Landtagswahl in Niedersachsen SPD wird stärkste Kraft, Weil kann weiterregieren
Hannover · Die SPD von Ministerpräsident Weil ist ersten Hochrechnungen zufolge als stärkste Partei aus der Wahl in Niedersachsen hervorgegangen. Die Sozialdemokraten kommen nach ARD-Angaben auf 33 Prozent der Stimmen. Platz zwei belegt demnach die CDU mit 27,9 Prozent, gefolgt von den Grünen und der AfD. Die FDP muss um den Wiedereinzug in das Landesparlament bangen.
Die SPD hat die Landtagswahl in Niedersachsen mit klarem Abstand vor der CDU gewonnen. Die Sozialdemokraten erreichten bei dem Urnengang laut den Hochrechnungen von ARD und ZDF von 20Uhr 33,2 Prozent der Stimmen. (2017: 36,9). Die Christdemokraten kamen auf 28,0 bis 28,1 Prozent - ihr schlechtestes Ergebnis in Niedersachsen seit 1955. Sie büßten im Vergleich zu 2017 mehr als fünf Prozentpunkte ein.
Auf den dritten Platz kamen die Grünen mit 14,4 bis 14,5 Prozent - ein Rekordergebnis für die Partei in Niedersachsen. Die AfD konnte ihren Stimmenzahl von der letzten Wahl 2017 fast verdoppeln und kam auf 11,2 bis 11,3 Prozent.
Die FDP stand in den Hochrechnungen beider Sender gegen 20 Uhr bei 4,9 Prozent und würde damit nicht erneut in den Landtag in Hannover einziehen. Auch die Linke schaffte dies mit 2,6 bis 2,7 Prozent erneut nicht.
Die SPD in Niedersachsen hat ihren Erfolg bei der Landtagswahl am Sonntag nach einer Forscher-Analyse ihrem Ministerpräsidenten zu verdanken. „Der Erfolgsfaktor Nummer eins heißt bei der SPD Stephan Weil“, schreibt die Forschungsgruppe Wahlen. „Mit Werten knapp unter der Ministerpräsidenten-Spitzenklasse überzeugt der Amtsinhaber mit seiner Bilanz (gute Arbeit: 71 Prozent) und hohem Ansehen.“ Auf der +5/-5-Skala liege Weil mit 2,1 klar vor CDU-Herausforderer Bernd Althusmann 1,2.
„Als Regierungschef wollen nur 26 Prozent Althusmann, aber 55 Prozent Weil, der das Land nach Meinung der Befragten auch am ehesten durch die unsicheren Zeiten führen kann“, so die Analyse. Gestützt auf viel Zuspruch aus der älteren Generation basiere der SPD-Erfolg auf guter Regierungsarbeit, hohem Vor-Ort-Ansehen und einem überlegenen Spitzenkandidaten Weil. Vom Bund sei dagegen kaum Rückenwind gekommen. Kritik an der Ampel-Koalition im Bund treffe aber vor allem die FDP, die beim Ansehen als Bundespartei (minus 0,2) einbreche.

Niedersachsen wählt einen neuen Landtag
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius sieht nach der Landtagswahl einen klaren Regierungsauftrag für die SPD. Bei einem Abstand von vier bis sechs Prozent auf die CDU dürfe daran niemand einen Zweifel haben, sagte der SPD-Politiker nach den ersten Prognosen am Sonntagabend im Landtag in Hannover. Zwar müsse man den weiteren Abend abwarten. „Aber dass Stephan Weil derjenige ist, der die nächste Regierung anführt, daran dürfte es nach diesem Ergebnis keinen Zweifel geben.“
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat das Ergebnis in Niedersachsen begrüßt. Andere wollten einen Anti-Ampel-Wahlkampf, sagt er in der ARD. „Die Ampel-Parteien haben gemeinsam eine Stimmenmehrheit in Niedersachsen geholt“, sagt Kühnert. Das gebe Rückenwind.
FDP-Parteichef Christian Lindner spricht von einem „traurigen Abend“. Die Liberalen hätten „einen politischen Rückschlag“ erlitten, sagt Lindner in der Berliner Parteizentrale. Ziel in Niedersachsen sei gewesen, einen Linksrutsch zu verhindern, dies sei nicht gelungen. Es sei nicht möglich gewesen, von Berlin aus einen politischen Rückenwind zu organisieren. Gleichwohl bleibe die FDP bei ihrer Forderung, eine ideologiefreie Energiepolitik zu betreiben, sagt Lindner mit Blick auf die Forderung der Liberalen, weitere Atomkraftwerke länger am Netz zu halten.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki schließt eine Diskussion über das Personal seiner Partei nach der Landtagswahl aus. Die Liberalen seien „ein geschlossenes Team“, sagt Kubicki in der ARD. Dies gelte auch für Parteichef Christian Lindner. Es gehe jetzt vielmehr darum, „vernünftige Antworten“ etwa auf die hohe Inflation und die Energiepreise zu finden. FDP-Fraktionschef Christian Dürr äußert sich enttäuscht zum Abschneiden der Liberalen bei der Wahl. „Das schmerzt natürlich, keine Frage“, sagt Dürr im ZDF. „Die Zeiten sind herausfordernd“, fügt der aus Niedersachsen stammende Politiker hinzu. Es gelte jetzt für die FDP im Bund, „sehr konzentriert weiterzuarbeiten“, es stünden schwierige Entscheidungen in den kommenden Wochen an. Wichtig sei jetzt, „ans Land zu denken“.
CDU-Generalsekretär Mario Czaja hat die Niederlage bei der Landtagswahl eingeräumt. „Das ist für uns kein schönes Ergebnis“, sagt Czaja im ZDF. Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD sei es gelungen, „sich von dem Bundestrend völlig abzutrennen“. CDU-Parteivize Silvia Dreher hat das Wahlergebnis als regionales Ergebnis gewertet. „Die Ursachen für die Niederlage in Niedersachsen liegt sicher nicht in einer Äußerung in Berlin“, sagt die aus Niedersachsen stammende Bundestagsabgeordnete in der ARD zu der Äußerung von CDU-Chef Friedrich Merz über den „Sozialtourismus“ ukrainischer Kriegsflüchtlinge. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) habe sich bewusst von der Ampel-Koalition in Berlin abgegrenzt.
Grünen-Parteivorsitzender Omid Nouripour sieht für seine Partei nach dem besten Abschneiden bei einer Landtagswahl in Niedersachsen einen Regierungsauftrag. „Das ist ein riesen Vertrauensvorschuss“, sagt Nouripour im ZDF. „Das ist ein Auftrag, dass wie auch regieren.“
Linken-Chefin Janine Wissler hat sich enttäuscht über das schlechte Abschneiden ihrer Partei geäußert. Doch gab sich die Vorsitzende der Bundespartei am Sonntag in ihrer ersten Reaktion am Sonntagabend auch kämpferisch. Im kommenden Jahr gebe es mindestens drei Landtagswahlen, und auf die werde man sich vorbereiten. „Es braucht eine starke linke Opposition im Parlament, nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern, und darum kämpfen wir.“
AfD-Chef Tino Chrupalla hat das Ergebnis seiner Partei begrüßt. „Ich freu mich, dass wir dieses Ergebnis verdoppeln konnten“, sagt Chrupalla in der ARD. Man sei geeint aufgetreten und habe die richtigen Themen gesetzt. Dass die Wähler sich aus Unzufriedenheit für die AfD entschieden haben, gehöre zur Aufgabe der Opposition, so Chrupalla.
Bis zum Sonntagnachmittag hatten weniger Menschen ihre Stimme abgegeben als vor fünf Jahren. Bis 16.30 Uhr lag die Wahlbeteiligung bei 48,3 Prozent, teilte die Landeswahlleitung in Hannover unter Berufung auf Umfragen in ausgewählten Wahlbezirken mit, in denen Briefwahlstimmen noch nicht berücksichtigt waren. Bei der Wahl 2017 betrug der Wert um 16.30 Uhr 53,38 Prozent. Allerdings wird erwartet, dass der Anteil der Briefwähler dem Trend der vergangenen Jahre folgend diesmal höher ausfallen wird. Vor fünf Jahren hatten 19 Prozent ihre Stimme per Post abgegeben.
Die letzte Landtagswahl in diesem Jahr gilt als Stimmungstest für die Ampel-Koalition in Berlin. Die Energiekrise nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine war auch in Niedersachsen zentrales Thema.
Weil hat sich dafür ausgesprochen, künftig mit den Grünen und nicht mehr wie bisher mit der CDU regieren zu wollen. Bei der Stimmabgabe sprach er mit Blick auf die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Krise von einem besonderen Wahlkampf: „Ich habe noch nie einen Wahlkampf erlebt, wo es so sehr um ganz schwere Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern ging. Das hat auch die Stimmung im Wahlkampf geprägt.“
Die CDU mit Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Althusmann lag bis zuletzt in Umfragen an zweiter Stelle vor den Grünen. Althusmann hat sich offen für eine Koalition entweder mit der SPD, den Grünen oder auch für ein Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP gezeigt. Die Liberalen müssen allerdings um den Wiedereinzug in den Landtag kämpfen. Sollte die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, wird mit neuen Spannungen im Ampel-Bündnis in Berlin gerechnet.
Weil ist seit Anfang 2013 Regierungschef in Hannover. Im Falle einer Wiederwahl könnte er den Rekord von Ernst Albrecht (CDU) als Ministerpräsident mit der längsten Amtszeit in Niedersachsen brechen - dieser führte von 1976 bis 1990 die Landesregierung. Die Wahlperiode des Landtags dauert fünf Jahre.
Die SPD setzte im Wahlkampf stark auf die hohen Beliebtheitswerte von Weil. In Umfragen zum bevorzugten Ministerpräsidenten - Weil oder Althusmann - lag der SPD-Mann regelmäßig deutlich vor seinem Herausforderer. Auch dank dieses Amtsbonus sind die Umfragewerte der SPD in Niedersachsen deutlich besser als im Bund.