10 Jahre Fukushima-Katastrophe Warum Atomkraft kein Heilsbringer gegen den Klimawandel ist

Berlin · Zehn Jahre nach dem Super-GAU von Fukushima gilt die Kernenergie manchen als zukunftsweisende Technologie. Umweltpolitiker und Grüne halten vehement dagegen. Während in Japan die Spätfolgen der Katastrophe noch immer präsent sind, hat Deutschland mit finanziellen Folgen des Atomausstiegs zu tun.

 Zehntausende Atomkraftgegner demonstrierten nach der Katastrophe im japanischen Fukushima für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie.

Zehntausende Atomkraftgegner demonstrierten nach der Katastrophe im japanischen Fukushima für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie.

Foto: dpa/Marijan Murat

Auf den Tag genau zehn Jahren ist es her, dass die Atomkatastrophe von Fukushima ihren Anfang nahm. Am 11. März 2011 bebte vor der japanischen Küste die Erde derart schwer, dass sich ein verheerender Tsunami aufbaute. In der Folge wurden einige japanische Atomkraftwerke beschädigt, besonders schwer das Werk Fukushima Daiichi. Die dichte Aneinanderreihung von Katastrophen zog in Deutschland eine politische Heckwelle nach sich: Bereits drei Tage nach dem Erdbeben, am 14. März, setzte die Bundesregierung die beschlossenen längeren Atomlaufzeiten für drei Monate aus. Ende Juni 2011 war Atomausstieg bis 2022 durch den Bundestag abgesegnet und damit beschlossene Sache. Acht Atomkraftwerke wurden sofort stillgelegt.

Zehn Jahre - der Jahrestag gibt Anlass zu Erinnerung und Mahnung. „Wer meint, Atomkraft wäre nur damals gefährlich gewesen, irrt“, sagt Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. „In Fukushima gibt es auch zehn Jahre nach dem Super-Gau keinen Plan, wie die geschmolzenen Brennstäbe geborgen werden können.“ Verstrahltes Wasser würde einfach in den Pazifik geleitet werden. „Das ist verantwortungslos“, sagt Göring-Eckardt. Deutschland müsse bei Lösung seines Atommüll-Problems einen anderen Weg gehen und brauche „ein streng wissenschaftliches und transparentes Verfahren“.

Die Grundlage für ein solches Verfahren soll das Standortauswahlgesetz von 2017 bilden. Derzeit läuft die Endlagersuche, die von öffentlichen Beteiligungsprozessen begleitet wird.

Zehn Jahre sind zugleich aber eine Zeitspanne, in der sich der Schrecken der Atomkraft offenbar für manche verflüchtigt hat. Und so wird die Kernenergie auch als potenzieller Helfer im Kampf gegen den Klimawandel diskutiert. Kann Atomkraft eine zukunftsfähige Lösung sein? Kann sie den Weg hin zu einer emissionsfreien Energiegewinnung ebnen? Es gibt prominente Akteure, die diese Fragen bejahen. Dazu gehört der US-Präsident. Joe Biden will im Zuge seines ambitionierten Klimaprogramms in die Entwicklung von Atomkraft investieren und setzt dabei auf eine neue Generation moderner Mini-Kraftwerke. Microsoft-Gründer Bill Gates wirbt in seinem neuen Buch mit dem unbescheidenen Titel „Wie wir die Klimakrise verhindern“ für die Kernenergie. Und Friedrich Merz plädierte im Rennen um den CDU-Vorsitz mehrfach für die Entwicklung sogenannter „Dual-Fluid-Reaktoren“. „Das ist eine Energieerzeugung, die sogar mit abgebrannten Kernbrennstoffen möglich wäre und deshalb helfen könnte, das Endlager-Problem zu lösen“, so Merz. Kurzum: Pro-Atom-Argumente werden im Angesicht der Klimakrise offenbar wieder salonfähig.

Allerdings ist Merz’ Position auch in seiner eigenen Partei keinesfalls konsensfähig. „Die Kernenergie mag in manchen Ländern als klimafreundliche Energiequelle gelten, für Deutschland ist das keine Zukunftsoption“, sagt Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag.

Der Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, warnte vor den Gefahren. „Atomkraft darf keine Zukunft haben, das mahnt uns der Fukushima-Jahrestag. Auch wenn es vereinzelte Fürsprecher gibt, verkennen die Befürworter die immensen Risiken der Atomkraft: Auch zehn Jahre nach dem Super-GAU in Japan ist die Gefahr nicht gebannt“, sagte der SPD-Umweltpolitiker.

Noch vehementer ist der Widerstand aus dem Bundesumweltministerium. „Es wäre ein fataler Irrtum, sich von der Atomenergie einen nennenswerten Klimaschutzbeitrag zu versprechen“, sagt Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth. „Mal abgesehen von Unfallgefahr und Atommüll - mit einem Anteil von rund fünf Prozent im weltweiten Energiemix kann sie schon deshalb nichts Substanzielles beitragen.“ Die Atomkraft sei zudem schlicht zu teuer. Laut Flasbarth sei sie „die teuerste Stromgewinnungsoption“, Folgekosten und Risiken eingerechnet.

In Fukushima sind die Folgen der Katastrophe noch immer präsent. „In der Präfektur Fukushima können zehn Jahre danach immer noch Zehntausende nicht zurück in ihre Heimat, ein Gebiet von der Größe der Stadt München ist weiterhin gesperrt und über 20 Millionen Tonnen radioaktiv kontaminierten Abfalls müssen noch entsorgt werden“, sagt Inge Paulini, Präsidentin des Bundesamts für Strahlenschutz. Die Folgen würden für die Bevölkerung und die Umwelt noch Jahrzehnte lang spürbar sein. Paulini zieht daraus diesen Schluss: „Die Risiken der Kernkraft sind selbst für ein hochindustrialisiertes Land nicht sicher beherrschbar.“

In Deutschland sind dagegen die Folgen des Atomausstiegs unmittelbar präsent - und zwar in Form von milliardenschweren Ausgleichszahlungen an die Energiekonzerne. Knapp 2,43 Milliarden Euro erhalten die Konzernen Vattenfall, RWE, Eon/PreussenElektra und EnBW vom Bund als Entschädigung für den Atomausstieg. Mit der Einigung zwischen dem Bund und den Konzernen geht ein zehn Jahre andauernder Rechtsstreit zu Ende. Ausgelöst wurde er vor allem durch die 2011 gekippten Laufzeitverlängerungen. Diese hatte die damalige Bundesregierung erst wenige Monate vor der Fukushima-Katastrophe den Konzernen zugesagt. Danach kam die energiepolitische Kehrtwende und die Konzerne mussten ihre Meiler zu festen Terminen abschalten. Im Zuge des Rechtsstreits hatte das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet, eine Ausgleichsregelung zu erlassen.

Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt sieht in den Milliardenzahlungen vor allem ein Versäumnis der Bundesregierung. Sie seien „die Rechnung für das Hin und Her der letzten Regierungen“. „Der Atomausstieg war bereits rechtssicher vereinbart gewesen. Die erneuten Verlängerungen von Schwarz-Gelb der Laufzeiten haben den Bund Milliarden gekostet“, kritisiert die Grünen-Politikerin.

Umwelt-Staatssekretär Flasbarth hält dagegen. „Manche Kritiker scheinen nicht verstanden zu haben, dass der Großteil des Ausgleichs aus der 2011 parteiübergreifend beschlossenen Beschleunigung des Atomausstiegs resultiert.“ Die Beschleunigung sei richtig gewesen. Die Einigung sei zu einem Preis gelungen, der deutlich unter den Vorstellungen der Unternehmen liege und auch deutlich unter der Summe, die vor einem Schiedsgericht in Washington im Raum stand, erklärt Flasbarth. „Das ist aus meiner Sicht darauf zurückzuführen, dass die gesamte deutsche Energiewirtschaft heute mittlerweile ganz auf die Erneuerbaren ausgerichtet ist und auch die Konzerne strategisch mit der alten Strom-Welt abgeschlossen haben“, sagt Flasbarth.

Und auch die CDU-Umweltpolitikerin Dött  hält das Verhandlungsergebnis angesichts der deutlich höheren Schadensersatzforderung der Konzerne für „vertretbar“. „Wichtig ist, dass wir mit der nun gefundenen Einigung den endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie verfassungskonform unter Dach und Fach bringen“, sagt Dött.

Neben seinem Plädoyer gegen die Atomkraft forderte der SPD-Vizefraktionschef Miersch konkrete politische Maßnahmen. „Es gibt keine sichere Atomkraft. Die Folgekosten, etwa für die Endlagerung, sowie die Risiken der Kernkraft sollten viel stärker eingepreist werden, darum braucht es in der Europäischen Union einen Atom-Preis analog zur CO2-Bepreisung“, sagte Miersch. Ich fordere zudem ein Verbot aller staatlicher Beihilfen beim Bau und Betrieb von Atomkraftwerken in Europa“, so der SPD-Umweltpolitiker weiter.

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