Zeitzeugin Käthe Kollwitz Käthe Kollwitz erinnert sich an ihren toten Sohn

Die Bildhauerin und Grafikerin Käthe Kollwitz (1867–1945) hat ihren Sohn Peter im Krieg verloren; schon im Herbst 1914 ist er in Flandern gefallen. Vier Jahre später hält Käthe Kollwitz die Eindrücke der Revolution in ihrem Tagebuch fest.

Zeitzeugin Käthe Kollwitz: Käthe Kollwitz erinnert sich an ihren toten Sohn
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Sonnabend, 9. November 1918

Heut ist es wahr. Mittags nach ein Uhr kam ich durch den Tiergarten zum Brandenburger Tor, wo gerade die Flugblätter mit der Abdankung verteilt waren. Aus dem Tor zog ein Demonstrationszug. Ich trat mit ein. Ein alter Invalide trat an den Zug und rief: „Ebert Reichskanzler! Weitersagen!“ Vor dem Reichstag Ansammlung. Von einem Fenster herab rief Scheidemann die Republik aus. Dann sprach von der Rampe ein Soldat, konfus und aufgeregt. Neben ihm ein Matrose und ein Arbeiter. (...)

Dann nach den Linden zurück. Das Lastauto gedrängt voll mit Matrosen und Soldaten. Rote Fahnen. Hinter dem Brandenburger Tor sah ich, wie die Wache abtrat. Dann in dem Schwarm bis zur Wilhelmstraße und dann noch ein Stück mit. Soldaten sah ich, die ihre Kokarden abrissen und lachend auf die Erde warfen.

So ist es nun wirklich. Man erlebt es und fasst es gar nicht recht. Immer muss ich an den Peter denken. Ich glaube, wenn er lebte, würde er mittun. Auch er würde seine Kokarde abreißen. Aber er lebt nicht, und als ich ihn zuletzt sah und er am schönsten aussah, hatte er die Mütze mit der Kokarde auf, und sein Gesicht leuchtete. Ich kann ihn mir nicht anders denken.

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