Zum 200. Geburtstag Was von Karl Marx in der Politik übrig blieb
Berlin · Zum 200. Geburtstag kommen auch die betont antimarxistischen Parteien an den Wirkungen des Deutschen nicht vorbei.
Zum 200. Geburtstag von Karl Marx kommen auch die betont antimarxistischen Parteien an den Wirkungen des Deutschen nicht vorbei.
Wenn in Trier zum 200. Geburtstag am heutigen Samstag zum Festakt geladen wird und ein tonnenschweres Marx-Denkmal als Geschenk Chinas enthüllt wird, fragt sich auch die Bundespolitik, wie sie mit einem der berühmtesten und wirkmächtigsten Deutschen umgehen soll. Im Thüringer Landtagswahlkampf versuchte es CDU-Chefin Angela Merkel mit der Funktion des Schreckgespenstes und warnte davor, mit der Wahl von Rot-Rot-Grün "Karl Marx in die Staatskanzlei" zu holen. Tatsächlich sitzt dort jetzt der erste Linken-Regierungschef. Marx schreckte also nicht.
"An Marx kommt man nicht vorbei", weiß auch der liberale Gegenpol des Marxismus, FDP-Chef Christian Lindner. Doch er bringt es auf die einfache Formel, wonach die politische Theorie Marx gewesen sei, die politische Praxis aber Murks.
Wie hält es die SPD damit? Als Juso-Chefin konnte sich die jetzige Parteivorsitzende Andrea Nahles noch dafür begeistern. Sie zitierte Marx' Weggefährten Friedrich Engels mit der Prophezeiung, Marx werde über die Jahrhunderte fortleben. Nahles vor zwei Jahrzehnten: "Dem schließe ich mich an!" Jubel unter den Jusos.
Etwas nüchterner, dennoch zupackend sieht es SPD-Vize Ralf Stegner heute: "Das Streben nach einer gerechten Welt und insbesondere Verbesserungen für die arbeitenden Menschen - von diesem Marxschen Erbe steckt auch 200 Jahre später noch ganz viel in der SPD", sagt Stegner unserer Redaktion.
Aber der Sozialdemokrat münzt Marx auch um auf CSU und AfD, indem er das geflügelte Marx-Wort "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" aufgreift. "Bei Anlegen dieser Marxschen Elle an die Bundespolitik darf man mit Blick auf die CSU-Minister, vor allem aber die Rechtspopulisten im deutschen Bundestag und die Perspektive der Bevölkerung allerdings gehörige Zweifel anmelden", so Stegner.
Freundlich-hintersinnig formuliert es Alexander Gauland: "Karl Marx hat unbewusst und ungewollt einen Anteil daran gehabt, den Kapitalismus in Deutschland hin zur sozialen Marktwirtschaft weiter zu entwickeln", erläutert der AfD-Fraktions- und Parteivorsitzende auf Anfrage. Das hindert seine Parteifreunde nicht daran, in Trier zur Demo gegen Marx aufzurufen und an die vielen Opfer des Kommunismus zu erinnern.
Bei der Union wird traditionell eine Nähe zwischen marxistischen Gesellschaftsvorstellungen und christlicher Soziallehre wahrgenommen. Die Bezeichnung von Exponenten des Arbeitnehmerflügels als "Herz-Jesu-Marxisten" kommt aber von politischen Gegnern und ist in der Regel spöttisch gemeint.
Im Kern treffen sich Marxisten und Soziallehre-Anhänger in der Analyse, den Verelendungen in der Industriegesellschaft politisch entgegenwirken zu müssen. Die Instrumente sind völlig verschiedene. Als "Herz-Jesu-Marxisten" waren in der Vergangenheit vor allem der frühere Generalsekretär und inzwischen verstorbene Heiner Geißler und der langjährige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm genannt. Mit Marxismus hatten beide nichts am Hut.
Das ist bei den Linken natürlich ganz anders. Für Gregor Gysi war Marx ein "genialer Philosoph und vor allem ein genialer Ökonom". Aus Sicht des Linken-Politikers seien auch heute Krisen des Kapitalismus zu beobachten, wie Marx sie bereits beschrieben habe.
Gysi fasziniert in erster Linie der Marx-Satz "Proletarier aller Länder, vereinigt euch". Damals wie heute sei darunter zu verstehen, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus zu überwinden. An dieser Stelle sieht auch Gysi eine Nähe zum Christentum, das sich mit seinen Botschaften ebenfalls an alle Menschen gewandt habe.
"Einzelne Aspekte im Denken von Marx sind tatsächlich erstaunlich zeitgemäß", sagt Grünen-Chef Robert Habeck unserer Redaktion. Er verweist etwa auf die Erkenntnis, dass technische Entwicklungen das Selbstverständnis einer Gesellschaft und ihre politischen Werte definieren. "Aber die Annahme, dass der Kapitalismus zwangsläufig zur Revolution und die dann zur Befreiung der Menschen aus Knechtschaft und Entfremdung führen würde, hat sich offenkundig als falsch erwiesen", fügt Habeck hinzu.
Geschichte werde gemacht und sei keine natürliche Entwicklung. Die Politik müsse die Dinge schon selbst in die Hand nehmen. Konkret bedeute das, "den digitalen Kapitalismus zu bändigen und Leitplanken zu setzen".
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es in der Bildunterschrift, das Marx-Monument stehe in Dresden. Richtig ist aber natürlich Chemnitz. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.