Experten sind skeptisch Was Klamauk im Wahlkampf bringt

Berlin (RP). In diesem Wahlkampf sorgen bisher vor allem Aktionen von Vera Lengsfeld und Horst Schlämmer für Aufsehen. Die sonstige Auseinandersetzung zwischen den Parteien wirkt müde. Im Dienste der Aufmerksamkeit greifen Politiker immer wieder zu Showeinlagen. Der Wähler belohnt die Schlämmerisierung der Politik nicht.

So will Horst Schlämmer Kanzler werden
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Wäre die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und CDU-Politikerin Vera Lengsfeld Praktikantin in einer Werbeagentur und hätte sie von ihrem Chef den Auftrag erhalten: Erziele so viel Aufmerksamkeit wie du kannst, egal womit — dann wäre diese Vera Lengsfeld jetzt sicherlich Mitarbeiterin des Monats.

Denn wer die einstige DDR-Dissidentin bislang noch nicht kannte, weiß spätestens seit ihrer Wahlplakat-Aktion: Das ist die mit dem tiefen Ausschnitt neben der Kanzlerin. Lengsfelds vermeintliche Busenfreundin Angela Merkel war übrigens nicht über das offenherzige Doppel informiert.

11,3 Prozent bei der letzten Wahl

Doch Vera Lengsfeld ist eben keine Praktikantin in einer Werbeagentur, sondern sie ist eine Politikerin, die in den Bundestag einziehen will und die die Geschicke unseres Landes in den nächsten vier Jahren mitbestimmen möchte. Ihr Problem: Sie tritt als CDU-Direktkandidatin in einem Berliner Wahlkreis an, in dem ihr Vorgänger im Jahr 2005 nur 11,3 Prozent der Erststimmen erzielen konnte. Das Direktmandat holte in Berlin-Kreuzberg der Altlinke und Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele.

Von der CDU ist dort kaum die Rede. Das hat Lengsfeld mit ihrem freizügigen Wahlplakat geändert. "Wir haben mehr zu bieten", steht unter ihrem Ausschnitt. Doch der Wähler bleibt irritiert mit der Frage zurück, welche Inhalte diese Kandidatin — außer eben jene in ihrem Dekolletee — zu bieten hat. Die Politikerin Lengsfeld ist jedenfalls von den Reaktionen nicht irritiert und versprach am Wochenende via "Bild am Sonntag", dass sie nochmals nachlegen wolle mit frecher Wahlwerbung.

Wohl keine zusätzlichen Stimmen

Ob ihr dieser Auftritt zusätzliche Stimmen beschert, ist zweifelhaft. Zwar sind die Fernsehprogramme voll mit Klamauk, doch von den Volksvertretern möchten die Wähler doch lieber Antworten auf die Fragen der Finanzkrise, der Arbeitslosigkeit und der Bildungsmisere hören, als mittelmäßige Pointen.

Für Politiker ist die Abkehr vom Ernst im besten Fall eine schwierige Gratwanderung. Prominentes Beispiel für das Scheitern von Spaßpolitik: Guido Westerwelle. Als der FDP-Chef im Wahlkampf 2002 in Fernsehsendungen eine 18 für die angestrebten 18 Prozent unter seine Schuhsohlen klebte, mit dem Guido-Mobil herumreiste, bei "Big Brother" ein Gastspiel gab und seine politischen Botschaften in Lachnummern verpackte, wirtschaftete er seine Partei am Ende auf 7,4 Prozent herunter. Mittlerweile gibt sich Westerwelle äußerst staatsmännisch und siehe da, die FDP verfügt über glänzende Umfragewerte.

Eigentlich eine banale Erkenntnis: Wenn das Wahlvolk der Meinung ist, dass ein Spaßmacher in Deutschland regieren sollte, würde es sicherlich nicht einen Typus wie Guido Westerwelle wählen, sondern dann käme gleich ein Original zum Zuge — beispielsweise Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling. Das Meinungsforschungsinstitut forsa hat das Potenzial einer "Horst-Schlämmer-Partei" bereits ausgelotet. 18 Prozent gaben an, sie könnten sich vorstellen die Partei der Kunstfigur zu wählen.

Schlämmer kommt bei den Wählern an

Doch der Komiker Kerkeling, der einen schmierigen Lokal-Journalisten aus Grevenbroich verkörpert, ist klug genug, bei aller Inszenierung die Grenze zum echten Politbetrieb nicht zu überschreiten. Er begnügt sich damit, als komische Figur der Politik den Spiegel vorzuhalten. Und darin ist er gnadenlos gut. Horst Schlämmer darf alles: Alles versprechen, alles in einfache Botschaften packen, sich danebenbenehmen, sich mit jedem verbrüdern. Schlämmer hat es leicht. Er vermittelt den Eindruck, echt zu sein, und damit kann man Wähler beeindrucken.

Aus diesem Grund zeigen sich Politiker, die gewählt werden wollen, mittlerweile gerne mit Schlämmer. So hatte die Grevenbroicher CDU-Kandidatin Ursula Kwasny mit einem Foto von sich und dem Mann mit dem Schnauzbart Werbung für die Kommunalwahlen in NRW machen lassen. "Das war ein einmaliger Gag", rechtfertigte sie sich, als sie bei dem Komiker und auch in ihrer eigenen Partei auf Kritik stieß.

Rüttgers spielt Gastrolle

Immerhin hat auch NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) eine Gastrolle in Kerkelings neuem Film "Isch kandidiere" übernommen. Selbst der eher spröde wirkende SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier freut sich über gemeinsame Ansichten mit Schlämmer: "Wir sind beide gegen Schweinegrippe."

Doch nicht nur Politikern verrutscht mitunter die Realität. Der ehemalige Chefredakteur des Satire-Magazins "Titanic", Martin Sonneborn, hat seine eigene Partei gegründet, mit der er zur Bundestagswahl antreten will. Gegen die Entscheidung des Bundeswahlleiters seine Partei wegen fehlender Ernsthaftigkeit nicht zuzulassen will Sonneborn nun klagen. Ähnlich wie Hape Kerkeling unternimmt er den Versuch, als Karikatur eines Politikers den Politbetrieb aufzumischen.

Zugleich wagt er das Experiment, Satire weitgehend humorfrei zu präsentieren. Dementsprechend übersichtlich ist seine Anhängerzahl. Bei den Wahlen 2005, bei denen die Sonneborn-Partei zugelassen war, erzielte sie rund 10 000 Stimmen.

(RP)
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