Ex-Finanzminister im Interview Was Hans Eichel Wolfgang Schäuble rät

Berlin (RP). Die Bundesregierung kämpft mit einem monströsen Schuldenberg. Ab 2011 muss sie pro Jahr zehn Milliarden Euro einsparen. Der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) sprach mit unserer Redaktion darüber, welche Schrauben die Bundesregierung nun anziehen sollte.

 Der ehemalige Finanzminister Hans Eichel (SPD) startete in der Regierung Schröder als der "Eiserne Hans", wurde dann aber mit einem neuen Rekorddefizit zum neuen Schuldenkönig. Den Titel hat inzwischen Wolfgang Schäuble (CDU) übernommen.

Der ehemalige Finanzminister Hans Eichel (SPD) startete in der Regierung Schröder als der "Eiserne Hans", wurde dann aber mit einem neuen Rekorddefizit zum neuen Schuldenkönig. Den Titel hat inzwischen Wolfgang Schäuble (CDU) übernommen.

Foto: ddp, ddp

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) muss ab 2011 pro Jahr zehn Milliarden Euro einsparen, will er 2016 die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten. Wie sollte Schäuble jetzt vorgehen, um dieses Ziel zu erreichen?

Eichel Man muss eine realistische Prognose über die wirtschaftliche Entwicklung bis 2016 zugrunde legen. Dabei werden die Wachstumsraten in Zukunft niedriger sein als in der Vergangenheit, darauf hat Bundesbankpräsident Axel Weber zu Recht hingewiesen. Dann muss sich die Regierung Klarheit über ihre künftigen Prioritäten und deren Dotierung und über ihre Einsparpotenziale verschaffen. Auf dieser Basis kann der Finanzminister einen Konsolidierungspfad entwickeln.

Schwarz-Gelb hat sich bis zur NRW-Wahl einen Maulkorb auferlegt, was die Finanzpolitik angeht. Ist das gerechtfertigt?

Eichel Nein, das ist nicht gerechtfertigt. Aber es ist leider üblich, den Bürgerinnen und Bürgern unangenehme Wahrheiten vor der Wahl nicht zu sagen. Leider wollen allerdings viele Bürgerinnen und Bürger unangenehme Wahrheiten gar nicht hören und wählen eher Parteien, die ihnen nur Angenehmes versprechen.

Welche Ankündigungen erwarten Sie am Tag nach der Wahl?

Eichel Ich weiß nicht, ob es schon am Tag nach der Landtagswahl in NRW konkrete Ankündigungen zur künftigen Finanzpolitik geben wird. Was bestimmt kommt: Austgabenkürzungen und Einnahmeverbesserungen, dabei eher Beitragserhöhungen in den sozialen Sicherungssystemen, insbesondere bei der Arbeitslosen- und der Krankenversicherung. Das ist zwar ökonomisch eher der falsche Weg, aber die Regierung hat sich ja so sehr auf Steuersenkungen festgelegt, dass sie Steuererhöhungen kaum vorschlagen kann.

Wie groß muss das Sparpaket sein, das Deutschland jetzt braucht?

Eichel Von 2011 bis 2016 müssten die Ausgaben - wenn man es nur über diese Seite des Haushalts machte - um zehn Milliarden Euro gesenkt werden, 2016 also um 60 Milliarden Euro niedriger liegen als dieses Jahr. Das ist vollkommen illusorisch.

Wie sieht die vernünftige finanzpolitische Strategie für 2011 und Folgejahre aus?

Eichel Im Schnitt normale Wachstumsraten unterstellt, kann nur eine Strategie von Ausgabenkürzungen und Einnahmeverbesserungen erfolgreich sein. Dabei darf nicht übersehen werden, dass wir in bestimmten Bereichen unsere Ausgaben sogar erhöhen müssen, wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen, zum Beispiel bei der Kinderbetreuung, bei Bildung, Forschung und Entwicklung, bei der Infrastruktur.

Welche Steuererhöhungen würden gesamtwirtschaftlich kaum Nachteile bringen?

Eichel Zunächst mal muss man alles daran setzen, die bestehenden Steuergesetze umzusetzen. Also: Kampf gegen Steuerflucht, Steuerbetrug und Schwarzarbeit. Je erfolgreicher wir dabei sind, desto geringer wird der Druck auf Steuererhöhungen sein. Steuererhöhungen sind wirtschaftlich am wenigsten schädlich bei der Lohn- und Einkommensteuer bei höheren Einkommen und bei der Bekämpfung umweltschädlichen Verhaltens, wo sie sogar nützlich sein können!

2011 kann Ihr Nachfolger Wolfgang Schäuble einen "Buchungstrick" nutzen: Er widmet den diesjährigen Zuschuss an die Bundesagentur für Arbeit um in ein Darlehen. Dadurch sinkt das strukturelle Defizit ganz automatisch. Empfehlen Sie Schäuble diesen Schritt?

Eichel Nein, denn damit wird kein Problem gelöst, es wird nur in die Zukunft verschoben. Jeder weiß, dass die Bundesagentur für Arbeit dieses Geld nie zurückzahlen wird.

Schäubles Ressortkollegen fordern insgesamt zehn Milliarden Euro Mehrausgaben gegenüber 2010. Wie sollte Schäuble jetzt vorgehen, blaue Briefe verschicken?

Eichel Mehrausgaben können, wenn überhaupt, nur gegen vollständige, konkrete Deckungsvorschläge genehmigt werden.

Wie kann die Koch-Steinbrück-Liste zum Subventionsabbau beim Defizitabbau helfen? Welche Steuervergünstigungen gehören auf den Prüfstand?

Eichel Man muss die Liste in die Beratungen zum Subventionsabbau einbeziehen, ebenso wie das "Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen" aus dem Jahr 2002, das damals im Bundesrat überwiegend abgelehnt wurde. Alle Subventionen müssen auf den Prüfstand. Die reine Rasenmähermethode hilft nicht, weil es durchaus sinnvolle Subventionen gibt. Eine Einzelbewertung ist als auch unumgänglich.

Für welche Produkte, die derzeit noch mit dem vergünstigten Mehrwertsteuersatz belegt sind, sollte künftig der volle Mehrwertsteuersatz gelten?

Eichel Für alle, ausgenommen die Nahrungsmittel des täglichen Bedarfs, denn das war die ursprüngliche soziale Zielsetzung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes.

Das Gespräch führte Birgit Marschall

(RP)
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