Die Grünen nach der Hessen-Wahl Das nächste Hoch

BERLIN · Für die Grünen stellt sich mittlerweile die Frage: Was tun mit der neuen Macht?

Wenn es läuft, dann läuft es. An diesem Abend schon wieder. Hessen hat gewählt. Als für die Grünen bei der Prognose Schlag 18 Uhr ein Zustimmungswert von rund 20 Prozent gemeldet wird, bricht in ihrer Bundesgeschäftsstelle in Berlin Jubel los. Prost! Sie stoßen mit Biobier aus der Oberpfalz auf ihren Erfolg an. Binnen zwei Wochen sind die Grünen bei einer Landtagswahl in einem westdeutschen Flächenland erneut auf dem Sprung zur zweitstärksten Kraft, zu diesem Zeitpunkt noch gleichauf mit der SPD. Dieses Mal hechtet Robert Habeck nicht von der Bühne, wie er es im Glücksgefühl beim Stagediving am Abend der Bayern-Wahl getan hat. Er schickt einen Gruß „an die Kollegen“ nach Wiesbaden: „Das habt ihr super gemacht!“

Doch es gilt das Prinzip Angriff. Habeck hatte die Dinge kurz vor dem Wahltag in Hessen noch einmal sortiert. Aus Sicht der Grünen. Pünktlich vor der Hessen-Wahl holte der Grünen-Chef zum Rundumschlag gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik aus. Habeck blendete drei Jahre zurück. Syrien-Krieg, Flüchtlingsstrom nach Deutschland. Viel zu lange habe die Bundesregierung nach der Methode „Kopf in den Sand“ agiert und trotz Warnungen das Land nicht vorbereitet auf einen Massenansturm aus Syrien und Irak.

Hessen-Wahl 2018 in Bildern - Jubel für Schwarz-Grün
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Die Hessen-Wahl 2018 in Bildern

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Foto: dpa/Boris Roessler

Habeck hatte bereits vor Monaten im Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ der Bundesregierung Managementfehler im Umgang mit der Flüchtlingskrise unterstellt: „Ich will nicht über Angela Merkel richten. Aber im Nachgang muss man sehen, dass da ein vergleichsweise kleiner Fehler zu großen Wirkungen geführt hat.“ Merkel hätte zur Aufnahme von knapp einer Million Flüchtlinge in nur einem Jahr einfach sagen müssen: „Es ist eben einmalig.“

Die Kritik überrascht, schließlich galten die Grünen lange als Unterstützer von Merkels Flüchtlingspolitik. Und nun das?! Vor allem: Warum jetzt? Können die Grünen, die mit der CDU-Chefin als Kapitän auch gerne nach Jamaika gesegelt wären, plötzlich Populismus? Es hört sich so an. Dabei hatte ihnen eine im September veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung bescheinigt: Ein Grund für den Aufstieg der Grünen sei, dass sie als einzige Partei konsequent auf Populismus verzichte. Ein Befund der Untersuchung: „Die unpopulistische Mitte wird zum neuen Markenkern der Grünen.“

Habeck freut sich vor allem darüber, dass es seiner Partei in den vergangenen Monaten gelungen sei, einen Trend zu drehen, wonach Wahlen nur am rechten Rand gewonnen werden könnten. Die Grünen sind auf einer Erfolgswelle, die ihnen selbst Angst machen könnte. Zweimal deutlich zugelegt – neben einer taumelnden SPD. Habeck will die Grünen auf Dauer stärker als die SPD machen. Zu einer Art linksliberalen Volkspartei. Was für Grüne heute tatsächlich radikal ist, wo die Zeit für Radikalökologen oder Radikalpazifisten in ihren Reihen doch lange vorbei ist? „Regieren ist radikal“, sagte der andere Teil der Grünen-Doppelspitze, Annalena Baerbock, unlängst. Zum Regieren in einer nächsten Bundesregierung wollen sich die Grünen fit machen. Bis 2020 soll ein neues Grundsatzprogramm stehen, mit dem die Partei ihr Berliner Programm von 2002 entrümpelt. Baerbock freut sich am Abend: „So grün war Hessen noch nie.“ Habeck und Baerbock müssen sich vor allem fragen: Was tun mit der neuen Macht? In Bayern war es ein Sieg für die Galerie.

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