Wahlkampf auf dem Rad Das ganz große Ding des Friedrich Merz

Meschede · Mit dem E-Bike strampelt der CDU-Politiker durch seinen Wahlkreis – und für ein Comeback nach der Zeit von Kanzlerin Angela Merkel. Unterwegs wird klar, wie sehr das Sauerland ihn geprägt hat und ihn erklären kann. Eine Reportage per Rad.

  Friedrich Merz macht Wahlkampf im Hochsauerland per Fahrrad.

Friedrich Merz macht Wahlkampf im Hochsauerland per Fahrrad.

Foto: Gregor Mayntz

Wer an einem ganz großen Ding schrauben will, der findet im Sauerland gleich an zwei Adressen Anschauungsunterricht. Die eine ist die von Friedrich Merz in Arnsberg, die andere die von ITH in Meschede. Der eine ist ehemaliger Unionsfraktionschef und auf dem Weg, im Herbst als Superminister in eine Bundesregierung von Armin Laschet einzutreten. Der andere ist der weltweit führende Systemlieferant für besonders ambitionierte Schraubtechnik. Das Aufeinandertreffen der beiden bietet ganz großes Kino.

Wie eine sportlich durchtrainierte Nachwuchskraft vor dem ungeduldig herbeigesehnten Beginn der Karriere hat der 65-Jährige die Stufen in den vierten Stock des neuen ITH-Bürogebäudes genommen. Er trägt ein edles schwarzes Falke-Polo­shirt mit aufgebügeltem „Merz radelt“-Emblem auf Vorder- und Rückseite, kurze Hose, Sportschuhe und ist mit örtlichen CDU-Politikern in ähnlichen Shirts auf Wahlkampftour durch seinen Wahlkreis im Hochsauerland. Alle mit E-Bikes, die auch die stärksten Steigungen nehmen, das weit gefächerte Sauer­land-Leben zwei Wochen lang intensiv erfassend. Mal Landwirtschaft, mal Soziales, mal Dorf­entwicklung, mal Kultur. Und immer wieder auch Wirtschaft.

So wie jetzt beim wachsenden Mittelständler Industrie-Technik Hohmann. Ganz oben gibt es Kaffee, Kekse und einen sensationellen 360-Grad-Blick auf die Berge ringsum. Während Jörg Hohmann und sein Bruder Frank die Erfolgsgeschichte des Sauerländer Shooting Stars referieren, macht Merz die Beine ganz lang. Entspannt genießt der Mann der Wirtschaft das Heimspiel. Plötzlich richtet er sich elektrisiert auf, lacht laut los. Denn gerade ist das Erfolgsgeheimnis für den Sprung an die Spitze enthüllt  worden: Das Verfahren für das Veredeln des Werkstoffs hört auf den Begriff „Montagevorspannkraft“ und verbirgt sich hinter der Abkürzung FM. Irritiert stoppt Frank Hohmann seinen Vortrag, stimmt dann ins Gelächter ein, als die Merz-Begleiter aufklären: Auch Friedrich Merz firmiert unter „FM“.

Entsprechend geht es weiter. „Wir machen nur die großen Schrauben, nie die kleinen“, sagt Frank Hohmann. Merz schmunzelt. „Wir holen unsere Mitarbeiter aus der ganzen Welt hierher, da spricht dann der Russe mit dem Amerikaner, und die machen dann…“, Merz ergänzt: „...den Weltfrieden“. Und als bei der Betriebsbesichtigung Riesenschrauben mit 34 Zentimeter Durchmesser mit den Worten präsentiert werden: „Das sind schon männliche Schrauben“, nickt Merz und meint: „Das hat was.“

Wenig später vor der Firmentür. „Das hat Spaß gemacht“, fasst der Kandidat zusammen. Und treibt zur Eile, während er sein Rad aufschließt, die verspiegelte Sonnenbrille aufsetzt und den Kinngurt seines Helmes zuklicken lässt. Ein echtes Pokerface. Aber seine Bemerkungen machen deutlich, wie einer tickt, der von Angela Merkel aus dem Weg geräumt wurde, gleich zweimal im Rennen um den CDU-Vorsitz scheiterte und nun als Direktkandidat wie schon einmal bei den Bundestagswahlen 1994 in der Heimat neu anfängt. Es ist der Grundoptimismus des Sauerländers. Ein Leben in drei Sätzen, wie er sie in den folgenden Stunden im Sattel wiederholt einstreut. „Vor der starken Steigung rechtzeitig zurückschalten, das gilt auch für die Politik“, sagt er, als es anstrengend wird. „Von jetzt an geht es nur noch bergab“, zitiert er oben als einen der beiden „meistgebrauchten Sätze im Sauerland. Und der andere? „Da hinten wird‘s schon wieder hell.“

Lange war‘s duster für Merz‘ Ambitionen, in der Bundespolitik ganz nach oben zu kommen. Die Radtour bringt auf jeder Station kleine Lichtblicke. Manchmal strömt eine ganze Nachbarschaft zusammen, um den Polit-Promi zu erleben und sich als Merz-Wähler zu outen. Und auch am Rande des Orts­termins bei einem DRK-Bauprojekt für Betagte und Pflegebedürftige oberhalb von Meschede, fragt die Heimbewohnerin im Rollstuhl mehrfach laut: „Wo ist er? Wo ist der Herr Merz?“ Die Betreuerin schiebt sie in eine bessere Blickposition. Natürlich steht der Kandidat auf, spricht sie direkt an – und stellt fest, dass sie sich von früher kennen. „Vom Rotary“, klärt sie ihre Mitbewohnerin auf, als Merz schon wieder weg ist. Ergänzt um den aktuellen Befund: „Ist immer noch ein Hübscher.“

Der Kandidat befasst sich mit den DRK-Plänen, mit einer Großküche, in der Behinderte und Nichtbehinderte zusammen kochen werden, mit dem grundsanierten Wohnheim, von dessen oberster Etage ihn ein grandioser Blick auf Meschede erwartet. Lächeln lässt ihn das Maskottchen, das er zur Erinnerung geschenkt bekommt: „Lucky“, das Glückliche, heißt das kleine Stoff-Pferdchen. „Wir gehen im Oktober an den Start“, bekommt Merz mit auf den Weg. Er verkneift sich ein „Ich auch.“ Vor der Weiterfahrt eine kleine Stärkung vom Grill. Der Koch schiebt Merz eine Wurst zwischen zwei Brötchenhälften. „Lecker“, sagt Merz, und bejaht die Frage, ob er sich „noch an die Kneipentour damals in Medebach“ erinnert: „Aber wie!“, lautet die Antwort. Als das E-Bike eines Mit-Radlers blockiert, packt Merz bei der Reparatur selbst mit an, geht sofort in die Knie, um das Problem zu lösen. Wohl die Botschaft, dass „Anpacken“ für ihn kein Fremdwort ist.

Weiter geht’s mit Tempo zu einem Wahlkampfstand in der Innenstadt, dann zum Hennesee-Staudamm. Kurze Gespräche übers Hochwasser, das auch hier drohte, aber noch einmal abgewendet werden konnte. Merz sagt, es komme nun darauf an, alle Kräfte zu mobilisieren. Zuerst für die Notversorgung, dann aber auf vielen weiteren Feldern, von der Zukunft des Städtebaus mit Hochwasserschutz bis hin zur überregionalen Raumordnung.

Das Wort Klima fällt hier noch nicht. Erst oben auf dem Berg, bei Landwirt Kotthoff. Unter Jahrhunderte alten Eichen hört Merz, eine Flasche Warsteiner in der Hand, die Appelle der drei Landwirte, die seinen Besuch nutzen, um ihm ins Gewissen zu reden. Für den Klimaschutz brauche jede Kommune strikte Vorgaben. Wer etwa kein Wind­rad wolle, solle sich woanders finanziell beteiligen. „Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir die Landschaft nicht völlig verunstalten“, gibt Merz zu bedenken. Und erntet ein: „Das kann aber nicht heißen, nichts zu tun.“ Worauf er ein „Da bin ich bei Ihnen“ hinterherschickt.

Es ist Abend geworden im Sauerland, die Schwalben kreisen tief um die Gruppe, kommen einem ganz nah, der mit seinen 1,98 Meter alle deutlich überragt. Und der in neun Wochen noch höher hinaus will. Seine Begleiter sind nach einem weiteren Tag voller Zuspruch guter Dinge. Merz rät zur Zurückhaltung. Derzeit reiche es sowohl für Schwarz-Grün als auch für Rot-Grün-Gelb. Das eine wäre dann das Sprungbrett für ihn nach ganz oben, das andere – nun, er will lieber nicht spekulieren. Dafür hat einer wie Merz schon zu viel erlebt.

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