Einigung bei Sondervermögen Was mit den 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr geschehen soll

Berlin · Der Knoten ist zerschlagen: In der Nacht zu Montag einigten sich die Ampel-Koalitionäre mit der Union auf die Details zur Bereitstellung des „Sondervermögens Bundeswehr“. Der Kompromiss stieß auf ein geteiltes Echo.

 Soldaten der Bundeswehr haben mit dem Sturmgewehr vom Typ G36 A2 während einer Vorführung hinter Sandsäcken Stellung bezogen. (Archiv)

Soldaten der Bundeswehr haben mit dem Sturmgewehr vom Typ G36 A2 während einer Vorführung hinter Sandsäcken Stellung bezogen. (Archiv)

Foto: dpa/Philipp Schulze

Über Wochen haben die Ampel-Parteien mit den Unionsparteien um das Sondervermögen für die Bundeswehr gerungen. Nun sind sich beide Seiten einig geworden. Ein Überblick, wann das Geld wofür ausgegeben werden soll - und welche Risiken Kritiker sehen.

Welchen Plan verfolgt die Ampel-Koalition mit dem Geld?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte das Sondervermögen Ende Februar in seiner „Zeitenwende“-Rede im Bundestag an. Mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine wurde klar, dass Deutschland sich im Osten der Nato stärker engagieren muss. Die dortigen Verbündeten fürchten, dass sie selbst Ziel von Angriffen werden. Die Ausstattung der Bundeswehr gilt seit Jahren als unzureichend, viele Geräte sind nicht einsatzfähig.

Warum wird das Geld über ein Sondervermögen bereitgestellt?

Um die von der Nato verlangten zwei Prozent Verteidigungsausgaben zu erreichen, müsste der deutsche Verteidigungsetat auf rund 70 Milliarden Euro steigen. Dieses Jahr liegt er bei 50,4 Milliarden Euro. Doch nach den kreditfinanzierten Milliarden-Programmen gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ab dem kommenden Jahr wieder die Schuldenbremse einhalten. Das Sondervermögen hat den Vorteil, dass es nicht unter ihre Vorgaben fällt.

Was soll mit dem Geld angeschafft werden?

Dies legt ein jährlicher Wirtschaftsplan fest. Bereits klar ist, dass die Nachfolge für die betagten Tornado-Jets der Bundeswehr finanziert werden soll. Hierzu hat das Verteidigungsministerium die Beschaffung von 35 US-Tarnkappen-Jets F-35 angekündigt. Hinzu dürften neue Schiffe, Panzer und milliardenschwere Munitionseinkäufe kommen. Zudem soll die Schutzausrüstung der Soldatinnen und Soldaten verbessert werden. Laut Einigung mit der Union soll die Umsetzung des Wirtschaftsplans „von einem beratenden Gremium des Haushaltsausschusses“ im Bundestag begleitet werden.

Wie sehen das die Interessenverbände der Bundeswehr?

Der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, mahnte rasche Investitionen an. Sensburg sagte unserer Redaktion: „Die Rüstungsgüter müssen schnell in der Truppe ankommen - die persönliche Ausrüstung zum Beispiel schon in den kommenden Monaten.“ Auch die Ausstattung mit Waffen, ausreichend Munition, Kommunikationsmitteln und Nachtsichtgeräten müsse noch in den nächsten zwölf Monaten erfolgen, ergänzte Sensburg. „Für die Reserve brauchen wir schon im kommenden Jahr 10.000 Stellen, damit alle Reservisten auch üben und ihren Teil der Landesverteidigung leisten können.“

Bei den größeren Rüstungsgütern gelte es nun, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) bei der Reform des Vergaberechts zu unterstützen, „damit auch diese in den kommenden fünf Jahren alle in der Truppe ankommen und nicht später“, so Sensburg.

Welche Reaktionen gab es aus den Ampel-Reihen auf die Einigung?

Die Einigung zum Sondervermögen für die Bundeswehr ist auf breite Zustimmung in den Ampel-Parteien und der Union gestoßen. Der Sonderfonds sei „ein gewaltiger Schritt für die Sicherheit Deutschlands und Europas“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag. Die Union sieht ihre Forderungen durchgesetzt und wird nun voraussichtlich mit großer Mehrheit für die nötige Grundgesetzänderung stimmen. Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), bezeichnete die Einigung als "wichtigen Moment für die Bundeswehr". Sie sei „sehr glücklich, dass Deutschland endlich seinem Auftrag nachkommt, die eigene Wehrfähigkeit und die im Bündnis damit zu stärken", sagte die Verteidigungsexpertin. Die FDP werde „mit Freude“ der Grundgesetz-Änderung zustimmen.

Haben die Grünen eine Niederlage eingefahren?

Einerseits ja, denn die Forderung der Grünen nach einer Berücksichtigung auch ziviler Cyberabwehr-Projekte bei der Vergabe des Sondervermögens wurde nicht erfüllt. Anderseits zeigte sich Grünen-Chef Omid Nouripor zufrieden über Absprachen zur Stärkung auch der Cybersicherheit. Seine Partei werde sehr genau darauf achten und sich dafür einsetzen, dass es so schnell wie möglich eine Cyberstrategie gebe, damit klar sei, wie viel Geld in diesem Bereich benötigt werde, sagte Nouripour am Montag in Berlin. Er forderte zudem eine rasche Reform des Beschaffungswesens der Bundeswehr. „Wir müssen das Beschaffungswesen effizienter gestalten und die Beschaffung beschleunigen", sagte Nouripour unserer Redaktion. „Im Bermuda-Dreieck zwischen Industrie, Bundeswehr-Bedarfsträgern und Beschaffungsamt steht oftmals nicht im Vordergrund, was am dringendsten gebraucht wird und deshalb kommt es zu Ineffizienzen", so der Grünen-Vorsitzende. Nouripour wies Kritik an der Bundesregierung wegen fehlender Waffenlieferungen an die Ukraine strikt zurück. „Die Waffenlieferungen Deutschlands laufen wie mit den Verbündeten besprochen. Es ist eine tägliche Balance zwischen der Vermeidung einer Eskalation und des notwendigen Beistands für die Ukraine", sagte er.

Wie sieht der weitere Zeitplan aus?

Nach einer Einigung der Bundesregierung mit der oppositionellen Union könnte der Bundestag am Freitag die Grundgesetzänderung beschließen. Darauf liefen die Planungen am Montag hinaus, wie es in der Ampel-Koalition hieß.

Wann sollen die Schulden zurückgezahlt werden?

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) betonte, es werde einen Tilgungsplan für das Sondervermögen geben. „Das soll nicht allgemein in die Bundesschuld umgebucht werden“, sagte Lindner am Montag. Darauf hätten insbesondere FDP und Union Wert gelegt. Während der Inanspruchnahme des Sondervermögens solle das Zwei-Prozent-Ziel der Nato eingehalten werden. Deutschland werde also in dieser Phase die Vorgabe des Bündnisses erfüllen, zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu stecken. „Jetzt planen wir zunächst mal für diese Legislaturperiode mit dem Sondervermögen“, sagte Lindner. Danach allerdings gelte nicht mehr das Zwei-Prozent-Ziel, sondern das „Fähigkeitsprofil“, das die Nato speziell Deutschland zuordnen wird. Darin werde definiert, wie viele Fregatten, Flugzeuge oder U-Boote ein Nato-Mitglied haben muss. 2024 wolle die Nato ohnehin die Vorgaben für die Mitgliedsländer neu definieren. Die Verteidigungsministerin werde in Kürze einen Wirtschaftsplan für das Sondervermögen vorlegen, in dem festgelegt ist, für welche Rüstungsprojekte das Geld im Fonds ausgegeben werden solle. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich bezeichnete ein fixes Zwei-Prozent-Ziel als „vollkommen abstruse Kennziffer“.

Welche Kritik gibt es?

Die Linke will im Bundestag gegen das Sondervermögen stimmen. Die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, übte ebenfalls Kritik. „Mit diesem Ergebnis kann man sich nicht zufriedengeben. Ständig müssen wir uns an allen Ecken und Enden anhören, dass kein Geld da sei, und nun werden mit einem Fingerschnippen 100 Milliarden allein für die Bundeswehr locker gemacht.“ SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sicherte zu, die Ampel-Regierung werde wegen der Sonderschulden für die Bundeswehr „von keinem ihrer sozialen Ziele Abstand nehmen“. Die Frage ist jedoch, ob jedem geplanten Projekt die Mittel zukommen werden, die bei der Verhandlung des Koalitionsvertrags angepeilt wurden.

(jd/mar/has/afp)
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