Wegen Konjunkturschwäche FDP will Soli schon 2020 abschaffen

Berlin · Der Rückgang der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal beflügelt die Debatte über die Abkehr von der Politik der „schwarzen Null“. Die FDP fordert, den Soli-Abbau von 2021 auf Anfang 2020 vorzuziehen.

 Ein Passant geht an einer Schallschutzmauer an einem aus der Wendezeit stammenden verwitterten Wandbild mit dem Schriftzug «Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost» vorbei.

Ein Passant geht an einer Schallschutzmauer an einem aus der Wendezeit stammenden verwitterten Wandbild mit dem Schriftzug «Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost» vorbei.

Foto: dpa/Jens Wolf

Die leichte Schrumpfung der Wirtschaft im zweiten Vierteljahr hat die bereits laufende Debatte über eine Abkehr von der „schwarzen Null“ im Bundeshaushalt beflügelt. Grünen-Chef Robert Habeck, dessen Partei in Umfragen weiter fast gleichauf mit der CDU liegt, forderte eine „breit angelegte Investitionsoffensive“ für Klimaschutz, die Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen sowie einen höheren Hartz-IV-Satz zur Ankurbelung der Inlandsnachfrage. Zahlen nannte Habeck nicht, er hatte jedoch zuvor schon das Festhalten der großen Koalition an der Nullverschuldung im Haushalt als „Voodoo-Ökonomie“ bezeichnet. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sowie führende Ökonomen fordern, die Politik der „schwarzen Null“ angesichts der Konjunkturschwäche aufzugeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab der Regierung dagegen vor, Ruhe zu bewahren.

Die Wirtschaftsleistung zwischen April und Juni sank um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal, teilte das Statistische Bundesamt am Mittwoch mit. Im ersten Vierteljahr gab es noch ein robustes Wachstum von 0,4 Prozent. Die aktuelle Schwäche resultiert fast ausschließlich aus wachsenden Exportproblemen der Industrie. Wegen des Handelsstreits zwischen den USA und China sind Abnehmer deutscher Produkte im Ausland vorsichtig geworden, ebenso lastet der mögliche harte Brexit auf dem Export. Dagegen stützen die Verbraucher im Inland die Konjunktur. Binnenwirtschaftlich orientierte Unternehmen profitieren von der hohen Konsumnachfrage, die durch den Beschäftigungshöchststand, gute Gehaltszuwächse und niedrige Sparzinsen stimuliert wird.

Nach fast zehn Jahren Aufschwung stehe die deutsche Konjunktur jetzt „auf der Kippe“, sagte Sebastian Dullien, Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Konjunkturforschung und Makroökonomie (IMK). Die Gefahr einer Rezession liege jetzt bei mehr als 40 Prozent. Für das zweite Halbjahr hätten die Konjunkturrisiken wegen des Brexits und der neuen Drohungen des US-Präsidenten in den Handelskonflikten eher zugenommen.

Grünen-Chef Habeck forderte ein aktives Gegensteuern der Regierung durch mehr kreditfinanzierte Ausgaben, begründete dies allerdings weniger mit der schwachen Konjunktur als mit einer drohenden „Strukturkrise“ durch den Klimawandel. Habeck befand sich allerdings in seltener Eintracht mit der Industrie: Auch BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang stellte die Nullverschuldung in Frage. „Die Politik muss rasch kräftige Impulse für die öffentliche und private Investitionstätigkeit setzen“, sagte er. Deutschland habe dafür den finanziellen Spielraum. „Die Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist, ist entscheidender als das Erreichen einer sogenannten schwarzen Null. Finanzpolitisch muss Deutschland jetzt umschalten“, sagte Lang.

Die Bundesregierung wies das am Mittwoch zurück. Ein Sprecher von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, es seien bereits konjunkturwirksame Maßnahmen auf den Weg gebracht worden oder seien geplant - wie die weitgehende Abschaffung des Solidaritätspakts 2021. Er verwies außerdem auf Rekordinvestitionen des Staates. Scholz und Merkel hatten zuvor erklärt, am Prinzip der Politik ohne neue Schulden festzuhalten.

Das halten manche Ökonomen für grundfalsch. „Es ist ökonomisch richtig und vernünftig, Zukunftsinvestitionen über Kredite zu finanzieren“, sagte IMK-Chef Dullien. „Ausgaben in den Klimaschutz und die Dekarbonisierung sind ganz typische Zukunftsinvestitionen.“ Die Schuldenbremse und die „schwarze Null“ seien ökonomisch unvernünftig, weil sie mit ihrer Zielsetzung Staatskonsum und Zukunftsinvestitionen gleich setzten. „Sinnvoll wäre, die Schuldenbremse mindestens um eine goldene Regel zu erweitern, die Schuldenaufnahme im Umfang von Nettoinvestitionen erlaubt“, sagte Dullien.

Die FDP forderte hingegen, den Solidaritätszuschlag komplett abzuschaffen und dies von 2021 auf 2020 vorzuziehen, um die Konjunktur zu stützen. „Wir brauchen mit dem 1. Januar 2020 ein Auslaufen des Soli“, sagte FDP-Wirtschaftssprecher Michael Theurer. Die Union habe beim Soli „nicht wie versprochen geliefert“, sagte Theurer. Anders als die SPD hatte die Union stets propagiert, den Zuschlag von 5,5 Prozent auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer komplett und nicht nur für 90 Prozent der Steuerzahler abzuschaffen. Theurer bezeichnete Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der am Mittwoch den kompletten Soli-Abbau dann in der kommenden Legislaturperiode versprach, in seiner Funktion als „Totalausfall“.

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