende des Jahrzehnts können ein Teil der Transformation schon gelungen und die Emissionen im Industriesektor um bis zu ein Drittel niedriger sein. Wichtig ist schnelles Handeln“, sagte die Energie-Expertin.

Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, warnte dagegen vor „gravierenden Problemen“, wenn die Verträge flächendeckend eingesetzt würden. „Sinnvoll eingesetzt werden könnten sie bei neuen Technologien, die sich ohne Anschubfinanzierung kaum auf dem Markt etablieren würden. Dazu gehören grüner Stahl, synthetische Kraftstoffe oder grünes Methan“, sagte der PIK-Chefökonom unserer Redaktion. Aber durch einen flächendeckenden Einsatz der Verträge würden Unternehmen generell dem Wettbewerb entzogen werden – „das wäre ein großes Problem, weil dadurch der Umbau der Wirtschaft unnötig teuer wird“, erläuterte Edenhofer.

Was wird die Umstellung der Energieversorgung kosten?

Einer aktuellen Studie der Denkfabrik Agora Energiewende zufolge könnten die Klimaverträge den Staatshaushalt bis 2030 mit gut 40 Milliarden Euro belasten. Neben Aufbaukosten für klimafreundliche Anlagen von acht Milliarden Euro könnten demnach weitere 34 Milliarden Euro über zehn Jahre für die teurere Produktion dazu kommen. Allein die Stahlbranche, der größte CO2-Emittent in der Industrie, müsste mit bis zu 27 Milliarden Euro abgesichert werden. In der Chemiebranche mit der Ammoniak-Produktion wären die Kosten deutlich niedriger. Bei Zement könnten sie sich fast auf null belaufen, wenn das CO2 unterirdisch gespeichert würde.

Wie wird das Kosten-Nutzen-Verhältnis eingeschätzt?

Klimaökonom Edenhofer rät davon ab, die „gewaltige Summe“ von 40 Milliarden Euro für die CCfD einzusetzen. „Ich plädiere für einen sehr maßvollen und zielgenauen Einsatz der Carbon Contracts.“ Das Ziel müsse sein, den Emissionshandel zu stärken und den CO2-Preis als wirksames Instrument für den klimafreundlichen Umbau der Industrie zu verankern. „Wenn man sie maßvoll einsetzt, kann man die Differenzverträge gut in den Emissionshandel integrieren“, riet Edenhofer.

Die Experten von Agora Energiewende rechnen die Kosten für die Verträge mit den drohenden weiteren Klimaschäden gegeneinander auf. Laut Philipp Hauser, Programmleiter Klimaneutrale Industrie von Agora Industrie, könne innerhalb der gesamten Laufzeit der Verträge von je zehn Jahren Klimaschäden in Höhe von etwa 40 Milliarden Euro vermieden werden. Zudem würden klimafreundliche Anlagen langfristig, weit über die Vertragslaufzeit hinaus, zur Vermeidung von Emissionen und Klimaschäden beitragen. „Der Nutzen von Klimaschutzverträgen liegt noch deutlich höher, wenn man die positiven Effekte der Industrietransformation hinzurechnet, zum Beispiel die Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien oder der Infrastruktur für Klimaneutralität. Der Aufbau einer klimaneutralen Stahl-, Zement- und Chemieindustrie ist außerdem die Basis für ökologisch hergestellte Autos, Häuser, Chemikalien und Düngemittel“, sagte Hauser.

 Was sagt der Bundesfinanzminister zu Habecks Plänen?

Das Geld für die Klimaverträge soll aus dem Transformations- und Klima-Fonds (TKF) des Bundes fließen. Dieses Sondervermögen ist derzeit mit rund 75 Milliarden Euro gefüllt. Die Ampel-Regierung hatte den Fonds mit zusätzlich 60 Milliarden Euro gefüllt, das Mittel der Wahl dafür war der  Nachtragsetat 2021.  Finanzminister Christian Lindner (FDP) lehnt es ab, diesen Vorgang zu wiederholen: Habeck wird mit dem vorhandenen TKF-Volumen ungefähr auskommen müssen, allerdings fließen Einnahmen aus der CO2-Bepreisung laufend in den Fonds. Wann und wie viel Geld abfließen soll - dabei wird Lindner stets mitreden.

Woher soll der Wasserstoff kommen?

 DIW-Energieökonomin Kemfert sieht den größten Knackpunkt in der Bereitstellung von emissionsfreiem Wasserstoff, also aus Ökostrom hergestelltem Wasserstoff. „Die größte Herausforderung besteht darin, eine ausreichende Infrastruktur aufzubauen, und ausreichende Mengen von Ökostrom zur Verfügung zu haben.“ Ein Wasserstoff-Terminal solle schnell gebaut werden, um die Importe von grünem Wasserstoff zu ermöglichen, forderte Kemfert. In Habecks Ministerium laufen bereits die Planungen für den Bau solcher Terminals. Zudem werden an mehreren Standorten in Deutschland Wasserstoff-Produktionen aufgebaut.

Wo liegen weitere Probleme?

PIK-Direktor Edenhofer, der die Differenzverträge grundsätzlich kritisch sieht, befürchtet vor allem Nachteile für die Wirkungsweise des CO2-Preises.  „Für die Transformation der Industrie sollte der CO2-Preis das Leitinstrument sein, nicht die Carbon Contracts. Das Problem ist: Je mehr man über Differenzverträge regelt, desto funktionsloser wird der CO2-Preis“, sagte der Klimaökonom. Durch den breiten Einsatz von Differenzverträgen würde die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten auf dem Markt geringer werden. Diese sinkende Nachfrage würde wiederum dazu führen, dass der CO2-Preis nicht steigen würde – „und somit seine Wirkung verliert“, erläuterte Edenhofer.

Philipp Hauser von Agora Industrie sieht vor allem das Problem, dass die Zeit drängt. Bereits bis zum Jahr 2030 müssten bis zur Hälfte aller Anlagen in der Stahl-, Chemie- und Zementindustrie erneuert werden. „Sollten die Konzerne heute aus Unsicherheit über künftige Grenzwerte und Gesetze erneut in konventionelle Technologien investieren, wird es zu spät für den Klimaschutz“, so Hauser. Gerade wegen der Dauer von Reformprozessen müssten Klimaschutzverträge schnell Investitionssicherheit schaffen, um die anstehenden Investitionen bereits für die Transformation der Industrie nutzen zu können. „Erste Verträge und Projekte können noch in diesem Jahr initiiert werden“, forderte Hauser. Die bisherigen Plänen des Bundeswirtschaftsministeriums sehen das auch vor.

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