EuGH-Urteil Deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht

Luxemburg · Die deutsche Vorratsdatenspeicherung ist mit EU-Recht nicht vereinbar. Ohne Anlass dürften die Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger nicht gespeichert werden. Das entschied der Europäische Gerichtshof am Dienstag in Luxemburg.

 Das Logo des EuGH (Symbolbild).

Das Logo des EuGH (Symbolbild).

Foto: dpa/Arne Immanuel Bänsch

Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität können die Mitgliedstaaten jedoch unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit insbesondere eine gezielte Vorratsspeicherung und/oder eine umgehende Sicherung solcher Daten sowie eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen vorsehen, erklärten die Richter.

Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung war hoch umstritten. Es ging um die Frage, ob Internetprovider und Telekommunikationsanbieter die Daten ihrer Kunden - also beispielsweise IP-Adressen und Rufnummern - für den Zugriff von Behörden speichern müssen. Das sieht das Telekommunikationsgesetz vor, das derzeit auf Eis liegt. Während Sicherheitspolitiker darin ein zentrales Instrument im Kampf gegen organisierte Kriminalität, Kinderpornografie und Terrorismus sehen, halten Bürgerrechtler und Verbraucherschützer das für einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre.

Hintergrund des nun gefallenen Urteils war ein Rechtsstreit der Bundesnetzagentur mit dem Internetprovider SpaceNet und der Telekom, die sich gegen die Speicherpflicht im Telekommunikationsgesetz wehren. Die Bundesnetzagentur hatte diese Regelung bereits 2017 auf Eis gelegt, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden hatte, dass SpaceNet nicht zur Speicherung der Daten verpflichtet werden darf. Das war wenige Tage, bevor die neue Regel eigentlich in Kraft treten sollte.

Die Linie der Richter war auch bei diesem Urteil am Dienstag eindeutig: Das anlasslose Speichern von Kommunikationsdaten verstößt demnach grundsätzlich gegen EU-Recht. Eine Ausnahme gilt bei einer akuten Bedrohung der nationalen Sicherheit. In diesem Fall kann eine zeitlich begrenzte, begründete Datenspeicherung zulässig sein. Der Begriff der nationalen Sicherheit wird aber eng gefasst: Erst im April entschied der EuGH zur Vorratsdatenspeicherung in Irland, dass schwere Straftaten wie Mord nicht darunter fallen. In seinem Gutachten zum vorliegenden deutschen Fall bekräftigte der EuGH-Generalanwalt die vorherigen Urteile und stärkte die Position von Datenschützern.

Schon vor dem Urteilsspruch ist klar, dass es in der Koalition schwierig werden wird, hier eine gemeinsame Linie zu finden. Denn in den Koalitionsverhandlungen hatte die FDP mit Macht auf eine Vereinbarung zur Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung gedrungen. Die Grünen sehen dieses Instrument ebenfalls kritisch. Anders positioniert sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die SPD-Politikerin hatte kürzlich beim Jahresempfang der Sicherheitsbehörden betont, Polizei und Verfassungsschutz bräuchten Eingriffsbefugnisse auf der Höhe der Zeit.

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP landete im vergangenen Herbst schließlich eine Formulierung, die viele Fragen offenlässt. Dort heißt es: „Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können.“

Für FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle ist klar: „Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist ein totes Pferd, von dem auch die Bundesinnenministerin schnell absteigen sollte.“ Er findet: „Pauschal alle Verbindungsdaten aller Menschen zu speichern, passt nicht in eine liberale Demokratie.“ Schließlich sei der Schutz der Bürgerrechte ein gemeinsames Anliegen der Ampel-Koalition, dem sich alle Koalitionspartner verpflichtet fühlen sollten.

Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ist ein entschiedener Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Er setzt stattdessen auf ein Quick-Freeze-Verfahren mit Richtervorbehalt. Das bedeutet, dass ein Telekommunikationsanbieter auf richterliche Anordnung bei einem Anfangsverdacht Daten zu einzelnen Nutzern für einen bestimmten Zeitraum speichern müsste. Dieses Verfahren hat auch der EuGH in den vergangenen Jahren als rechtmäßig beurteilt.

Im Koalitionsvertrag ist Quick Freeze allerdings nicht explizit erwähnt. Viele Ermittler halten dieses Verfahren für keine brauchbare Alternative zur Vorratsdatenspeicherung - etwa wenn es darum geht, Menschen aufzuspüren, die im Internet Darstellungen vom sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen tauschen.

(felt/AFP)
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