Und keiner hat's gemerkt Was der Bundestag unterm WM-Schutzschirm berät

Berlin · Auch während großer Fußballturniere werden Gesetze beschlossen. In der Regel bekommt es nur kaum jemand mit. So wie vor zwei Jahren, als das brisante Meldegesetz durchgejubelt wurden. Auch in diesem Jahr bewegen sich die Parlamentsthemen unter dem Radar.

Angela Merkel bejubelt Treffer der DFB-Elf gegen Portugal
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Angela Merkel bejubelt Treffer der DFB-Elf

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Foto: dpa, hpl

Wenn es wie am Dienstag müllert, gibt es in Deutschland nur ein Thema. Selbst die Kanzlerin widmet sich voll und ganz König Fußball, reist um die halbe Welt nach Brasilien, jubelt und lässt sich anschließend in der Kabine zu Selfies mit Spaßvögeln wie Lukas Podolski hinreißen.

Doch die Erfahrung aus den vergangenen Jahren lehrt: Politisch ist in den fußball-besoffenen Wochen allergrößte Vorsicht geboten. In schöner Regelmäßigkeit hat der Bundestag Gesetze durchgewunken, oftmals mit brisantem Inhalt.

28. Juni 2012 Deutschland tritt im EM-Halbfinale gegen Italien an und verliert 1:2. Drei Tage lang verarbeitet die Nation das Balotelli-Trauma. Dann erst tut sich auf, was da zu nächtlicher Stunde am Tag des Spiels in gerade mal 57 Sekunden beschlossen wurde: Das Meldegesetz berechtigte Kommunen, ungefragt sensible Daten von Bürgern an Werbetreibende weiterverkaufen zu dürfen.

Die öffentliche Empörung folgt mit drei Tagen Verspätung, als bereits alles beschlossen ist. Selbst Politiker hatten nichts mitbekommen. Am Tag der Abstimmung saßen die meisten Abgeordneten vor dem Bildschirm und guckten zu, wie die DFB-Elf aus dem Turnier gekegelt wurde. Die Bedenken gegen die in letzter Minute in den Entwurf geschriebene Verringerung des Datenschutzes wurden nur "zu Protokoll" gegeben. Erst im Bundesrat wurde das Gesetz nachgebessert.

6. Juli 2010 Die DFB-Elf versetzt das Land mit begeisterndem Fußball bei der WM in Südafrika in Euphorie. Nach dem Tor-Festival gegen Argentinien fiebert alles dem Halbfinale gegen Spanien entgegen. Was fast unbemerkt bleibt: Einen Tag vor dem Spiel beschließt Schwarz-Gelb den Beitragssatz für die gesetzlichen Krankenkassen von 14,9 auf 15,5 Prozent anzuheben. Die Medien berichten pflichtgemäß. Das war's.

Sommer 2006 Nur noch drei Wochen bis zum ersten Spiel bei der WM im eigenen Land. Im Land braut sich ein Sommermärchen zusammen. Wohlwissend, dass die gute Stimmung schwere Entscheidungen leichter zu ertragen macht, beschließt die große Koalition, die Mehrwertsteuer um satte drei Prozent von 16 auf 19 Prozent zu erhöhen. Es ist die größte Steuererhöhung, die die Bundesrepublik jemals gesehen hat.

Und 2014?

2014 stehen wieder Bundestagsssitzungen an. Bis zum 4. Juli sieht der Sitzungskalender Versammlungen vor, dann folgt die Sommerpause. Auf der Agenda stehen unter anderem Haushaltsbeschlüsse, terminiert für Donnerstag, den 26. Juli, den Tag, an dem Deutschland im letzten Vorrundenspiel gegen die USA antritt.

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Foto: dpa, Tobias Kleinschmidt

Die Abgeordneten wollen sich beeilen. "Wir haben jetzt schon Wert darauf gelegt, dass wir möglichst keine Debatten haben, wenn die Deutsche Nationalmannschaft ein Länderspiel hat", sagte CDU-Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer dem Deutschlandfunk. Um Viertel vor fünf soll nach Möglichkeit Schluss sein. Anstoß ist um sechs Uhr.

Die brisanten Fragen sind in Berlin dann allerdings noch offen. Bis zum Finale am 13. Juli stehen in Berlin noch einige wichtige Themen auf dem Programm:

Fracking Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will noch vor der Sommerpause ein Gesetz durchs Parlament bringen, das Fracking ermöglicht. Offiziell wollen Union und SPD die umstrittene Gasförderung aus tiefen Gesteinsschichten in Deutschland durch strenge Auflagen fast unmöglich machen. Derzeit laufen die Gesetzesarbeiten. Linke und Grüne hegen ernsthafte Zweifel, da die Konzerne längst Claims abstecken würden. Die Bierbrauer fürchten um die Reinheit ihres Brauwassers. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte einen Vorschlag noch vor der Sommerpause in Aussicht gestellt. Grünen- Expertin Julia Verlinden fordert ein striktes Verbot: "Die Bundesregierung muss den Eiertanz um das Fracking endlich beenden."

Pofalla An diesem Mittwoch hat der Aufsichtsrat der zu 100 Prozent staatlichen Bahn den Wechsel von Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla zum Bundeskonzern abgesegnet - nur ein halbes Jahr, nachdem sich der CDU-Mann überraschend aus der Regierung verabschiedet hatte. Künftig soll Pofalla als Chef-Lobbyist für die Kontakte zu Politik und Wirtschaft zuständig sein.

Lebensversicherungen Die neuen Regeln, mit denen die Ausschüttungssummen für Kunden gekappt werden, könnten noch während der WM-Wochen beschlossen werden. Zunächst ist der Bundestag an der Reihe, dann der Bundesrat - wahrscheinlich am 11. Juli, zwei Tage vor dem Finale. Für Kunden, deren Vertrag bald endet oder die ihre Police demnächst kündigen, kann das kräftige Einbußen bedeuten. Ziel des Gesetzes ist es, die Versicherungskonzerne zu schützen, die unter den niedrigen Zinsen leiden. Zum 1. Januar 2015 soll ferner der Garantiezins für Neu-Verträge von 1,75 auf 1,25 Prozent gesenkt werden.

Ökostrom Für Solarstrom-Fans könnte sich während der WM Unheil zusammenbrauen.
Noch vor dem Finale sollen Bundestag und Bundesrat die Ökostrom-Reform beschließen. Die meisten Details, etwa zu Förderkürzungen bei Windstrom an Land, sind unstrittig. Aber jetzt kracht es hinter den Kulissen. Wegen steigender Strompreise nutzt eine steigende Zahl von Unternehmen und Bürgern den produzierten Strom selbst - damit fallen sie als Zahler der im Strompreis enthaltenen Netzkosten, Abgaben und Umlagen aus. Daher sollen - anders als zunächst geplant - auch alle Bürger, die sich künftig eine kleine Solaranlage aufs Dach setzen und Strom selbst nutzen, einen "Soli" von 2,5 Cent je Kilowattstunde zahlen.

Pkw-Maut Bis Anfang Juli - wenn gerade die K.O.-Spiele in Gang sind - will Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sein Konzept für eine Pkw-Maut vorlegen - eine Vignette soll es werden, für etwa 100 Euro pro Jahr. Gelten muss sie für alle Pkws, weil das EU-Recht eine Diskriminierung wegen der Nationalität untersagt. Über die Kfz-Steuer sollen inländische Fahrer so entlastet werden, dass sie unterm Strich nicht mehr bezahlen müssen. Wie das klappen soll, ist die große Frage. Es ist ein Baby der CSU: Ihr geht es darum, dass ausländische Autos für deutsche Autobahnen zahlen, wie es deutsche Urlauber in Italien oder Österreich auch tun müssen.

Drohnen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vermeidet das Thema, wenn es irgendwie geht. Die Anschaffung von "unbemannten fliegenden Systeme", wie es im Fachjargon heißt, für die Bundeswehr ist äußerst umstritten. An Popularität gewinnt man mit Kampfdrohnen nicht. Am 30. Juni - der Tag, an dem ein Gruppensieger Deutschland im Achtelfinale stünde - findet nun eine große Anhörung im Verteidigungsausschuss statt. Viele fordern, dass von der Leyen Stellung endlich bezieht - muss sie aber nicht. Wann eine Entscheidung fällt, ist völlig offen.

(pst)
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