Große Koalition in Schleswig-Holstein geplatzt Wie geht es weiter in Kiel?

Kiel (RPO). Kammerspiel in Kiel: Das Drängen von Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen auf vorgezogene Neuwahlen sorgt bei der SPD für Entrüstung. Über "vorgeschobene Argumente" und "wahltaktische Spiele" schimpft Landes-Chef Ralf Stegner und fordert Lieblingsfeind Carstensen zum Rücktritt auf. Wie geht es nach dem Platzen der Koalition weiter?

Das ist Peter Harry Carstensen
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Carstensen könne von seinem Amt zurücktreten, "falls er nicht mehr will", sagte Stegner am Donnerstag im "NDR-Radio". Die SPD fürchte sich nicht vor Wahlen, sagte er. Nach der Aufkündigung der großen Koalition in Schleswig-Holstein durch die CDU will sich auch die SPD Neuwahlen nicht grundsätzlich in den Weg stellen. Allerdings lehnt SPD-Landeschef Ralf Stegner den von der CDU vorgeschlagenen Weg über einen Beschluss des Landtages ab.

Die erste Formalie ist erledigt. Das Parlament stimmte am Donnerstag einstimmig einem Dringlichkeitsantrag der CDU zu, dem sich auch die FDP, die Grünen und die beiden Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbandes anschlossen. Die CDU will den Landtag zum 20. Juli auflösen und braucht dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Wann über die Landtagsauflösung abgestimmt wird, stand zunächst noch nicht fest. Darüber will der Ältestenrat des Parlaments am Nachmittag entscheiden.

Die Fronten bleiben dennoch verhärtet. Nicht der Ministerpräsident entscheide in Schleswig-Holstein, wann gewählt werde, "sondern das steht in der Verfassung", wetterte SPD-Landeschef Stegner. "Aber es mag ja Wege geben", die SPD werde nicht blockieren, "dass es hier eine stabile Regierung gibt, und wir werden nicht blockieren, dass es vernünftige Wege gibt, dass die Menschen sich entscheiden können", fügte Stegner hinzu. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) habe verschiedene Möglichkeiten. Aber worin genau bestehen die?

Sofortige Neuwahlen: Bei der geplanten Abtimmung über Neuwahlen hängt alles davon ab, ob die Sozialdemokraten wie angekündigt auf stur schalten. Ohne die SPD ist die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit nicht zu erreichen. Sofortige Neuwahlen wären wohl auch nicht im Interesse der Sozialdemokraten, die aktuellen Umfragen zufolge befürchten müssen, dann durch eine Koalition von CDU und FDP ganz aus der Regierungsverantwortung gedrängt zu werden. Wie sagte es doch einst SPD-Chef Franz Müntefering: "Opposition ist Mist."

Minderheitsregierung: Carstensen hätte auch die Option, die vier SPD-Minister im Kabinett zu entlassen. Die CDU wäre dann in der Lage, mit einer Minderheitsregierung weiterzumachen. Als letzte unbedingt notwendige Entscheidung in dieser Wahlperiode steht ohnehin "nur" noch die Verabschiedung eines Nachtragshaushalts an. Dennoch gilt diese Variante als unwahrscheinlich.

Vertrauensfrage: Auch die Vertrauensfrage käme in Betracht, allerdings wäre dieses Vorgehen Carstensens zumindest fragwürdig. Denn schließlich würde der CDU-Ministerpräsident die Vertrauensfrage mit dem taktischen Ziel stellen, das Vertrauen durch den Landtag entzogen zu bekommen - also eine Mehrheit gegen sich zu erreichen. Die CDU hat im Landtag 30 Sitze, die SPD 29, die Opposition zusammen zehn.

Weil die Opposition aus Grünen, FDP und SSW signalisierte, Carstensen in seinem Vorhaben zu unterstützen (also gegen ihn zu stimmen), könnte dieser Weg funktionieren. Spricht die SPD dem Ministerpräsidenten aber das Vertrauen aus, um eine Auflösung des Landtags zu verhindern, müssten auch Teile der CDU-Abgeordneten gegen ihren eigenen Chef stimmen.

Wird die Vertrauensfrage negativ beschieden, könnte Carstensen binnen zehn Tagen das Parlament auflösen und innerhalb von 70 Tagen ein neuer Landtag gewählt werden.

Misstrauensvotum: Theoretisch könnte auch die SPD mit den Grünen und der Wählervereinigung SSW per Misstrauensvotum Carstensen stürzen und gleichzeitig einen neuen Regierungschef küren. Die knappe Mehrheit der drei Parteien von einer Stimme würde dies möglich machen. Nach Informationen unserer Redaktion lehnt Stegner eine solche Maßnahme aber mit Verweis auf die "Simonis-Affäre" ab. Die frühere SPD-Regierungschefin Heide Simonis war bei ihrer Wiederwahl 2005 dramatisch gescheitert. Ihr fehlte eine Stimme aus dem eigenen Lager. Eine erneute Blamage möchten sich die Sozialdemokraten ersparen.

Stegner wird dennoch alles daran setzen, Carstensen das Leben schwer zu machen. Beide Politiker "verbindet" eine persönliche Abneigung. Der ruhige Brummbär Carstensen schätzt den aggressiven Politikstil des Sozialdemokraten nicht. Stegner symbolisiert das völlige Gegenteil des CDU-Landesfürsten.

Zwischen CDU und SPD hatte es in der Vergangenheit immer wieder starke Spannungen gegeben. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand dabei mehrfach Stegner, dem die Union vorwirft, falsche Angaben zu machen und nicht hinter den Sparbeschlüssen der Koalition zu stehen. Nach ein paar Jahren zwang Carstensen Stegner sogar aus der Regierung auf den Sessel des SPD-Fraktionschefs.

Zuletzt folgten die Krisen in Kiel zuletzt im Monatstakt aufeinander: Streit über einen scharfen Sparkurs angesichts der leeren Kassen, Streit über Millionen für den Chef der staatlichen HSH Nordbank trotz Milliardenverlusten, Streit über die Kita-Finanzierung.

Carstensen hatte am Mittwoch bekräftigt, dass er die CDU-SPD-Koalition beenden will. Die "Auflösung des Parlaments ist die offenste und ehrlichste Art und Weise" die Koalition zu beenden, sagte Carstensen. Es gebe keine Möglichkeit mehr, die Zusammenarbeit mit der SPD fortzusetzen. Er appellierte an die SPD, der vorzeitigen Auflösung des Parlaments zuzustimmen.

mit Material von AFP.

(AFP)
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