Terror-Alarm in Deutschland Wie gefährdet sind wir wirklich?

(RP). Angeblich droht das Terrornetzwerk al Qaida mit Anschlägen auf Ziele in der Bundesrepublik. Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um die Terrorwarnung der Bundesregierung und die aktuelle Situation in Deutschland.

2010: Terrorwarnungen in Deutschland
11 Bilder

2010: Terrorwarnungen in Deutschland

11 Bilder

Mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten stehen an Bahn- und Flugsteigen, Panzerwagen sind vor gefährdeten Objekten aufgefahren. Der Staat zeigt Stärke. Müssen die Bürger sich fürchten? Was können sie tun? Die wichtigsten Fragen zur aktuellen Situation:

Warum warnt die Bundesregierung überhaupt?

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte abzuwägen, was schwerer wiegt: die mögliche Verunsicherung der Bevölkerung, wenn er warnt, oder die Gefahr, zusätzliche Fahndungshinweise zu verpassen, wenn er nicht warnt. Er setzt darauf, dass die Terroristen durch größtmögliche und massive Polizeipräsenz und eine alarmierte und besonders wachsame Bevölkerung unter Druck geraten und Fehler machen, durch die die Terroristen enttarnt und rechtzeitig gefasst werden können.

Wer kann ausschließen, dass das nicht doch nur ein Fehlalarm ist und die Regierung durch puren Aktionismus Handlungsfähigkeit vortäuschen will?

Gerade de Maizière hat sich über Monate beharrlich geweigert, auf den Zug der Anschlagswarnungen aufzuspringen, nachdem der Hamburger Islamist Ahmed Sidiqqi in Afghanistan in Verhören in US-Gefangenschaft offenkundig von solchen Plänen auch gegen Ziele in Deutschland erzählt hatte. Erst als Geheimdienste ganz konkrete Reisebewegungen von mutmaßlichen Terroristen Richtung Deutschland meldeten, zusätzlich Quellen im In- wie im Ausland von konkreten Anschlagsvorhaben für Ende November berichteten und dann auch noch eine Reihe von "Gefährdern" plötzlich untergetaucht war, gab der Minister Alarm.

Wie groß ist die Gefahr tatsächlich?

Sicherheitsexperten verglichen die Gefährdungslage zunächst mit der bei den Bundestagswahlen, als al Qaida mit Drohvideos auf den Wahlausgang Einfluss nehmen wollte. Inzwischen sind sich die Innenminister einig, dass die Lage deutlich gefährlicher ist als die im vergangenen Herbst. Der Chef der Bundespolizei, Matthias Seeger, sagte, auf einer Skala der Anschlagsgefahr von eins bis zehn "liegen wir im Moment bei 9,0".

Welche Städte sind im Fadenkreuz der Terroristen?

Der rheinland-pfälzische Innenminister Peter Bruch (SPD) berichtete von "konkreten Hinweisen", wonach Anschläge vor allem in Berlin, München, Hamburg und im Großraum des Ruhrgebiets geplant seien. Von anderer Stelle wurden Weihnachtsmärkte, Kongresse und andere Ansammlungen von Menschen als Ziele genannt. Für de Maizière sind das "reine Mutmaßungen", die er nicht bestätigen könne. Die NRW-Polizeigewerkschaft betonte, es seien keine konkreten Hinweise auf Nordrhein-Westfalen bekannt. Hamburgs Innensenator Heiner Vahldieck sagte gestern, ganz Deutschland sei "bedrohter Raum".

Müssen wir ab Montag Anschläge befürchten?

Aus dem Umfeld der Nachrichtendienste stammt die Information, dass "ab 22. November" die Attentate verübt werden sollen. Nach anderen Informationen planen die Top-Terroristen, "ab 22. November" nach Deutschland einzureisen. De Maizière warnte davor, sich auf ein konkretes Datum zu fixieren. Die Polizei-Gewerkschaft rechnet damit, dass die hochgefahrene Präsenz bis zum Jahresende läuft. De Maizière geht davon aus, dass mehrere Attentäter aus dem Ausland nach Deutschland einsickern und bald nach ihrer Ankunft einen Anschlag in einem Gebäude oder auf einem Platz zu begehen versuchen. Er verwendet dafür die Terminierung "Ende November".

Welche Anschlagsszenarien gibt es?

Nach den Analysen der Sicherheitsdienste ist es durchaus möglich, dass Bomben und Sprengfallen in stark frequentierten Räumen oder auf öffentlich bekannten Plätzen per Zeitschaltuhr oder Handy aus der Ferne gezündet werden. Dabei geht es auch um die Zerstörung von Symbolen und Wahrzeichen, deren Vernichtung im kollektiven Gefühl der Deutschen lange nachwirkt. Reichstag und Kanzleramt sind mit Sicherheitszonen umgeben worden, auch rund um das Brandenburger Tor gibt es eine pausenlose Überwachung. Aber auch das spektakuläre Erstürmen von Versammlungen und Hotels ist wiederholt genannt worden.

Was ist das "Mumbai-Szenario"?

In der indischen Millionenstadt Mumbai verübten islamistische Terroristen Ende November 2008 ein viertägiges Blutbad. Etwa ein Dutzend Täter schlug zeitgleich an mehreren Stellen zu und eröffnete unter anderem am Bahnhof und in einem Restaurant das Feuer in die Menge. Aus einem gekaperten Polizeifahrzeug heraus erschossen dieTerroristen wahllos Passanten. Sie erstürmten dann ein Krankenhaus, ein Kongresszentrum und zwei Luxushotels, wo sie sich verschanzten und weit über 100 Menschen erschossen, bis sie am Morgen des vierten Tages von der Polizei überwältigt werden konnten.

Droht Ähnliches in Deutschland?

"Nach dem Vorbild von Mumbai" war schon im Sommer als bevorzugtes Vorgehen von al Qaida bei einem Schlag gegen Deutschland genannt worden. Auch der Bundesinnenminister hält dies für wahrscheinlich. Der "Vorteil" für die Terroristen besteht darin, dass sie anders als bei einem einmaligen Schlag über Tage hinweg die ganze Welt in Atem halten. Und sie zielen gerade auf das Nervenkostüm der Deutschen ab, denen sie dann vermutlich weitere derartige Anschläge androhen, falls sie ihre Truppen nicht umgehend aus Afghanistan abziehen. Jedenfalls werden sie nach Einschätzung von de Maizière ihren eigenen Tod dabei in Kauf nehmen.

Wie reagiert der Staat?

Neben der sichtbaren Präsenz der Polizisten als "Abschreckung und Vorsorge" werden nicht sichtbar die rund 130 bekannten "Gefährder" verstärkt beobachtet. Die Fahnder überprüfen alte und neue Visa, um eine Spur zu entdecken. An den Grenzen gibt es Personenkontrollen. Im Berliner Terrorismus-Abwehrzentrum setzen sich Vertreter von Polizei und Nachrichtendiensten täglich zusammen und gleichen Informationen ab.

Wie sollen sich die Bürger schützen?

Der Innenminister hat die Bevölkerung zu einer "gelassenen Wachsamkeit" aufgerufen. "Wir brauchen so viel Normalität wie möglich", fügte er hinzu. Die Menschen sollten weiter auf Weihnachtsmärkte gehen, in Kinos, Fußballstadien und auf Plätze. Aber: Verdächtige Gegenstände und Verhaltensweisen sollten sie der Polizei melden.

Ist die Polizei überfordert?

Meldungen, wonach Polizisten flächendeckend der Urlaub gestrichen worden sei, dementierten die Innenminister. Die Terrorgefahr lasse sich mit den zur Verfügung stehenden Beamten bekämpfen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort