Unterschätzte Kleinparteien Politik hinterm grauen Balken

Düsseldorf · Sie werden gerne belächelt, aber in einem immer vielfältigeren Parteiensystem spielen die „Sonstigen“ eine nicht zu verachtende Rolle. Denn einige Kleinparteien haben das zu bieten, was den Großen abgeht: Innovationskraft.

  Blick in den Plenarsaal des Europaparlaments.

Blick in den Plenarsaal des Europaparlaments.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Wenn Vielfalt etwas Positives ist, dann konnten sich die Wähler bei der vergangenen Europawahl glück­lich schätzen. Nie gab es mehr Alternativen bei der Wahl zum Europäischen Parlament. In Deutschland standen 41 Parteien und politische Vereinigungen zur Auswahl. Und die Wähler machten davon durchaus Gebrauch: Entielen bei der Europawahl 2014 bereits 8,9 Prozent der Stimmen auf Parteien, die in die Sammelkategorie der „Sonstigen“ gehören, erhöhte sich der Wert bei der Wahl im Mai nochmals deutlich. 12,9 Prozent der Wahlberechtigen setzten ihr Kreuz jenseits der etablierten Parteien.

Steckt dahinter nur der Frust vieler Bürger auf das ihrer Ansicht nach ungeeignete politische Angebot der traditionellen Parteien, artikuliert sich hier nur blinder Protest? Oder verbirgt sich hinter der gewachsenen Popularität der „Sonstigen“ tatsächlich inhaltlicher Zuspruch? Man muss sagen, dass die Antwort auf diese Fragen nicht leicht fällt. Heinz Behme vom Institut für Demoskopie Allensbach weiß immerhin zu berichten, die Wähler von Klein- und Kleinstparteien seien „überdurchschnittlich häufig Personen, denen bestimmte Themen besonders wichtig sind, sowie Protestwähler, die mit den etablierten Parteien unzufrieden sind“.

Dass es über dieses Wählermilieu nur wenige Informationen gibt, hat technische Gründe. „Jede Partei ist im Einzelnen sehr klein, und es gibt deshalb jeweils zu wenige Befragte in der Umfrage“, erklärt Matthias Jung, Leiter der Forschungsgruppe Wahlen. Generell gelte, dass die Klein- und Kleinstparteien besonders dann etwas mehr Zuspruch erhielten, wenn eine Wahl nach Meinung eines Großteils der Bevölkerung nicht so wichtig ist. „Das wird immer bei der Europawahl sehr deutlich.“

Aber wie lässt sich erklären, dass die „Sonstigen“ sich schon seit Wochen in einem relativen Umfragehoch halten? Dort rangieren die Parteien, die am Wahlabend hinter dem grauen Balken der Stimmverteilungsgrafiken verschwinden, bei der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl derzeit insgesamt bei bis zu acht Prozent. Und dies, obwohl die Kleinparteien im öffentlichen Diskurs praktisch nicht präsent sind. „Wirkliche Schmerzen bereitet eine sonstige Partei den etablierten Parteien meist erst, wenn sie den Einzug ins Parlament schafft“, sagt Heinz Behme.

Dann wird gerne argumentiert, mit zu vielen Parteien drohe eine Zersplitterung der Parlamente, die deren Funktionsfähigkeit gefährde. In Deutschland existiert aus diesem Grund – anders als etwa bei der Europawahl – eine Fünf-Prozent-Hürde. Die Praxis im Europaparlament zeigt jedoch, dass es nicht die Größe einer Partei ist, die die Arbeit der Legislative behindert. Es sind vor allem radikale Kräfte, die die Mehrheitsfindung erschweren und manchmal bewusst Obstruktion betreiben. Hier stellt sich also eher die Frage nach dem Demokratieverständnis politischer Vereinigungen als nach ihrer Größe.

Man wird sich in den Zentralen der größeren Parteien wohl damit abfinden müssen, dass die Konkurrenz der Kleinen eher zu- denn abnimmt. Unkonventionelle Forderungen stoßen bei den Wählern zunehmend auf Resonanz, und die Möglichkeit, politische Meinung auch über soziale Medien zu verbreiten, schafft so etwas wie Waffengleichheit. Im Internet können auch kleinere Parteien ganz groß werden.

Deren Problem ist eher programmatischer Art, denn nicht selten handelt es sich um Nischenparteien. So fordern Die Violetten eine „spirituelle Politik“, die Tierschutzpartei kämpft, man ahnt es, für den Tierschutz, und die thematisch schon breiter aufgestellte Partei Volt strebt vieles an, vor allem aber die Errichtung einer europäischen Republik. Diese teils extreme Fokussierung spricht bei vielen Wählern ein Herzensanliegen an, das von keiner der etablierten Parteien in dieser Form bedient wird. Aber sie verhindert eben häufig auch, dass die Wählerbasis dieser Parteien sich zu einer politisch relevanten Größe verbreitert.

Das soll nicht heißen, dass die Kleinparteien nichts bewegen könnten. Nur wenn ihnen das von Fall zu Fall gelingt, wird es nicht unbedingt auch wahrgenommen. So war es die Ökologisch-Demokratische Partei, die in Bayern das am Ende äußerst erfolgreiche Volksbegehren „Rettet die Bienen“ initiierte – und nicht die Grünen, wie bis heute viele Menschen im Freistaat glauben. Das wird auch daran liegen, dass zwar in der öffentlichen Debatte stets dazu aufgerufen wird, der mündige Bürger solle sich doch bitte bei seiner Wahlentscheidung nicht an einzelnen Personen orientieren. Stattdessen solle man sich für das beste Programm, für die besseren Inhalte entscheiden. Aber zum einen sind die Partei- und Wahlprogramme gerade bei den größeren Parteien von einer ausgeprägten Schwammigkeit. Um nur ja niemanden zu verprellen, strotzen sie nur so vor luftigen, unverbindlichen Formulierungen. Und zum anderen ist es eben doch wichtig, dass bekannte Gesichter die politischen Inhalte vertreten. Programme sind entscheidend, aber sie müssen von glaubwürdigen Personen vermittelt werden.

Trotzdem wäre es klug, die gerne belächelten „Sonstigen“ künftig ernster zu nehmen. Die Ära der Volksparteien, die sich abwechselnd die Klinke zur Macht in die Hand gaben oder in immer größeren Koalitionen regierten, geht dem Ende zu. Das Parteienspektrum spaltet sich in Deutschland schon seit Jahren immer weiter auf. Da sind die etablierten Parteien gut beraten, genau hinzuschauen, welche politischen Wünsche und Sorgen sich im Zuspruch für die Kleinparteien zeigen. Solange diese sich als innovativ erweisen, können sie den demokratischen Wettbewerb beleben. Denn die Wähler – auch die verloren geglaubten – sind heute bereit, häufiger umzudenken.

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