Analyse War Wulffs Rücktritt unnötig?

Berlin · Die Staatsanwaltschaft hat Ex-Präsident Christian Wulff angeboten, das Verfahren wegen Bestechlichkeit ohne Prozess einzustellen. Er soll mit einer Geldzahlung juristische Verantwortung übernehmen. Wie geht es nun weiter?

Die Affäre Christian Wulff
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Foto: dpa, wk cul jol

Das Verfahren gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff nähert sich dem Ende. Sein Anwalt trat gestern in Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft über eine Einstellung des Verfahrens. Dem Vernehmen nach will Wulff das Angebot einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldbuße nicht annehmen. Schon gar nicht, wenn die Staatsanwaltschaft das Vorgehen damit begründet, Wulff übernehme damit juristische Verantwortung.

Was unterscheidet Vorteilsannahme von Bestechlichkeit?

Unter den sogenannten Straftaten im Amt ist die Bestechlichkeit (Paragraf 332 Strafgesetzbuch) im Vergleich zur Vorteilsannahme (Paragraf 331 StGB) das schwerwiegendere Vergehen. Bestechlichkeit setzt voraus, dass der Amtsträger für sich oder einen Dritten eine Gegenleistung dafür fordert, dass er eine rechtswidrige Diensthandlung vornimmt. Bei der Vorteilsannahme genügt die einfache Diensthandlung. Wulff war verdächtigt worden, sich als Ministerpräsident für die Interessen der Filmindustrie und ein Projekt des Produzenten David Groenewold eingesetzt zu haben, der sich mit der (Vor-)Finanzierung von Hotel- und Urlaubsaufenthalten revanchiert habe. Diesen Vorwurf sah die Staatsanwaltschaft offenkundig nicht bestätigt.

Was bedeutet eine Verfahrenseinstellung unter Auflagen?

Das Angebot wie jenes an den Beschuldigten Christian Wulff bezieht sich auf Paragraf 153 a der Strafprozessordnung (StPO). Danach kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts und des Beschuldigten bei einem Vergehen wie zum Beispiel der Bestechlichkeit von der Anklageerhebung absehen und zugleich dem Beschuldigten etwa die Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung auferlegen.

Ist die Auflage eine Art Strafe?

Nein. Die Auflage, der der Beschuldigte zustimmen muss, ist keine strafähnliche Sanktion.

Bedeutet die Annahme der Verfahrenseinstellung unter Auflage ein Schuldeingeständnis?

Nein, auch wenn sie in der Öffentlichkeit leider wie ein verstecktes Schuldeingeständnis wahrgenommen wird. Die Einstellung gemäß Paragraf 153 a StPO bedeutet, dass das Verfahren nicht fortgesetzt wird, ohne dass der Beschuldigte ein Schuldeingeständnis abgelegt hat.

Wer zahlt die Kosten des Verfahrens?

Der Staat. Falls Wulff die Einstellung unter Auflagen ablehnt, das Gericht das Hauptverfahren eröffnet und der dann Angeklagte freigesprochen würde, müsste die Staatskasse neben den Kosten des Verfahrens auch Wulffs Anwaltskosten tragen.

Haben andere Prominente von solchen Angeboten Gebrauch gemacht?

Ja, etwa der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl und der Ex-Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann: Kohl zahlte zur Beendigung der Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz 300 000 Euro. Ackermann zahlte 3,2 Millionen Euro zum vorzeitigen Ende des Düsseldorfer "Mannesmann-Prozesses", bei dem der Verdacht der Untreue im Raum stand. Jährlich werden rund 300 000 Verfahren gegen Auflage eingestellt.

Was wurde aus Wulffs Hauskredit?

Die Finanzierung des Wulff-Hauses stand am Anfang aller Medienrecherchen. Wulff hatte im Landtag versichert, keine Geschäftsbeziehung zum Unternehmer Egon Geerkens zu unterhalten, dabei aber verschwiegen, einen 500 000-Euro-Kredit von dessen Gattin Edith Geerkens zur Finanzierung des Hauskaufes in Großburgwedel bekommen zu haben. Das war der einzige Fehler. Der Kredit selbst ist inzwischen nicht mehr anrüchig. Er wurde durch die Recherchen der Staatsanwaltschaft sogar noch plausibler, weil Wulff dem väterlichen Freund Geerkens zugesagt hatte, im Fall von dessen Tod die Kinder in seinem Haushalt aufzunehmen.

Ist Wulff dann aus allem raus?

Nein. Gegen seinen langjährigen Pressesprecher und Vertrauten Olaf Glaeseker ist Anklage erhoben worden. Dabei geht es um den Vorwurf der Bestechlichkeit im Zusammenhang mit den vom Party-Manager Manfred Schmidt organisierten "Nord-Süd-Dialog"-Veranstaltungen. Wulff hat bei diesen Ermittlungen angegeben, von einigen für das Verfahren wichtigen Urlaubsaufenthalten Glaesekers bei Schmidt nichts gewusst zu haben. Glaeseker widerspricht dem. Möglicherweise droht Wulff hier ein Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage falls ihm nachgewiesen werden kann, doch davon gewusst zu haben.

Hätte Wulff also gar nicht aus dem Amt scheiden müssen?

Wulff hat an seiner Präsidentschaft trotz heftigster Kritik festhalten können, solange die Angriffe "nur" aus Medien und Politik kamen. Erst als die Staatsanwaltschaft ein offizielles Ermittlungsverfahren einleiten wollte und deshalb die Aufhebung von Wulffs Immunität beantragte, sah Wulff keine andere Möglichkeit mehr, das Amt anders als durch seinen Rücktritt zu schützen. Hätte die Staatsanwaltschaft schon damals überblickt, dass die Verdachtsmomente nicht zur Anklage reichen und deshalb auch keine Ermittlungen nötig gewesen wären, hätte diese Entscheidung Wulff im Amt gestärkt und ihm die Fortsetzung ermöglicht. Politisch angeschlagen war er gleichwohl, und zwar weniger wegen der Vorwürfe selbst als vielmehr durch seine Art der Auseinandersetzung damit.

Wo hat er sich denn falsch verhalten?

Mit dem Versuch, durch einen Anruf auf der Mailbox des "Bild"-Chefredakteurs einen Bericht zu unterbinden, hat er sich selbst und sein Amt angreifbar gemacht. Es ging auch nicht als einmalige Entgleisung durch, weil weitere ähnliche Bemühungen Wulffs bekannt wurden. Seine Taktik, immer nur scheibchenweise Recherchen der Medien zu bestätigen und dafür Begründungen zu liefern, die bald wieder als fraglich dastanden, trug mit dazu bei, dass sich die Affäre über Wochen hinzog. Wulffs Rücktritt bestätigte die Erfahrung, dass viele Politiker nicht über den vermeintlichen Skandal selbst stürzen, sondern über den Umgang damit.

(may-)
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