Experiment Weimar Die großen Wirtschaftskatastrophen

Berlin · Zweimal innerhalb eines Jahrzehnts verloren Millionen von Menschen während der Weimarer Republik ihre wirtschaftliche Existenz. Die Radikalen von links und rechts gaben den Demokraten die Schuld – zu Unrecht.

 Tausende Menschen stehen im Juli 1931 vor dem Berliner Postscheckamt, um ihr Guthaben abzuheben. Sie sind in verzweifelter Sorge um ihr Erspartes.

Tausende Menschen stehen im Juli 1931 vor dem Berliner Postscheckamt, um ihr Guthaben abzuheben. Sie sind in verzweifelter Sorge um ihr Erspartes.

Foto: dpa

An der Finanzierung kann man ablesen, wie die Bevölkerung einen Krieg mehrheitlich einschätzt. Die Briten erhöhten zu Beginn des Ersten Weltkriegs die Steuern. Den Bürgern sollten schließlich Opfer abverlangt werden. Im deutschen Kaiserreich war sich die politische Elite nicht so sicher. Kaiser Wilhelm II. und sein Kanzler Theobald von Bethmann-Hollweg wollten die Bürger lieber mit Krediten locken. Erst als der Reichstag am 4. August 1914 mit den Stimmen der oppositionellen SPD die berühmten Kriegsanleihen beschloss, beschwor der Kaiser die Einigung mit patriotischem Pathos: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“

Doch ausgerechnet die riskante Kriegsfinanzierung legte den Keim für die späteren wirtschaftlichen Probleme nach dem Ende des Schlachtens. Und wie bei der militärischen Katastrophe („Dolchstoßlegende“) machten die Gegner der Weimarer Republik die Demokraten für die nachfolgende Hyperinflation und den gewaltigen Vermögensverlust breiter Bevölkerungsteile verantwortlich.

Tatsächlich ließen der totale Krieg und die teuren Materialschlachten die Verantwortlichen der Reichsregierung und der Obersten Heeresleitung alle Vorsichtsmaßnahmen schnell vergessen. Das hinderte breite Kreise nicht daran, begeistert Kriegsanleihen zu zeichnen. Noch in den letzten Kriegsmonaten rief der allseits geachtete Sozialwissenschaftler Max Weber zum Kauf der Papiere auf, weil ja die gewaltige Rendite bei einem „Endsieg“ mögliche Inflationsverluste mehr als wettmachen würde.

Am Ende des Krieges waren die Schulden auf die damals ungeheure Höhe von 150 Milliarden Reichsmark angewachsen, die zu zwei Dritteln von deutschen Sparern und zu einem Drittel als direkte Kredite der Reichsbank gehalten wurden. Gleichzeitig war das Sozialprodukt deutlich gesunken. Die Anleihen waren kaum das Papier wert, auf dem sie standen. Der aggressive Krieg des monarchisch-autoritären Deutschlands hatte Wirtschaft und Währung ruiniert, die Demokraten mussten den Schlamassel ausbaden.

Doch auch Zentrum, SPD und Liberale trauten sich nicht, den Verfall der Währung mit einem klaren Schnitt zu beenden. Stattdessen vertrauten sie auf eine Politik des leichten Geldes, um demobilisierte Soldaten zu unterhalten, eine Arbeitslosenversicherung zu finanzieren und Investitionen zu erleichtern. Tatsächlich blieb den Deutschen anders als anderen Ländern eine Massenarbeitslosigkeit erspart. Allerdings besaß die Mark 1920 nur noch ein Vierzehntel ihres Wertes von 1914. Von der Droge der Inflation kamen die politisch instabilen Reichsregierungen der Jahre 1922 und 1923 nicht mehr weg. Die Preise galoppierten, die hilflose Reichsbank kaufte schnellere Druckmaschinen, um den drastisch erhöhten Geldbedarf zu decken. Schließlich gab man Notgeld mit astronomischen Zahlen aus. Ende 1923 hatte das Preisniveau das 1261-Milliardenfache von 1913 erreicht. Millionen von Sparern vor allem aus der Mittelschicht und dem Kleinbürgertum waren enteignet, nur die Besitzer von Häusern, Aktien und anderen Sachwerten waren noch mal mit einem blauen Auge davongekommen. Immerhin schaffte es Reichkanzler Gustav Stresemann, mit der Einführung der Rentenmark über die fiktive Deckung mit staatlichen Grundstücken die Währung zu stabilisieren. Doch die Vermögen brachte das nicht zurück.

Es waren eben unruhige Zeiten – im Guten wie im Bösen. Denn zwischen 1923 und 1929 zog die Wirtschaft auf einmal wieder an. Schon Mitte der 20er Jahre wurde die Vorkriegsproduktion erreicht. Doch während Berlin noch tanzte, platzte am Donnerstag, dem 24. Oktober 1929, die Blase einer hemmungslosen Spekulation. Einen Tag später, am „Schwarzen Freitag“, erreichten die Kursabstürze auch Europa. Es war der Startpunkt der bis dahin größten Krise der Weltwirtschaft.

Die Ursachenforschung für die Weltwirtschaftskrise füllt ganze Bibliotheken. Soviel kann man festhalten: Eine entfesselte Finanzwirtschaft traf auf eine Wirtschaft, die von technologischen, politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen gekennzeichnet war. Die Verantwortlichen für die Wirtschafts- und Geldpolitik erkannte nicht die Dimension und zogen zudem die falschen Schlüsse. So reagierte der ehrbare Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum) auf Pleiten und Massenarbeitslosigkeit mit einer Sparpolitik, die den Abschwung beschleunigte. Als er die katastrophalen Ergebnisse dieses Kurses sah und umschwenkte, war es zu spät.

Die Krise spülte Adolf Hitler an die Macht. Zuvor hatte sich die Produktion in Deutschland halbiert, die Zahl der Erwerbslosen lag bei fast 44 Prozent, die der Kurzarbeiter bei knapp 23 Prozent. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts verloren Millionen ihre Existenz. Die Weimarer Republik war am Ende. Die Folge war die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Zivilisationsbruch durch die Nazis. „Die Wirtschaft ist unser Schicksal“, hatte der große liberale Reichsaußenminister Walther Rathenau erkannt, der 1922 von rechtsradikalen Verschwörern ermordet wurde. Er sollte Recht behalten.

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