Erneuter Anstieg Erstmals über 700.000 Waffenscheine in Deutschland
Exklusiv | Berlin · Trotz Rekordwerten in den Vorjahren ist die Zahl der Kleinen Waffenscheine im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Die Polizeigewerkschaft warnt vor Missverständnissen, weil die Waffen echten Exemplaren täuschend ähnlich sind und Menschen verletzen können.
Die Zahl der Kleinen Waffenscheine ist in Deutschland im vergangenen Jahr erneut um knapp 40.000 und damit um sechs Prozent gestiegen. Sie hat damit erstmals die 700.000er Grenze überschritten. Das geht aus einer Umfrage unserer Redaktion unter den 16 Innenministerien der Bundesländer hervor. Die Zahl der Erlaubnisse zum Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen ist mit 10,6 je tausend Einwohner in Schleswig-Holstein am höchsten, dicht gefolgt von 10,6 im Saarland und 9,7 in Nordrhein-Westfalen. Die Gesamtzahl der Kleinen Waffenscheine in allen Bundesländern kletterte von 664.706 Ende 2019 auf 704.251 Ende vergangenen Jahres.
Allein an Rhein und Ruhr stieg die Zahl der Kleinen Waffenscheine binnen eines Jahres von 167.002 auf 174.744. Das ist eine Steigerung von 4,7 Prozent und stellt auf hohem Niveau eine Verlangsamung des Zuwachses dar. In den Vorjahren waren teilweise sogar zweistellige Zuwachsraten verzeichnet worden. Noch sechs Jahre zuvor lag die Zahl in NRW mit 65.553 bei lediglich gut einem Drittel der aktuellen Erlaubnisse. Hessen zählte Ende vergangenen Jahres 58.446 Kleine Waffenscheine, Rheinland-Pfalz 36.176 und das Saarland 14.430.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht die Entwicklung sehr kritisch „Die größte Gefahr dabei ist, dass Schreckschusswaffen äußerlich meist baugleich mit echten Schusswaffen sind, ein Unterschied ist augenscheinlich nicht zu erkennen“, warnte der stellvertretende GdP-Vorsitzende Dietmar Schilff. „Das erschwert der Polizei die Arbeit enorm“, erklärte Schilff. Denn Polizistinnen und Polizisten müssten immer davon ausgehen, dass es sich um eine echte Schusswaffe handele. Zudem könnten Gas-, Schreckschuss- und Signalwaffen auch schwere Verletzungen verursachen, wenn sie aus nächster Nähe auf einen Menschen gerichtet würden.
Die Verständigung der Innenministerkonferenz auf eine Entwaffnung der Reichsbürgerszene hat in den vergangenen Jahren bereits zu mehr als 520 einkassierten waffenrechtlichen Erlaubnissen geführt. NRW zog im vergangenen Jahr 47 Erlaubnisse wieder ein – seit 2018 waren es damit insgesamt 129. Rheinland-Pfalz meldete 50 widerrufene Waffenscheine und 132 eingezogene Waffen aus der Szene. In Hessen kam es im vergangenen Jahr zum Einzug von 20 Waffenerlaubnissen unter Extremisten, darunter zwölf bei Rechtsextremisten, sieben bei Reichsbürgern und einer bei einem Linksextremisten.
Einzelne Bundesländer wie das Saarland oder Bremen meldeten, dass inzwischen keine bewaffneten Reichsbürger mehr bekannt seien, bei einigen anderen Bundesländern sind weitere Widerrufe von Erlaubnissen in der Prüfung oder bereits auf dem Weg. Mehrere Länder haben die Auswertungen für das vergangene Jahr noch nicht vorliegen, sodass sich die Gesamtzahl noch erhöhen dürfte.
Gleichwohl sind in Deutschland derzeit mehr als fünf Millionen Waffen in Privathand verfügbar. Hinzu kommen mehr als 330.000 Waffenteile, die jederzeit zu schussbereiten Waffen zusammengebaut werden können. Allein in Nordrhein-Westfalen haben die Behörden 853.022 schussbereite Waffen registriert, dazu 64.300 Waffenteile. In Hessen waren es 414.415 (plus 29.443 Waffenteile), in Rheinland-Pfalz 359.151 (plus 22.190) und im Saarland 86.399 (plus 5.301)
Die geringste Verteilung von Kleinen Waffenscheinen gibt es den Angaben zufolge in Bremen mit 4,4 je tausend Einwohner, gefolgt von Hamburg (4,6), Sachsen mit (5,2) und Thüringen (6,3). Auch Berlin (6,3), Thüringen (6,6) Mecklenburg-Vorpommern (7,3) und Brandenburg (7,9) liegen unter dem Bundesdurchschnitt von 8,4, den auch Baden-Württemberg erreicht. Bayern (8,6), Rheinland-Pfalz (8,8), Niedersachsen (8,9), Hessen (9,3) liegen wie die drei Spitzenreiter Schleswig-Holstein, Saarland und NRW darüber.