Mögliche Wiedereinführung Debatte um Rückkehr der Wehrpflicht hält an – Skandinavien als Vorbild?

Berlin · Unionspolitiker, Ampelvertreter und Militärexperten sinnieren angesichts des Ukraine-Krieges seit Monaten über eine neue Dienstpflicht. Vorbild könnte das schwedische Modell sein. Doch die rechtlichen und finanziellen Hürden sind hoch.

 Die Wehrpflicht wurde 2011 durch den damaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg ausgesetzt. Ein Fehler, sagen viele.

Die Wehrpflicht wurde 2011 durch den damaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg ausgesetzt. Ein Fehler, sagen viele.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Die Debatte über eine mögliche Rückkehr zur Wehrpflicht nimmt weiter Fahrt auf. Patrick Sensburg, Präsident des Verbandes der Reservisten, hält die Aussetzung für einen Fehler. „Ohne die Wehrpflicht und eine entsprechend nachwachsende Reserve bleibt die Landes- und Bündnisverteidigung ein Potemkin’sches Dorf und das erkennen auch potentielle Aggressoren. Hiervor sollten wir unsere Augen nicht verschließen“, sagt der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete unserer Redaktion.

Der Blick gen Ukraine würde deutlich machen, dass eine moderne Armee auch eine Vielzahl von Reservisten brauche. Derzeit würde aber zu wenig Nachwuchs ausgebildet. „Die Welt hat sich verändert und das wird sie auch weiterhin tun. Bedrohungen für Europa und Deutschland sind wieder ganz real und wir haben die Strukturen abgebaut, die nötig wären, um für diese Veränderungen vorbereitet zu sein“, sagt Sensburg.

Seit der Aussetzung im Jahr 2011 wurde noch nie so hitzig über ein Comeback der Wehrpflicht diskutiert wie derzeit. Zuletzt hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Aussetzung des verpflichtenden Wehrdienstes als Fehler bezeichnet. Widerstand kommt von der FDP: Eine Neuauflage würde Zeit und Geld kosten und gegen die Wehrgerechtigkeit verstoßen, so die Liberalen.

Marineinspekteur Jan Christian Kaack lobte ebenfalls die Vorteile eines Neustarts. Denn: Panzer, Abwehrsysteme und Kampfjets wollen nicht nur gekauft, sondern auch bedient werden. Der Experte sieht Norwegen als Vorbild, wo eine Wehrdienstpflicht für alle Männer und Frauen ab 19 Jahren besteht, die Dienstzeit beträgt zwölf Monate. Eingezogen werden dort rund 15.000 Wehrdienstleistende im Jahr.

Und auch das schwedische Modell wird immer wieder als Option genannt. Schweden hatte die Wehrpflicht 2010 abgeschafft. In der Folge fand das Land jedoch nicht genügend freiwillige Soldaten, 2017 führte die rot-grüne Regierung in Stockholm schließlich die Wehrpflicht wieder ein. Zum 18. Geburtstag werden alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger angeschrieben, pro Jahrgang etwa 93.000 junge Menschen. Von den Befragten werden knapp 19.000 Personen zur Musterung einbestellt, übrig bleiben jährlich 4.000 Personen. Ihr Dienst dauert dann je nach Verwendung sechs bis 15 Monate.

In Deutschland leisten derzeit etwa zwölf Prozent eines jeden Jahrgangs einen Freiwilligendienst im zivilen oder militärischen Bereich. Es sind zwar so viele wie in kaum einem anderen europäischen Land, das Potenzial der Freiwilligkeit ist dabei aber nicht ausgeschöpft, wie eine Studie im Auftrag der Hertie-Stiftung jüngst ergab. Die Autoren der Studie loben ausdrücklich das schwedische Modell. Es würde zeigen, wie Pflichtdienste so gestaltet werden können, dass sie breit getragen werden. Junge Menschen würden zielgruppengerecht angesprochen, zudem sei die Bezahlung anständig. Die Folge: Schweden verzeichnet derzeit ein Hoch an Offiziersbewerbern.

Die Hürden für eine deutsche Rückkehr sind aber hoch: Schließlich fehlt hierzulande die Infrastruktur, um junge Menschen auszuwählen und auszubilden. In den vergangenen Jahrzehnten wurden Kasernen abgewickelt, Bataillone der Truppe gestrichen, Kreiswehrersatzämter geschlossen. Es würde Milliarden kosten, diese Strukturen wieder aufzubauen.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag Johann Wadephul, sieht in Skandinavien ebenfalls „spannende Entwicklungen“. „Es handelt sich dort um eine Art Auswahlwehrpflicht, wo nicht ein ganzer Geburtsjahrgang eingezogen wird, sondern nur so viele Menschen wie benötigt werden. Das ist ein pragmatischer Ansatz, der auch bei einer Dienstpflicht in Deutschland überlegenswert ist“, sagt der Christdemokrat. Es brauche eine ergebnisoffene Debatte in Deutschland. Die Wiedereinsetzung der Allgemeinen Wehrpflicht würde jedoch zu kurz greifen. Auch Organisationen wie das Rote Kreuz oder das Technische Hilfswerk müssten einbezogen werden. „Zweitens wäre heute nicht denkbar, nur junge Männer zu verpflichten“, so Wadephul.

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