Gabriel regt Vorwahlen wie in USA an Wenn Bürger Kanzlerkandidaten wählen

Berlin (RP). SPD-Chef Sigmar Gabriel spielt mit dem Gedanken, die Nominierung für die Kanzlerkandidatur nicht mehr allein den Parteigremien zu überlassen. Vorbild sind Vorwahlen in Frankreich und den USA.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht nur einen Kurs, um der schwindenden Attraktivität der klassischen Volksparteien entgegenzusteuern: "Sie müssen sich als Werkstatt verstehen, in die jeder hineinschauen, bei der jeder mitarbeiten kann — auch wenn er nicht gleich Parteimitglied werden möchte." Deshalb hat er den Genossen jetzt vorgeschlagen, ihren Kanzlerkandidaten künftig durch Vorwahlen bestimmen zu lassen, wie sie die Sozialisten in Frankreich kennen und die Parteien auch in den USA gewohnt sind.

Er finde die Idee der französischen Sozialisten "spannend" sagte Gabriel: Bei der Aufstellung des Präsidentschaftskandidaten können nicht nur die Parteimitglieder abstimmen, sondern auch Sympathisanten, Wähler und Wahlhelfer. Erstmals hatten die französischen Genossen die Kandidatenkür nach amerikanischen Vorbild im Präsidentenwahlkampf 2005 erprobt — mit allerdings zwiespältigem Ergebnis.

Zwar sorgte der Schlagabtausch der drei Bewerber für ein großes Echo in der Öffentlichkeit, aber für den inneren Zusammenhalt der Partei war das Spektakel nicht förderlich. Fast ein Drittel der Abstimmungsberechtigten hatte erst kurz zuvor eine Art "Parteimitgliedschaft light" erworben und machte die Vorwahl zu einem triumphalen Durchmarsch für die einzige weibliche Kandidatin, Ségolène Royal. Die aber hatte im Land keine Chance auf eine strategische Mehrheit gegen den Konservativen Nicolas Sarkozy.

Immerhin, in Frankreich handelte es sich bei der Vorwahl der Sozialisten um ein offenes Rennen ebenso wie bei den Vorwahlen in den USA, wo die Kandidaten der großen Parteien schon immer durch Eliminierung ausgesiebt werden. Voraussetzung für eine Übertragung des Modells auf Deutschland, so räumte Gabriel ein, sei es natürlich, dass es auch in der SPD "mehrere Bewerber gibt". Davon gehen derzeit jedoch die wenigsten in der Partei aus. Für viele gilt Gabriel als "gesetzt", wenn es 2013 darum geht, das Kanzleramt zurückzuerobern. Den Parteivorsitz haben die Genossen mit dem ungeschriebenen "Recht des ersten Zugriffs" ausgestattet. 1998 verzichtete Parteichef Oskar Lafontaine nur zugunsten des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, weil dieser einen grandiosen Wahlsieg in Hannover hingelegt hatte.

Das ließ die Stimmung in Richtung Schröder kippen, zumal die Sozialdemokraten mit schlechtem Gewissen an ihren ersten Versuch einer Urwahl zurückblickten. 1994 war die Kanzlerkandidatur Schröders verhindert worden, weil sich im Jahr zuvor bei der Wahl des Parteivorsitzenden die Stimmen auf drei Kandidaten verteilt hatten und die Genossen auf einen klärenden zweiten Wahlgang verzichteten: Rudolf Scharping wurde Parteichef und erwies sich als schwacher Kanzlerkandidat.

Daran müsse man denken, wenn die SPD ihre Kanzlerkandidaten tatsächlich in parteioffenen Vorwahlen bestimme, mahnte NRW-Landesgruppenchef Axel Schäfer. Er empfindet den Vorschlag seines Vorsitzenden als "wirklich gute Idee". Freilich sollte eine nur relative Mehrheit unter mehreren Bewerbern nicht reichen. Schäfer kann sich auch mit dem Beispiel der baden-württembergischen SPD anfreunden. Dort waren im November vergangenen Jahres alle Mitglieder per Urwahl aufgefordert, für einen neuen Vorsitzenden zu votieren. Allerdings sollten sie neben ihrer ersten auch eine zweite Wahl angeben. Die "Zweite-Wahl-Stimmen" des Drittplatzierten wurden dann zu den Erststimmen der beiden besser platzierten Kandidaten hinzugeschlagen, so dass unterm Strich eine absolute Mehrheit für den neuen Landeschef Nils Schmidt herauskam.

Schäfer mahnt auch dazu, ein neues Wahlverfahren vorher intensiv in der Mitgliedschaft zu diskutieren. Deshalb sollte nach seiner Meinung der Vorschlag Gabriels bereits beim nächsten Bundesparteitag aufgegriffen werden. Vorzug vor den offenen Abstimmungen sollten jedoch die Urwahlen durch alle Mitglieder haben, wie es die SPD-Satzung vorsehe. Schließlich sei die Parteimitgliedschaft durch das Grundgesetz im Artikel 21 geschützt. Sonst könne leicht der Eindruck entstehen, dass das Zahlen von Mitgliedsbeiträgen nicht so wichtig sei, da jeder andere Bürger ja, wenn er Lust habe, die gleichen Rechte auch ohne Mitgliedschaft habe.

Gabriel wurde zu seinem Vorschlag durch Erfahrungen bei der Landratswahl in seiner Heimatstadt Goslar angeregt: "Statt wie üblich rund 100 Parteimitglieder darüber entscheiden zu lassen, wer der Beste ist, durfte jeder mit abstimmen." Auf diese Weise hätten sich 1300 Bürger beteiligt — "die meisten keine Genossen". So sei es zu einer riesigen öffentlichen Aufmerksamkeit gekommen — und zu einem Wahlsieg der SPD gleich im ersten Wahlgang, und zwar gegen den Trend in Niedersachsen.

Nachgedacht über Vorwahlen wird übrigens nicht nur bei der SPD. "Wir diskutieren das auch in der FDP — ich halte die Idee für sehr gut", berichtet FDP-Bundesvorstandsmitglied Johannes Vogel. Er hat sich selbst bereits während seines Studiums mit den US-Vorwahlen beschäftigt: "Das ist ein spannender Vorschlag, in Zeiten gesellschaftlichen Wandels die Parteien zu öffnen und möglichst viele Menschen an der demokratischen Personalauswahl zu beteiligen", fasst er im Gespräch mit unserer Zeitung zusammen. Wenn die Sozialdemokraten unter Gabriel nun tatsächlich machten, was sie schon unter Müntefering diskutiert hatten, dann sei das "sicherlich etwas, an dem sich andere Parteien ein Beispiel nehmen können".

(RP)
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