Streit über Hartz-IV Westerwelle will keinen Millimeter weichen

Berlin (RPO). An FDP-Chef Guido Westerwelle und seinem stoischen Kurs in Sachen Sozialstaat scheiden sich die Geister. Die Opposition läuft Sturm. Auch in der Union tut man sich schwer mit dem Vizekanzler. Den FDP-Chef ficht das nicht an. In einem Interview wollte er keinen Millimeter von seinem Kurs abrücken.

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Foto: AP

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte vor knapp einer Woche eine Neuberechnung der "Hartz IV"-Regelsätze bis Ende des Jahres angeordnet. In der Diskussion über die Konsequenzen erkannte Westerwelle "sozialistische Züge" und sagte, wer dem Volk "anstrengungslosen Wohlstand" verspreche, lade zu "spätrömischer Dekadenz ein".

Die Resonanz glich einem politischen Erdbeben. Vor hundert Tagen sei "ein Esel Bundesaußenminister geworden", spottete CDU-Urgestein Heiner Geißler über den FDP-Chef. Aus der SPD ätzte der Kieler Landeschef Ralf Stegner, der liberale Vizekanzler gebärde sich wie ein "Jörg Haider der deutschen Politik". Die Unterstützung in der Union blieb dünn, Kanzlerin Merkel ging mit diplomatischer Vorsicht auf Distanz.

Die Opposition lief am Montag weiterhin Sturm. Die Grünen im Bundestag verlangten, Kanzlerin Merkel müsse eine Regierungserklärung über die sozialpolitische Linie der schwarz-gelben Koalition abgeben, weil ihr Vizekanzler in der schwersten Wirtschaftskrise das Sozialstaatsprinzip in Frage stelle. Dazu könne die CDU-Chefin "nicht wie gewohnt schweigen". Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nannte Westerwelle einen "sozialpolitischen Brandstifter". Die Linke attestierte Westerwelle gar einen eiskalt kalkulierten "Klassenkampf von oben" und nannte die FDP die "Partei der Gierigen und leistungslosen Absahner".

Und Westerwelle? Ging am Montag in die Offensive. Der FDP-Chef fordert eine Generaldebatte im Bundestag zum Thema. Er selbst beharrt auf seiner Darstellung. Dem Kölner Stadt Anzeiger sagte der Vizekanzler, er vertrete nur, was aus seiner Sicht nötig sei. Seiner Ansicht sei der soziale Friede gefährdet, "wenn die Mitte, also die Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen, vergessen wird". Westerwelle lehnte es dem Bericht zufolge ausdrücklich ab, seine umstrittenen Äußerungen zurückzunehmen oder zu relativieren. "Wenn jemand den Finger in die Wunden des linken Zeitgeistes legt, ist die Empörung immer groß", sagte er. Er werde "weiter eine Politik machen, die Wahrheit und Klarheit verpflichtet" sei. "Das mag linken Kommentatoren nicht passen. Aber darauf kommt es nicht an", sagte Westerwelle.

Für die starken Worte ist nun offensichtlich FDP-Generalsekretär Christian Lindner zuständig. Der forderte am Montag eine "Runderneuerung" von Hartz IV. Die FDP wolle "den Marsch in eine Gesellschaft von Taschengeldempfängern beenden". Lindner verwies darauf, dass 45 Prozent des Bundeshaushaltes für soziale Leistungen ausgegeben würden. Trotzdem seien die Ergebnisse nicht befriedigend. Mehr Geld in den Sozialstaat zu pumpen bedeute nicht automatisch bessere Ergebnisse. Westerwelle hatte unter anderem erklärt: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein."

Die Reaktionen in der Union: überwiegend zurückhaltend bis geteilt. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe rief die Liberalen in der "Süddeutschen Zeitung" zur Mäßigung auf. "Fragwürdige Verallgemeinerungen und scharfe Töne erschweren nur die notwendige Debatte über die Umsetzung der Hartz-IV-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts", sagte er.

Unterstützung findet Westerwelle bei jüngeren Unions-Abgeordneten. Der Vorsitzende der "Jungen Gruppe" in der Unions-Bundestagsfraktion, Marco Wanderwitz (CDU), sagte am Montag der Online-Ausgabe des Düsseldorfer "Handelsblatts": "Natürlich ist die Wortwahl problematisch, aber es ist nichts Ehrenrühriges, wenn Herr Westerwelle eine überfällige Diskussion anstößt."

Die Bundesregierung sagte zu, das Urteil des Verfassungsgerichts zügig umzusetzen. Das Kabinett sei sich "völlig einig", dass dabei das Lohnabstandsgebot gewahrt werden müsse, betonte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans.

(apd/AFP/ddp)
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