Bremer Außenstelle im Visier Was vom Asylskandal übrig bleibt

Berlin · Fassungslos machte das Treiben der Bremer Asylbehörde. Nach einem Jahr blieben von 1200 Verdachtsfällen 52. Was steckt dahinter?

 Was geschah hinter diesen Mauern der Bremer Bamf-Außenstelle?

Was geschah hinter diesen Mauern der Bremer Bamf-Außenstelle?

Foto: dpa/Mohssen Assanimoghaddam

Die Enthüllungen überschlugen sich. Anonyme Hinweise, interne Untersuchungen und öffentliche Beschuldigungen verdichteten sich vor einem Jahr zum Skandal, der Innenminister Horst Seehofer (CSU) zu der Entscheidung brachte, die Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) komplett aus dem Verkehr zu ziehen. Die Kritik kannte nur eine Richtung: Warum hatten Behörden und Politik alle Alarmzeichen missachtet, dass es bei der Gewährung von Schutz für Asylbewerber in Bremen deutlich zu großzügig zuging? Inzwischen wird die Dimension von Vorsatz und Willkür immer kleiner, fordern die Linken sogar eine Entschuldigung von Seehofer.

War alles nur halb so schlimm? Vielleicht sogar komplett aufgebauscht?  „Ich habe von Anfang an gewarnt, dass der sogenannte Bamf-Skandal konstruiert ist“, sagt Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke unserer Redaktion. Aus ihrer Sicht habe der eigentliche Skandal aus einer „bösartigen Skandalisierung einer angeblich zu liberalen Entscheidungspraxis in Bremen“ bestanden. Jelpke hält es für „widerwärtig“, wie mit vollkommen haltlosen Behauptungen Druck auf Bamf-Mitarbeiter ausgeübt worden sei, möglichst restriktiv zu entscheiden.

Das Argumentationsgerüst der Bundesregierung schien bereits im Herbst ins Wanken zu geraten, als das Oberverwaltungsgericht in Bremen der früheren Leiterin der Bamf-Außenstelle Recht gab. Vorläufig darf das Bundesinnenministerium nach dieser rechtskräftigen Entscheidung nicht mehr behaupten, ein Bericht der Internen Revision zeige „deutlich, dass im Ankunftszentrum Bremen bewusst gesetzliche Regelungen und interne Dienstvorschriften missachtet“ worden seien.

Die Linken sehen sich zudem durch die jüngsten Statistiken der Bundesregierung bestätigt. Danach sind unter dem behördeninternen Stichwort „Vollprüfung Bremen“ zwar 12.848 Akten zu Entscheidungen über 18.347 Personen aufgeklappt worden, doch von den vor einem Jahr öffentlich gemutmaßten 1200 Verdachtsfällen von eigentlich unzulässigen Schutzanerkennungen in Bremen sind bislang in lediglich 52 Fällen die Entscheidungen der Bremer zurückgenommen worden. Der Anwalt der Ex-Behördenleiterin verwies kurz vor Ostern darauf, dass bislang „nicht eine Asylentscheidung rechtskräftig aufgehoben“ worden sei.

Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Sturm im Wasserglas, führt bei genauerem Hinsehen jedoch auch zu anderen Bewertungsmöglichkeiten. So weist die Bundesregierung darauf hin, dass die Zahl der aufzuhebenden Fehlentscheidungen nur einen Zwischenstand darstelle und noch „mit einem Anstieg der genannten Anzahl gerechnet“ werden müsse. Zudem erläuterte Unions-Innenexperte Mathias Middelberg, dass etliche Asylbewerber auch ohne Manipulation Schutz erhalten hätten und dieser deshalb nun auch nicht widerrufen werde. Am „Unwert des Handelns“ ändere dies jedoch nichts.

Für Middelberg steht jedenfalls fest, dass die Vorgänge in der Bremer Außenstelle „keine Bagatelle“ gewesen seien. Bei knapp einem Viertel aller positiven Entscheidungen seit 2006 habe es „erhebliche Mängel“ gegeben, und in mindestens 145 Fällen sogar ein „bewusst manipulatives Verhalten“ der Bearbeiter.

SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka erinnert zudem daran, dass das Krisen- und Fehlermanagement des Bamf schlecht gewesen sei. „Der Vorgang hätte sich nämlich nie zu einem tatsächlichen oder vermeintlichen Skandal auswachsen können, wenn das Bamf frühzeitig den verschiedenen Hinweisen zur Arbeit der Bremer Außenstelle nachgegangen wäre“, so Lischka. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Bundesrechnungshof in einem Prüfbericht. „Spätestens im März 2016“, so die Kontrolleure, hätten die Unregelmäßigkeiten in Bremen „entdeckt, beendet und anschließend aufgearbeitet werden können“. Stattdessen habe das Bamf nach Erkenntnissen der Rechnungsprüfer ein Personalgespräch mit der Interimsleiterin der Bremer Stelle geführt, nachdem diese auf eigene Faust einen Bericht über die „erheblichen Dimensionen der Unregelmäßigkeiten“ verfasst hatte. Ihr seien „eigene Ermittlungen“ untersagt und „das Risiko für die Reputation des Bamf hervorgehoben“ worden.

Wie der „Skandal“ letztlich zu bewerten ist, liegt auch in den Händen der Staatsanwaltschaft, die zunächst verdeckt ermittelt hat und nun Dutzende von Umzugskartons voll Belegen sichtet. Sie will im Sommer entscheiden, ob sie Anklage erhebt. Jedenfalls hat sie inzwischen den Kreis der Beschuldigten von sechs auf neun ausgeweitet.

Die Grünen vermissen vor allem die fehlende Aufarbeitung struktureller Missstände auch außerhalb der Bremer Dienststelle und wollen ein besseres Bamf-Qualitätsmanagement im Innenausschuss von Experten bewerten lassen. Grünen-Migrationsexpertin Luise Amtsberg bedauert, dass die Koalition die Expertendiskussion abgelehnt habe. „Es ist inakzeptabel, dass diese Regierung und insbesondere der Innenminister auf der einen Seite eine ganze Behörde diskreditiert, aber nicht bereit ist, Konsequenzen der offensichtlichen Mängel zu diskutieren“, kritisiert Amtsberg.

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