Analyse zur Landtagswahl in Bayern Parteien ohne Volk

Berlin · Countdown bis zum Niedergang der Volksparteien? Wenn die Demoskopen Recht behalten, bleibt nach der Bayernwahl kein Stein auf dem anderen. In der CSU könnte es zum Machtkampf kommen, der auch Berlin erschüttert.

Wahl 2018 in Bayern: alle Bilder und Eindrücke vom Wahltag
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Foto: dpa/Michel Kappeler

Altkanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Winfried Kretschmann haben eine wenig bekannte Schnittmenge. Es ist die Wissenschaft. Genauer die Politikwissenschaft von Dolf Sternberger, dessen Schüler der Christdemokrat Kohl in den 1950er  war, und den der Grüne Kretschmann bis heute verehrt. Sternberger, der in Heidelberg lehrte und 1989 starb, hat einen Begriff geprägt, der auf einst nicht vorstellbare Weise die christlich, liberale, demokratische Union und die Ökopartei heute zunehmend verbindet: Volkspartei.

Sternberger definierte eine Volkspartei als eine für Bürger aller gesellschaftlicher Schichten und unterschiedlicher Weltanschauungen im Prinzip offene Partei. So wie die CSU in Bayern über Jahrzehnte eine Bindekraft für Wähler von der linken Mitte der Gesellschaft bis weit rechts von ihr – und die SPD von der rechten Mitte bis weit links von ihr und die CDU von allem etwas hatte. Das bröckelt seit Jahren und könnte bei der Landtagswahl am Sonntag in Bayern zu einem desaströsen Riss für Union und SPD führen. Aktuelle Infos zur Wahl finden Sie in unserem Liveblog.

Laut Umfragen jedenfalls droht den Christsozialen ein Absturz von der Stärke einer mit 47,7 Prozent alleinregierenden Partei auf 30 bis 35 Prozent. Die Sozialdemokraten müssen wieder einmal ein historisch schlechtes Ergebnis befürchten, weil von den 2013 errungenen gut 20 Prozent womöglich nur noch 12 übrigbleiben. Ein umgekehrter Verlauf wird den Grünen vorhergesagt: Sie könnten von 8,6 auf 19 Prozent zulegen. Damit wären sie, die als bürgerliche Partei auch Wähler von der Union bekommen, schon fast eine Volkspartei. Auch im Bund liegen sie derzeit mit 17 Prozent an zweiter Stelle hinter der dramatisch einbrechenden Union, die nur noch bei 26  Prozent gesehen wird, und vor der weiter strauchelnden SPD mit 15 Prozent. Die drei – vielleicht muss man bald sagen „ehemaligen“ – miteinander koalierenden Volksparteien CDU, CSU und SPD sind zu dritt derzeit weit von einer Mehrheit entfernt.

Aber erleben wir nicht eine Spirale von immer wieder neuen Umfragen und wieder neue Reaktionen der Politiker, was den Anschein erweckt, dass sie Gefangene dieser Stimmungsbarometer sind? Früher gab es eine Selbstverpflichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wenigstens in den Tagen vor der Wahl keine Umfragen mehr zu veröffentlichen. Medien verzichteten in dieser Zeit auf Interviews mit den Spitzenpolitikern. Das war einmal. Und das sei auch richtig so, sagt Manfred Güllner, Geschäftsführer des von ihm gegründeten Meinungsforschungsinstituts Forsa.

Die Bürger ließen sich nicht von Umfragen beeinflussen und wählten souverän, sagt er unserer Redaktion. Es gebe nur eine kleine Gruppe, die womöglich genau auf die Umfragen schaue: potenzielle Wähler der FDP, die ihre Stimme nicht verschenken wollten, wenn die Liberalen unter der 5-Prozent-Hürde taxiert werden. Derzeit liegt die FDP in Bayern bei 5,5 Prozent (2013: 3,3 Prozent).

Für die Politiker sei es aber enorm wichtig zu wissen, wie es um die Gunst der Wähler bestellt sei. Sie könnten sich dann besser wappnen. Konrad Adenauer habe sich nicht von der Wiederaufrüstung Deutschlands nach dem Krieg abhalten lassen, obwohl eine breite Mehrheit dagegen gewesen sei – und er sei eindrucksvoll wiedergewählt worden, sagt Güllner. Ein Rätsel sei ihm aber die CSU im Umgang mit der AfD. Sie habe nicht verstanden, dass sie diese Partei nur „aushungern“ könne und das geschehe nicht, indem man ihr immer wieder neue Nahrung für die Auseinandersetzung gebe. Parteichef Horst Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder hätten das alles ignoriert und die Wählerschaft so weiter gespalten.

In allen drei einst so stolzen Volksparteien gärt es. Sie lechzen nach Erneuerung, nach Verjüngung, nach Aufbruch, nach Zukunftsfähigkeit im digitalen Zeitalter, was ihre Führungsspitzen nach jahrelanger Regierungsverantwortung nicht mehr ausstrahlen und vielfach auch nicht mehr realisieren können. In Kombination mit schlechten Wahlergebnissen ergibt das eine explosive Mischung, die eine Parteiführung schnell hinwegfegen kann.

Was genau in der CSU in Folge der Bayern-Wahlen passiert, wird die Dynamik des Wahlabends bestimmen und die ist unberechenbar. In der CSU in Berlin ist vor allem der Unmut gegen Parteichef Seehofer sehr groß. Er wird als Störfeuer der Regierung und als Verursacher von zwei Regierungskrisen wahrgenommen. Auch seine eigenen Parteifreunde kommen nicht mehr an ihn heran. Er wird teilweise als verbittert beschrieben. Er selbst aber will seinen Platz als Parteichef und Innenminister nicht räumen - das hat er mehrfach öffentlich betont. Seehofer ist allerdings auch immer für eine Überraschung gut.

Die Wahrscheinlichkeit indes  ist höher, dass er nicht freiwillig abtritt. Er ist noch nicht fertig. Wenn er geht, dann soll auch die Kanzlerin nicht bleiben können. Diese Haltung, wonach er Angela Merkel mit ins politische Aus ziehen möchte, sollte er dorthin befördert werden,  zeichnete sich bereits in der von ihm ausgelösten Regierungskrise um die Flüchtlingspolitik im Juni bei ihm ab. Diese Karte könnte er nach der Wahl in Bayern erneut spielen. Es ist aber fraglich, ob er noch stark genug ist, sie auch als Trumpf zu nutzen.

Zwischen  Söder und Seehofer ist das Tischtuch zerschnitten. Es ist nur schwer vorstellbar, dass den nach den Wahlen in Bayern einsetzenden Machtkampf beide Politiker überstehen werden. Söder hat den großen Vorteil, dass er immer noch in der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag seine Truppen stehen hat. Die Fraktion ist seine Machtbasis, sodass er auch von führenden Parteimitgliedern nicht einfach weggeputscht werden kann. Söder hat noch Rückendeckung in den eigenen Reihen. Um Seehofer aber ist es sehr einsam geworden.

(kd/qua)
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