Vorwahlkampf Die Grünen in der Zwickmühle

Berlin  · Der Linkskurs der SPD setzt die Grünen unter Druck, ebenfalls Farbe zu bekennen. Streben sie 2021 ein Linksbündnis an – möglicherweise unter eigener Führung – oder ist die schwarz-grüne Option realistischer?

 Die Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock vor ihrer Parteizentrale in Berlin.

Die Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock vor ihrer Parteizentrale in Berlin.

Foto: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

In der Parteizentrale der Grünen ist alles staubig, viele Wände sind eingerissen, überall hängen Leitungen von der Decke. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner trägt einen grünen Bauhelm und einen schwarzen Mund-Nase-Schutz und genießt den symbolhaften Augenblick:  „Wir bauen erst das Haus um und danach das Land“, sagt er.

Die nur 1400 Quadratmeter große Parteizentrale platzt aus allen Nähten und passt schon lange nicht mehr zu einer Partei, die Kurs auf das Kanzleramt nimmt. Die Grünen sind den Umfragen zufolge mit 16 bis 21 Prozent seit Monaten fast durchgängig die zweitstärkste politische Kraft im Land. In den vergangenen vier Jahren hat sich ihre Mitgliederzahl auf mehr als 100.000 nahezu verdoppelt.

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Während sich die  Parteizentrale im Umbau befindet, sitzen die Grünen politisch in der Zwickmühle. Seit der klaren Ansage der SPD, mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz für ein Linksbündnis in den Wahlkampf zu ziehen, wird es für die Grünen schwieriger, ihre Linie durchzuhalten, selbst keinerlei Koalitionspräferenzen erkennen zu lassen. Wollen sie auch das Linksbündnis mit einer Linkspartei, die außen-, verteidigungs- und finanzpolitisch mit bundesrepublikanischer Tradition brechen will, die Deutschlands internationale Verlässlichkeit über Bord werfen will? Wollen die Grünen ein solches Bündnis, das, wenn überhaupt, nur mit knapper Mehrheit regieren könnte, gar anführen? Und wer von den Parteichefs soll eigentlich als Nummer eins in den Wahlkampf ziehen – Annalena Baerbock oder Robert Habeck? Und setzen die Grünen tatsächlich auf Sieg? Die Grünen haben zwar viele zukunftsweisende Konzepte. Dennoch sind bei ihnen mehr Fragen offen als beantwortet. Die für den Wahlkampf zentrale Entscheidung, wer als Kanzlerkandidat antritt, soll erst in der ersten Jahreshälfte 2021 fallen.

Die Partei hat Wahlforschern zufolge ein erhebliches Potenzial. Die Hälfte der Bevölkerung kann sich vorstellen, Grün zu wählen. Aber offenbar bekommen viele derer, die theoretisch ihr Kreuz bei den Grünen machen könnten, kurz vor den Wahlen kalte Füße. Die Grünen sind schon oft zwischen den Wahlen Umfragekönige gewesen und standen am Wahlabend ernüchtert da.

Ihre Stammwählerschaft ist nicht so üppig. Sie dürfte bei den knapp neun Prozent liegen, die die Grünen bei der vergangenen Bundestagswahl erreicht haben. Alle anderen möglichen Wähler werden wahrscheinlich wissen wollen, ob sie mit einem Kreuz bei den Grünen eine schwarz-grüne Koalition oder ein Linksbündnis stützen. Sollte die Frage unbeantwortet bleiben, könnten sich die Mitte-Wähler, die auf einen Modernisierungskurs mit Augenmaß setzen, dann doch der Union zuwenden.

Die Grünen haben trotz ihrer in der Corona-Krise zwischenzeitlich gesunkenen Umfragewerte gute Chancen, ihr zentrales Thema im Wahlkampf zu spielen: Wenn die Corona-Krise tatsächlich mit einem wirksamen Impfstoff bewältigt werden kann, dann werden auch die Klima-Fragen wieder in den Mittelpunkt rücken. Mit Hitzesommer, Waldbrandgefahr und Wasserknappheit ist der Klimawandel in den Alltag der Menschen vorgedrungen. Die für den Erfolg der Grünen im Wahlkampf 2021 entscheidende Frage wird sein, ob die Wirtschaftseinbrüche so groß sind, dass Klimarettung und schnelle Ankurbelung der Ökonomie nicht mehr zusammenpassen. Oder ob es den Grünen gelingt, der traditionellen Industrie- und Verkehrspolitik von Union und SPD ihre radikal ökologischen Konzepte mit Erfolg entgegenzusetzen. Anders als in früheren Zeiten erklären die Grünen auch nicht mehr so genau, wie sie eigentlich die umfangreichen Investitionen in den Klimaschutz und den Sozialstaat finanzieren wollen.

Derweil kommt der Umbau der Parteizentrale voran. Die Grünen benötigen vor allem Schreibtische: Die Mitarbeiterzahl hat zugenommen und wird weiter steigen. Die Stammbelegschaft bestehe nur aus 65 Menschen, zur Hochzeit des Wahlkampfs wolle man aber 125 Leute beschäftigen, sagt Kellner. So soll der knapp bemessene Raum effektiver genutzt werden. Küchen werden in Büros verwandelt, Großraumbüros geschaffen und im Innenhof des früheren Mietshauses zwei neue Pavillons errichtet. Geheizt und gekühlt wird selbstverständlich voll ökologisch – mit Erdwärme aus dem Boden und Solarzellen auf dem Dach.

 Auf die Details kommt es an: Die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock bei einem Termin im November 2019 in Berlin. Baerbocks Handhaltung dürfte manchen schon an Angela Merkels Raute erinnert haben.

Auf die Details kommt es an: Die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock bei einem Termin im November 2019 in Berlin. Baerbocks Handhaltung dürfte manchen schon an Angela Merkels Raute erinnert haben.

Foto: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

Ein Umzug in einen schicken Neubau, ähnlich den repräsentativen Parteizentralen von CDU und SPD, kam für die Grünen nicht infrage. Kellner sagt: „Wir wollen ein kleines schlagkräftiges Team sein und nicht so ein bräsiges Dickschiff.“ Der bescheidene, gelb gestrichene fünfstöckige Bau liegt immerhin näher am Kanzleramt als die Parteizentralen von CDU und SPD. Fünf Minuten mit dem Fahrrad.

(qua)
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