Vorbereitung für den kompletten Lieferstopp Banges Warten beim Gas: Was macht Putin?

Berlin · Am kommenden Donnerstag endet die Wartung der Ostseepipeline Nord Stream 1. Doch in Deutschland geht kaum jemand davon aus, dass Russland danach wieder Gas in regulärer Menge liefert. Es wird hitzig debattiert, wer im Falle eines akuten Mangels besonders geschützt wird. Wegen der hohen Gaspreise wird auch über neue Entlastungen gestritten.

 Die Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1 enden am kommenden Donnerstag.

Die Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1 enden am kommenden Donnerstag.

Foto: AP/Michael Probst

Momentan fließt kein Gas aus Russland nach Deutschland. Grund dafür sind die Wartungsarbeiten an der wichtigen Versorgungsleitung Nord Stream 1, die am kommenden Donnerstag abgeschlossen sein sollen. Russland nimmt technische Probleme zum Vorwand, warum die Gaslieferungen weiterhin nicht gesichert seien. In Deutschland sieht man das naturgemäß anders.

Was droht nach dem 21. Juli?

Die große Befürchtung ist, dass dauerhaft kein Gas mehr durch die Ostseepipeline fließen wird. Für Deutschland und andere europäische Länder hätte das drastische Konsequenzen. Auf deutschen Druck hin hat Kanada inzwischen eine wichtige Gasturbine geliefert, die die technische Funktionsfähigkeit von Nord Stream 1 sicherstellen soll. Damit will die Bundesregierung Russland zumindest seinen Vorwand nehmen. Doch in Russland wird bezweifelt, dass die Turbine bis Donnerstag eingebaut sein wird. Der russische Staatskonzern Gazprom lässt die Zukunft der Lieferungen im Vagen.

Welche regionalen Unterschiede gibt es?

Sollte Russland die Lieferungen nicht wieder voll aufnehmen, könnte es zunächst vor allem in bestimmten Bundesländern eine Notlage geben, fürchtet die Bundesregierung. Besonders viel Gas wird in den Industriezentren im Westen und Südwesten verbraucht, vor allem in der Chemie-, Glas- und Stahlindustrie. Ein besonderes Problem hat Bayern: Die im oberpfälzischen Waidhaus ankommende Megal-Pipeline liefert nichts mehr, aktuell sind dort ebenfalls Wartungsarbeiten. Lieferungen aus Norwegen, den Niederlanden sowie Flüssiggas-Lieferungen über die Nordsee kommen als erstes im Westen an. „Die Lage ist angespannt und eine Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden“, teilte die Netzagentur am Montag mit. Der Gesamtspeicherstand in Deutschland liegt aktuell bei 64,6 Prozent. Der größte Großhändler Uniper speichert bereits aus wirtschaftlicher Not wieder aus.

Wie würde Gas im Fall einer Mangellage priorisiert werden?

Der Notfallplan Gas sieht vor, dass geschützte Verbrauchergruppen bei einem akuten Mangel weiter versorgt werden. Dazu zählen private Haushalte, Krankenhäuser, Altersheime und Gaskraftwerke, die für die Wärmeversorgung der Haushalte wichtig sind. Die Industrie würde die Gasknappheit also früher zu spüren bekommen. Dagegen wird aufbegehrt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) versicherte am Wochenende jedoch: „Natürlich sind private Haushalte und kritische Infrastruktur wie Krankenhäuser, Altenheime, Pflegeeinrichtungen besonders geschützt.“

Wie entwickeln sich die Preise?

„Die Großhandelspreise sind in Folge der Lieferreduzierung spürbar gestiegen und haben sich zuletzt auf höherem Niveau eingependelt“, erklärte die Bundesnetzagentur am Montag. Doch das ist noch nicht das Ende: „Unternehmen und private Verbraucher müssen sich auf deutlich steigende Gaspreise einstellen.“ Seit Jahresanfang hat sich der Großhandelspreis für Gas mehr als verdoppelt.

Der Energieexperte des RWI-Leibniz-Institutes, Manuel Frondel, erwartet einen weiteren Anstieg der Gaspreise. „Kurzfristig könnten wir noch weitere Preisanstiege sehen, wenn am Donnerstag Nord Stream 1 weiterhin abgeschaltet bleibt“, sagte Frondel. „Über kurz oder lang erwarte ich aber wieder einen Rückgang bei Gaspreis, weil durch die hohen Gaspreise immer mehr neue Gasprojekte in Angriff genommen werden und es dadurch immer mehr Alternativen zu russischem Gas geben wird. Insbesondere sollten wir auch in Deutschland wieder mehr Erdgas fördern, das Gasfeld in der Nähe von Borkum wäre ein Anfang.“ Alexander Sandkamp vom Kieler Institut für Weltwirtschaft mahnt: „Grundsätzlich ist es wichtig, die gestiegenen Gaspreise so zügig wie möglich an die Gas-Kunden weiterzuleiten, um so einen Anreiz zum Energiesparen zu setzen.“ Doch er fordert neue Preismodelle: „Möglich wäre ein progressiver Gas-Tarif, ähnlich der Einkommensteuer. Jeder Haushalt erhält ein bestimmtes Kontingent an Gas, welches zu einem vergünstigten Tarif bezogen werden kann. Ist dieses Kontingent erschöpft, so kann zusätzliches Gas nur zum höheren Marktpreis bezogen werden.“

Welche weiteren Forderungen gibt es?

Industriepräsident Siegfried Russwurm fordert, die aktuellen Priorisierungs-Regeln für einen drohenden langfristigen Gasmangel anzupassen. „Für die harte neue Energie-Realität muss die Politik in Berlin und Brüssel eine neue Regelung schaffen. Diese hat alle Teile der Gesellschaft entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit in die Pflicht zu nehmen“, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie am Montag. In der SPD sieht man das anders. „Zurecht sind soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser und Privathaushalte besonders geschützt. Das ist Ausdruck von Daseinsvorsorge“, sagte die energiepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Nina Scheer, unserer Redaktion. Zugleich aber sei „Energiesparen das Gebot der Stunde“, um Preissteigerungen entgegen zu wirken und Mangel vorzubeugen. „Dies schützt auch Arbeitsplätze“, betonte die SPD-Politikerin. Aus der Opposition wird der Ruf danach laut, einen solchen Notstand abzuwenden. „Warum hat die Bundesregierung nicht längst Energiespargutscheine für Heizungsoptimierung und effiziente Haushaltsgeräte auf den Weg gebracht? Warum kommt die angekündigte Auktionierung für freiwillige Einsparungen in der Industrie erst nach dem Sommer?“, fragte CDU-Vize Andreas Jung. Im Herbst könne es dafür schon zu spät sein.

Wie geht es weiter mit den Entlastungen?

Ampel-Politiker haben bereits neue Entlastungen in Aussicht gestellt. Es gibt verschiedenste Forderungen, aber noch keine Entscheidung. SPD-Energiepolitikerin Scheer setzt auf einen Energiesparbonus, mit dem jede Einsparung zusätzlich belohnt werden soll. „Auf diesem Weg kann Entlastung und Einsparleistung im Vergleich zum Vorjahr miteinander verbunden werden“, sagte Scheer. Der CDU-Vizevorsitzende Andreas Jung fordert, Menschen mit geringem Einkommen besser zu unterstützen. „Mehr Menschen müssen mehr bekommen als beim Heizkostenzuschuss der Ampel. Er ist zu gering und könnte etwa verdoppelt werden“, sagte CDU-Energiepolitiker unserer Redaktion. Zur Entlastung der Geringverdiener sollte es eine weitere Energiepauschale geben. „Denkbar wären weitere Energiepauschalen, die versteuert werden müssen, um so Menschen mit geringeren Einkommen stärker zu entlasten“, fordert der Kieler Ökonom Alexander Sandkamp.

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