Bahn erlässt Baustopp Was wird jetzt aus Stuttgart 21?

Düsseldorf (RPO). Die Bahn hat sich schnell auf die neuen Machtverhältnisse in Baden-Württemberg eingestellt. Der Konzern tritt beim umstrittenen Projekt Stuttgart 21 mächtig auf die Bremse. SPD und Grüne begrüßten den vorläufigen Baustopp von Stuttgart 21 als "nette" Geste. Die beiden Parteien stehen nun vor einer Entscheidung, die das Zeug zum Sprengsatz hat.

Krawalle am Stuttgarter Bahnhof nach der Wahl
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Stuttgart 21 war bei den Wahlen in Baden-Württemberg eines der großen, der entscheidenden Themen. Der Widerstand gegen das Bahnprojekt spülte vor allem die Grünen schon im Herbst auf ein Umfragehoch, das erstmals Träume von einem grünen Ministerpräsidenten keimen ließ. Jetzt sind aus den Umfragen Parlamentssitze geworden und Winfried Kretschmann dürfte tatsächlich in Kürze den Regierungssitz in Stuttgart übernehmen.

Am Dienstag, anderthalb Tage nach der Wahl, reagierte nun auch die Bahn und erließ einen Bau- und Auftragsstopp für das so heiß umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21, bei dem der Stuttgarter Kopfbahnhof in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umgebaut werden soll. Kostenpunkt: geschätzte 4 Milliarden Euro. Grüne und auch die SPD hatten die Bahn dazu aufgefordert. Am Montag tagten bei dem Konzern die Gremien in einer Krisensitzung.

Bloß keine Fakten schaffen

Die Entscheidung der Bahn trägt den neuen politischen Wirklichkeiten Rechnung. Mit der kommenden grün-roten Regierung steht das Projekt mehr in Frage denn je. Die Grünen haben sich klar positioniert. Sie wollen den Umbau nicht und haben angekündigt, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Bahnhof zu verhindern. Etliche ihrer Wähler erwarten von einer Regierung Kretschmann, dass Stuttgart 21 beerdigt wird, und das bitte unverzüglich.

Dass die Bahn sich in Stuttgart vor einem solchen Hintergrund nicht weiter aus dem Fenster lehnen will, ist nachvollziehbar. Bloß keine neuen Fakten schaffen, die die Bevölkerung wieder gegen den Konzern aufbringen könnte. Die Bahn hat ihre Lehren aus dem Proteststurm im Herbst gezogen. Die Wut gärt immer noch. Das wurde noch am Sonntag direkt nach der Wahl deutlich, als radikale Gegner des Projekts am Kopfbahnhof randalierten. Kenner verweisen darauf, dass jede neue Unwägbarkeit Zusatzkosten mit sich bringt. In diesem Licht hat das Bahn-Moratorium etwas Endgültiges. Ob sie den Kraft und den Willen hat sich gegen noch mehr Widerstände zu behaupten? Fraglich.

Im Ministerium bleibt man gelassen

Allerdings ist der Baustopp genauer hingesehen gar nicht so einschneidend wie es klingt. So jedenfalls sah es in einer ersten Reaktion das Stuttgarter Verkehrsministerium, das seit der Wahl von Tanja Gönner (CDU) geschäftsführend geleitet wird. Die Bahn werde nur das machen, was sie seit Beginn der Schlichtung auch tue, sagte ein Sprecher. Es handele sich nach Auffassung des Ministeriums um einen Vergabestopp und um keinen Baustopp. Die Bahn realisiere bei dem Projekt derzeit nur das, was vertraglich und baulich gemacht werden müsse, damit man zeitlich nicht zu sehr in Verzug komme, da dies hohe Kosten verursache.

Fraglich bleibt allerdings, wie lange der Baustopp der Bahn denn eigentlich gelten wird. Bisher gilt die Entscheidung nur bis, sich die neue Landesregierung in Stuttgart gebildet hat. Dann soll es Gespräche geben. Darin werden die Grünen aller Voraussicht nach darauf drängen, den Bau- und Vergabestopp bis zum Ergebnis des Volksentscheids gelten zu lassen. Der grüne Verkehrsexperte Werner Wölfle ließ de Bahn bereits wissen, dass ein Vergabestopp gelten müsse, bis alle Fragen geklärt seien. Einen langfristigen Baustopp wird die Bahn aber kaum mitmachen wollen. Das wäre das Aus für S21, hieß es stets dazu.

Umbau auf Sparflamme

Seit der Schlichtung unter der Federführung von Heiner Geißler fährt die Bahn den Umbau in Stuttgart ohnehin auf Sparflamme. Die Motive sind vergleichbar. Erst soll das Ende des Stresstests abgewartet werden, auf den sich die Konfliktparteien verständigt hatten. Andernfalls würde die Bahn Gefahr laufen, für Umbauten zu investieren, die sie später wieder rückgängig machen muss.
Für Grüne und SPD in Baden-Württemberg sind die Bahnhofspläne ein ernstes Problem. Die Mehrheit der SPD ist im Gegensatz zum grünen Partner für das Projekt. Eine Ja oder Nein Entscheidung. Voraussichtlich werden sich die beiden Parteien kaum einigen können und darauf verständigen, dass das Volk entscheiden soll.

Das ist nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern insbesondere für die Grünen ein höchst riskantes Unterfangen. Nicht rein zufällig sind die radikalen Parkschützer aus Stuttgart strikt gegen einen Volksentscheid. Ob es in Baden-Württemberg zu einer Mehrheit gegen Stuttgart 21 reicht, ist höchst fraglich. Die Bevölkerung auf dem Land lässt das Thema eher kalt, in Städten wie Ulm, die von dem Umbau durch eine neue Hochleistungsstrecke profitieren würden, hat das Projekt zahlreiche Freunde. Sollten aber die Grünen mit der Volksabstimmung scheitern, wären zahlreiche ihrer Anhänger bitter enttäuscht. Ein Absturz in den Sympathien wäre die Folge.

Ein Nein wäre teuer

Sollten sich Schwaben und Badener aber für ein Nein entscheiden, hatte das für eine Regierung Kretschmann auf anderer Ebene höchst unbequeme Konsequenzen. Denn ein Ausstieg wäre immens teuer. Bund und Bahn würden gegen das Land voraussichtlich auf Schadensersatz klagen. Nicht rein zufällig betonte Bahn-Vorstand Volker Kefer bei der Bekanntgabe des Baustopps darauf, dass der geschlossene Vertrag uneingeschränkt und unabhängig vom Bau- und Vergabestopp gelte.

Schätzungen nach müssten Grüne und SPD mit Forderungen in Höhe von voraussichtlich 1 bis 1,5 Milliarden Euro rechnen, der Höhe des Landesanteils, den Baden-Württemberg für seine Beteiligung zugesagt hat. Derartige Aussichten dürften manchem sparsamen Schwaben ein Gräuel sein. Das Land müsste für einen Ausstieg bezahlen, stünde aber mit einem alten Bahnhof da.

Hinter den Kulissen wird indes möglicherweise längst an einem findigen Kompromiss gefeilt, der alle Beteiligten das Gesicht wahren ließe. Dies zumindest berichtet die "Stuttgarter Zeitung". Demnach diskutieren die Grünen, den Kopfbahnhof über einen Tunnel an die Schnellbahntrasse nach Ulm anzuschließen. Die Bahn könnte so die ihr so wichtige ICE-Strecke bekommen und die Stuttgart21-Gegner ihren Kopfbahnhof behalten.

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