Nach Hartz-IV-Urteil Von der Leyen will höhere Leistungen

Karlsruhe (RPO). Nach dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sollen die Leistungen für bedürftige Kinder angehoben werden. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen will vor allem in Bildung investieren. Sozialverbände und Opposition fordern eine Erhöhung der Regelsätze.

Was Hartz-IV-Empfänger nun beachten sollten
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Foto: APN

Von der Leyen hat nach dem wegweisenden Urteil höhere Leistungen für die Bildung bedürftiger Kinder in Aussicht gestellt. Die CDU-Politikerin ließ vor Journalisten in Karlsruhe am Dienstag aber offen, ob dazu die Regelsätze angehoben oder Sachleistungen angeboten werden. Klar sei aber, dass etwas für die Bildungschancen der Kinder von Hartz-IV-Empfängern getan werden müsse. Und dies könne auch nicht an zu wenig Geld wegen der Haushaltsprobleme des Bundes scheitern.

Trotz der Niederlage des Bundes begrüßte von der Leyen ausdrücklich das Karlsruher Urteil, in dem eine neue Berechnung der Regelsätze sowohl für Kinder als auch Erwachsene gefordert wird. Die Ministerin sprach von einem "guten und wichtigen Tag für die Kinder". Die Verfassungsrichter hätten die Grundlage der Berechnung für das Arbeitslosengeld II bestätigt, aber die Abschläge daran in Frage gestellt, wie sie vor allem für Kinder üblich sind.

Sie habe bereits eine Expertengruppe in ihrem Ministerium eingesetzt, die jetzt mit Hochdruck daran arbeiten werde, die erforderlichen Schlussfolgerungen aus dem Urteil zu ziehen. Von der Leyen sprach von einem engen Zeitrahmen, den das Gericht gesetzt habe, denn die notwendigen Zahlen zur Bedarfsermittlung würden erst im Herbst vorliegen. Dennoch müsse das neue Gesetz zur Berechnung der Regelsätze schon zum Jahreswechsel in Kraft treten.

FDP-Abgeordneter fordert Kürzung

Die Unionsfraktion erwartet nicht unbedingt, dass höhere Ausgaben auf den Bund zukommen. "Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Höhe der Hartz IV-Sätze festgelegt, sondern es verlangt, dass die Sätze in einem transparenten Verfahren nachvollziehbar zustande kommen", sagte Unionsfraktionsvize Michael Meister (CDU) dem Handelsblatt.

Das Verfahren könnte auch so transparent ausgestaltet werden, dass die Sätze in Städten mit höheren Lebenshaltungskosten höher sind als in Gegenden mit niedrigem Preisniveau, schlug Meister vor. Dann würden die Sätze in manchen Gegenden vermutlich sinken. Teurer werde es für den Bund allerdings in diesem Jahr, für das ein Zuschlag an Familien mit schulpflichtigen Kindern fällig werde. "Diesen müssen wir jetzt schnell bestimmen und in den Etat 2010 noch einarbeiten", so Meister.

Der Berliner FDP-Bundestagsabgeordnete Martin Lindner hat sich für eine Kürzung der Regelsätze ausgesprochen. "Eine Neujustierung der Bundesregierung sollte ohne Kürzungen der Regelsätze nicht vonstatten gehen", sagte Lindner unserer Redaktion. Gleichzeitig sollten die Hinzuverdienstgrenzen deutlich erhöht werden, um mehr Anreize zu schaffen, eine Arbeit aufzunehmen. "Das Lohnabstandsgebot wird faktisch unterlaufen", so Lindner. Das Karlsruher Urteil sehe jedenfalls "keinen Automatismus" für eine Erhöhung der Regelsätze vor, warnte er.

Erhöhung der Regelsätze gefordert

Die Linkspartei Urteil als "Chance zur Armutsbekämpfung" begrüßt. Nun müsse die Bundesregierung endlich klar definieren, was zum Existenzminimum gehöre, erklärte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin Elke Breitenbach am Dienstag in Berlin. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass die Neuberechnung zu einer generellen Anhebung der Regelsätze führen werde.

Eine Neuregelung könnte den Staat nach Ansicht von Grünen-Fraktionschefin Renate Künast bis zu 10 Milliarden Euro kosten. Künast sagte, die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer sauberen Berechnung der Regelsätze werde mit Sicherheit zu einer Erhöhung der Bezüge führen.

Besonders bedeutsam seien dabei die Sätze für die 1,8 Millionen betroffenen Kinder. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei nun in der Pflicht und müsse noch vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai eine Lösung finden, forderte Künast. Die Regierung solle sich nicht hinter dem Wahltermin verstecken. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Mehraufwendungen für "Hartz IV" im Bundeshaushalt dürfe es keine Steuerentlastung und keine Kopfpauschale im Gesundheitswesen geben, forderte Künast.

Applaus von Sozialverbänden

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert ebenfalls eine rasche Anhebung der "Hartz IV"-Sätze. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach plädierte am Dienstag für die Einsetzung einer unabhängigen Kommission, um Empfehlungen abzugeben. Die Entscheidung dürften "nicht wie bisher Ministerialbürokraten hinter verschlossenen Türen" treffen. Die Anhebung der Regelsätze müsse außerdem verbunden werden mit einer "flächendeckenden Lösung", um Lohndumping zu beseitigen und den Niedriglohnsektor einzudämmen.

Sozialverbände werten die Neuregelung der rechtswidrigen "Hartz IV"-Sätze lediglich als "ersten Schritt" zu mehr Gerechtigkeit. Die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche Kinderschutzbund, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und das Zukunftsforum Familie begrüßten am Dienstag das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Höhere Kinderregelsätze lösten aber nicht die grundsätzlichen Systemmängel in der deutschen Familienförderung.

Das System sei "insgesamt sozial ungerecht, bürokratisch und intransparent", kritisierte der Vorsitzende des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers. Kinderfreibeträge und Steuererleichterungen bevorzugten "nur gutverdienende Familien, während Sozialgeldbezieher nicht mal von der Kindergelderhöhung profitieren". Mittlerweile würden mehr als 2,4 Millionen Kinder in Deutschland offiziell als arm eingestuft. Nötig sei also ein grundlegender Systemwechsel.

"Schallende Ohrfeige" für Bundesregierung

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat das Urteil als schallende Ohrfeige für die Bundesregierung bezeichnet. "Es ist ein Skandal, dass Richter die Würde des Kindes vor dem Gesetzgeber und der Bundesregierung schützen müssen", erklärte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider am Dienstag. "Von der manipulativen und willkürlichen Festsetzung der Regelsätze für Minderjährige hat das Gericht glücklicherweise nichts übrig gelassen", fügte er hinzu. Es werde nun eine deutliche Anhebung der Kinderregelsätze erwartet.

Nach Berechnungen des Verbandes müssen die Regelsätze je nach Altersgruppe um bis zu 20 Prozent angehoben werden: für Kinder unter sechs Jahren auf mindestens 254 Euro, für die Sechs- bis 13-Jährigen auf 297 Euro und für Jugendliche ab 14 Jahren auf 321 Euro. Hinzukommen die vom Bundesverfassungsgericht ab sofort angemahnten einmaligen Leistungen bei Härtefällen.

(apd/ddp/ndi)
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