Nationaler Migrationsplan Wie die Integration gelingen soll

Berlin/Düsseldorf (RPO). Das Thema Integration ist ein heißes Eisen, wie die lebhafte Debatte um den geschassten Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin zeigt. Union und FDP haben angekündigt, es zu einem "Megathema" zu machen. Mit einem nationalen Integrationsplan will die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Integration endlich gelingt. Was gefordert wird und der Bund plant.

Jeder Fünfte in Deutschland hat Migrationshintergund
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Foto: RP/Anja Tinter

Schule und Ausbildung: Die vergrößerte ethnische Vielfalt Deutschlands soll sich auch in der Schule widerspiegeln. Migranten sollen als Lehrer Verantwortung übernehmen und als Vorbild für Schüler mit Migrationshintergrund dienen. Der Tageszeitung "Die Welt" zufolge ist das Teil des bundesweiten Integrationsprogramms, dass die Regierung heute beschließen will. Bildung sei ein Schlüssel zur Integration, heißt in dem Konzept der Bundesregierung.

Sprachförderung: Die frühkindlichen Sprachförderung ist ein Kernbestandteil der Pläne der Bundesregierung zur Förderung der Integration. "Die Kenntnis der deutschen Sprache und Freundschaften mit deutschen Kindern im dritten oder vierten Lebensjahr sind die Grundlage für erfolgreiche Integration", so Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Die FDP fordert in ihrem jüngsten Integrationspapier eine "Sprachstandfeststellung" im Alter von vier Jahren auch für deutsche Kinder. Auch die rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner fordert verbindliche Sprachtests für alle Kinder vor der Einschulung.

In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits eine verpflichtende Sprachstandserhebung, die von den Schulämtern zwei Jahre vor der Einschulung durchgeführt wird. Werden Defizite festgestellt, wird das Kind noch zwei Jahre vor der Einschulung gezielt gefördert. Wer sich der Sprachstandserhebung widersetzt, wird mit einem Bußgeld belegt, stellte Nordrhein-Westfalens Familien- und Kinderministerin Ute Schäfer (SPD) klar.

Fördern und Fordern: Integrations-Staatsministerin Maria Böhmer (CDU) kündigte an, der Staat wolle künftig Integrationsvereinbarungen mit Neuzuwanderern schließen. Ein Testlauf soll in den kommenden Monaten starten. In diesen Verträgen will Böhmer "verbindlich festschreiben, was der Staat den Menschen zu bieten hat, aber auch was sie im Gegenzug zu leisten haben - mit Sprachkursen oder Fortbildungen zum Beispiel".

Kindergartenpflicht: Der Bezirksbürgermeister des Berliner Stadtteils Neukoelln, Heinz Buschkowsky (SPD), hat eine verpflichtende Kindergartenpflicht für Kinder ab dem ersten Lebensjahr ins Spiel gebracht. 40 Prozent der Neukoellner sind sind Einwanderer oder Kinder von Einwanderern. Erziehungsüberforderung der Eltern nehme "rapide zu". Dies betreffe "nicht nur Migranten", so Buschkowsky in einem Interview mit dem "Tagesspiegel". Nordrhein-Westfalens Familien- und Kinderministerin Ute Schäfer (SPD) ist derzeit gegen eine Kindergartenpflicht. Solange der Kindergartenbesuch nicht gebührenfrei sei, "können wir auch niemanden dazu verpflichten", sagte sie dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Arbeitslosenhilfe: Einige Stimmen in der Union fordern arbeitslosen Zuwanderern die Unterstützung zu streichen, wenn sie ihre Kinder nicht in die Kindertagesstätte schicken. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) lehnt das aber ab: "Ich halte wenig davon, das Erziehungsthema zu koppeln mit Kürzungen für den Lebensunterhalt. Die Ersten, die das bitter ausbaden müssen, sind die Kinder", sagte sie dem "Hamburger Abendblatt". Wenn Kinder verwahrlosten, müsse das Jugendamt einschreiten — ob bei Migranten oder Deutschen.

Kindergeld: Der Neukoellner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) fordert nur noch die Hälfte des Kindergeldes an die Eltern bar auszuzahlen und die dadurch eingesparten 17 Milliarden Euro in "Krippen, Kindergärten, Ganztagsschulen, kleinere Klassen, Mittagessen, kostenlose Schulbücher, Sprachunterricht, Sport und Musik" zu stecken.

Soziale Spaltung: Insbesondere die SPD pocht darauf, die Probleme bei der Integration auch als soziales Problem zu begreifen. In der Debatte um Integration dürfe es nicht nur um die Anpassung von Zuwanderern an die Regeln der deutschen Gesellschaft gehen, schrieb beispielsweise Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in der "Berliner Zeitung": Man müsse von beiden Seiten aufeinander zugehen und "die soziale Spaltung insgesamt bekämpfen".

Staatsbürgerschaft: Beim Thema Staatsbürgerschaft sind Union und FDP gespalten. Die Liberalen wollen die einst von Rot-Grün angestoßene Debatte um die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft wieder aufleben lassen. Justitministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger fordert eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, sodass sich die in Deutschland geborenen Kinder nicht-deutscher Eltern nicht mehr ab dem 23. Lebensjahr nicht mehr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. "In vielen westlichen Ländern wird die Möglichkeit der Mehrstaatlichkeit als selbstverständlich akzeptiert" sagte sie der Tageszeitung "Die Welt". Die Union lehnt die doppelte Staatsbürgerschaft ab.

Kriminalität: Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte eine "Debatte ohne Tabus" über die "statitisch erhöhte Gewaltbereitschaft strenggläubiger muslimischer Jugendlicher". Dabei bezieht sich offenbar auf eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) unter Leitung des bekannten Kriminologen Christian Pfeiffer. Die Befragung von 45.000 Schülern hatte ergeben, dass die Gewaltbereitschaft von Muslimen mit zunehmender Bindung an ihre Religion im Mittel zunimmt. Allerdings schränkte die Studie des DFN selbst ein, dass die leicht erhöhte Gewaltbereitschaft bei streng religiösen muslimischen Jugendlichen wahrscheinlich eher mit anderen Faktoren wie einer verbreiteten Machokultur und der Nutzung gewalthaltiger Medien zusammenhängt.

Peiffer selbst wehrte sich in einer Stellungnahme für den Bildblog gegen eine Überinterpretation seiner Studie. Auch Merkel warnt vor einer Verbindung von Gewalt mit einer bestimmten Religion. "Das führt in die Irre. Gewalt bei jungen Menschen ist oft ein Zeichen dafür, dass sie keine Perspektive für sich sehen. Und da hilft nur Bildung, Bildung, Bildung. Unser Staat macht da viele Angebote, aber die Hauptverantwortung liegt bei den Eltern, die ihnen Schule und Gesellschaft nicht abnehmen können", sagte sie in der "Bild am Sonntag". Andere Unionspolitiker wählen schärfere Worte. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprache beispielsweise einem hohen Anteil von Ausländern bei der Gewaltkriminalität. Auch in der SPD gibt es solche Stimmen. "Der Risikofaktor jung, männlich, Migrant ist Realität", sagte beispielsweise der Neukoellner Bürgermeister Buschkowsky dem "Stern".

Zuwanderung: Die deutsche Wirtschaftsinstitute fordern eine gezielte Anwerbung hochqualifizierter Fachkräfte, um den durch den demographischen Wandel bedingten Fachkräftemangel zu begegnen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) verweist beispielsweise darauf, dass Deutschland eine deutlich offensivere Einwanderungspolitik brauche. Angesichts der Überalterung der Gesellschaft benötige Deutschland "dringend Arbeitskräfte und Zuwanderer aus dem Ausland", sagte DIW-Präsident Klaus Zimmermann dem "Hamburger Abendblatt".

Nötig seien "mindestens netto 500.000 mehr Menschen pro Jahr, um unsere Wirtschaftskraft dauerhaft zu sichern". Ohne Zuwanderung werde der Wohlstand sinken und die Lebensarbeitszeit müsse in Deutschland auf rund 70 Jahre verlängert werden. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) äußerte sich ähnlich. Er bezeichnete in der "Berliner Zeitung" Zuwanderung als Möglichkeit, dem Bevölkerungsschwund in Deutschland entgegenzuwirken. Die Einwanderung müsse forciert werden, "wenn wir die Leistungsfähigkeit Deutschlands erhalten wollen".

Widerstand gibt es vor allem aus der bayerischen CSU. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte anlässlich der bevorstehenden Präsentation der Bevölkerungsentwicklung in Bayern bis 2020: "Die Zahlen werden zeigen, dass der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund weiter wächst. Daher können wir keine weitere massenhafte Zuwanderung brauchen". CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt betonte am Mittwoch: "Wir werden jetzt nicht die Schleusentore hochziehen und eine neue Gastarbeiterwelle auf unser Land rollen lassen." Bei drei Millionen Jobsuchenden sei eine Qualifizierungsoffensive notwendig - und keine Zuwanderungsoffensive.

Die rot-grüne Regierung hatte zwischen 2000 und 2004 ein Sofortprogramm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs aufgelegt, dass als sogenannte Greencard bekannt wurde. Seit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes besteht für Unternehmen grundsätzlich die Möglichkeit, ausländische Akademiker anzuwerben. Voraussetzung ist aber ein Jahreseinkommen ab 60.000 Euro.

Kritik: Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert die Pläne der Bundesregierung zur Integration. "Es ist scheinheilig, einerseits über die angeblich mangelnde Integrationsbereitschaft von Migranten zu klagen, wenn andererseits nicht einmal genug Geld zur Verfügung gestellt wird, damit alle, die ihre Deutschkenntnisse verbessern wollen, dies auch tun können", kritisiert Eberhard Jüttner, Vorsitzender des Paritätischen. Auch die Opposition wirft der Bundesregierung ein Versagen in der Integrationsplitik vor und fordert die Ablösung der Integrationsbeauftragten Mario Böhmer.

Mit Material von AFP, DAPD und KNA

(sdr)
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