Die wichtigsten Begriffe Das ABC der Flüchtlingsdebatte
Berlin · Von Asylrecht über Menschenrechtskonvention bis Obergrenze – was es mit diesen Begriffen aus der Migrationspolitik auf sich hat, jenseits aller politischen Streitereien.
Angesichts der hohen Zahl von Asylbewerbern und Geflüchteten aus der Ukraine wird über den richtigen Kurs in der Migrationspolitik gestritten. In der politisch aufgeheizten Debatte wird mit vielen Begriffen jongliert, die selten erklärt und oft missverstanden werden. Zeit für einen Überblick.
Individuelles Asylrecht
Das Individualrecht auf Asyl ist im Grundgesetz verankert. In Artikel 16a heißt es: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten weltweit wird in Deutschland jedem politisch Verfolgten ein Asylanspruch garantiert, der vor Gericht eingeklagt werden kann. Als „politisch Verfolgte“ gelten Menschen, denen in ihrem Heimatland schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, die vom Staat ausgehen – etwa aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, politischen Überzeugung, Religion oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Die Verankerung des Asylrechts in der Verfassung ist in Folge der politischen Verfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus entstanden.
Genfer Flüchtlingskonvention
Neben dem Asylrecht gibt es einen Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Die Abgrenzung der beiden Regelungen ist kompliziert. So gilt der Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention für Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen – wobei die Verfolgung nicht zwingend vom Staat ausgehen muss. Voraussetzung für diesen Flüchtlingsstatus ist auch, dass sich die Verfolgten außerhalb ihres Heimatstaates befinden. Menschen, die entweder eine Asylberechtigung oder einen Flüchtlingsstatus haben, dürfen drei Jahre in Deutschland bleiben. Nach fünf Jahren können sie einen unbefristeten Aufenthaltstitel erhalten, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind – etwa ausreichende Deutschkenntnisse oder der Nachweis, den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Asylkompromiss von 1993
Aktuell wird ein parteiübergreifendes Übereinkommen zur Begrenzung der Migration nach dem Vorbild des Asylkompromisses von 1993 diskutiert – die Union will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) davon überzeugen. Damals setzten Union, FDP und SPD eine Grundgesetzänderung durch und schränkten das individuelle Asylrecht deutlich ein. Hintergrund war der starke Anstieg der Asylbewerberzahlen vor allem aus dem damaligen Jugoslawien. Seitdem können sich Menschen, die über einen sogenannten sicheren Drittstaat einreisen, nicht mehr auf das Asylrecht berufen. Gleiches gilt für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten.
Sicheres Herkunftsland
Damit Länder sind gemeint, bei denen aufgrund der politischen Verhältnisse davon ausgegangen werden kann, dass dort keine staatliche Verfolgung oder unmenschliche Behandlung droht und der jeweilige Staat vor nichtstaatlicher Verfolgung schützen kann. Als sichere Herkunftsstaaten gelten derzeit alle EU-Mitgliedsländer, die Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Serbien sowie Ghana und Senegal. Auch Georgien und Moldau sollen in diese Liste aufgenommen werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf muss aber noch von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Laut Bundesinnenministerium (BMI) sind Asylanträge von Asylbewerbern aus einem dieser Länder „in der Regel als offensichtlich unbegründet abzulehnen“. Grundsätzlich legt der Gesetzgeber fest, welche Herkunftsstaaten als „sicher“ eingestuft werden.
Sicherer Drittstaat
Gleiches gilt für sichere Drittstaaten. Als Drittstaat ist grundsätzlich ein Land zu verstehen, das ein Geflüchteter passiert, bevor er Deutschland erreicht. Als „sicher“ gelten nach deutschem Asylrecht solche Staaten, in denen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention eingehalten werden. Konkret sind das alle EU-Staaten sowie Norwegen und die Schweiz. Damit gelten alle Nachbarländer Deutschlands als sichere Drittstaaten. Laut BMI ist der Grundgedanke dahinter, dass ein Ausländer, der bereits in einem Drittstaat vor Verfolgung geschützt war, in Deutschland nicht (erneut) Asyl beantragen können soll.
Obergrenze
Es ist ein vorbelasteter Begriff. Der frühere CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer brachte eine „Obergrenze“ von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr ins Spiel, nachdem 2016 mehr als 700.000 Asylanträge in Deutschland gestellt wurden. In seiner Zeit als Bundesinnenminister konnte Seehofer die eigene Forderung nicht umsetzen, wobei der Koalitionsvertrag der großen Koalition von 2018 einen atmenden Deckel von „von jährlich 180.000 bis 220.000“ enthielt. Kürzlich legte sein Nachfolger Markus Söder nach und forderte eine „Integrationsgrenze“ von 200.000 Geflüchteten pro Jahr. Rein rechtlich lässt sich dies nicht einhalten. Denn auch für Migranten, die diese Zahl übersteigen, gilt das individuelle Asylrecht. Dennoch halten manche Fachleute die 200.000 für einen sinnvollen Richtwert, mit dem Deutschlands Aufnahmekapazität grob umrissen ist. Der Migrationsexperte Gerald Knaus rechnet damit, dass mehr Menschen Schutz geboten werden könnte, wenn Deutschland rund 200.000 Flüchtlingen pro Jahr Asyl gewähren würde und ansonsten weniger Menschen irregulär ins Land kämen.
Irreguläre Migration
Der Begriff besagt, dass Migranten sich ohne Aufenthaltsrecht oder ohne Duldung in Deutschland aufhalten. Da keine Registrierung stattgefunden hat, wissen die Ausländerbehörden auch nicht über den Aufenthalt dieser Personen Bescheid. Meist sind diese Menschen bereits unrechtmäßig ins Land eingereist. Nicht selten sind dabei kriminelle Schleuser beteiligt, die es zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben, Menschen gegen Geld zur illegalen Einreise zu verhelfen. Der Begriff „irreguläre Migration“ wird häufig synonym mit „illegaler Migration“ verwendet, was irreführend sein kann: Zwar können der Aufenthalt oder die Einreise illegal sein, ein Mensch aber nicht.
Kontrollen an den EU-Binnengrenzen
Im Gegensatz zu den EU-Außengrenzen werden als Binnengrenzen alle jene Grenzen bezeichnet, die die Mitgliedsstaaten innerhalb der EU voneinander trennen. Damit handelt es sich bei allen Grenzen Deutschlands zu seinen Nachbarländern um Binnengrenzen. Polizeiliche Kontrollen an diesen Grenzen haben zum Ziel, die irreguläre Migration zu begrenzen und kriminelle Schleuser zu stoppen. In Deutschland handelt es sich in der Regel um die sogenannte Schleierfahndung. Das sind verdachtsunabhängige, stichpunktartige Kontrollen, die in einem Streifen bis zu 30 Kilometern hinter der Grenzlinie stattfinden können. An der bayerischen Grenze zu Österreich gibt es seit 2015 allerdings stationäre Grenzkontrollen, die nur aufgrund einer Ausnahmeregelung aufrechterhalten werden. Erst kürzlich hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an den Grenzen zu Polen und Tschechien „flexible Schwerpunktkontrollen“ angeordnet. Auch das sind stichpunktartige Kontrollen, die allerdings auch auf dem Grenzstreifen und nicht nur im Streifen hinter der Grenze stattfinden. Manche Migrationsexperten bezweifeln grundsätzlich den Zweck von Grenzkontrollen innerhalb der EU. Menschen würden sich so oder so einen Weg über die Grenze suchen, auch an Kontrollen vorbei, so die Kritik.
Schengen-Raum
Die Grundidee ist ein Europa ohne Grenzen. Mit dem Schengener Übereinkommen von 1995 wurde erreicht, dass die Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums aufgehoben wurden und ein freies Reisen möglich war. Aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen und des ungelösten Problems der irregulären Migration führen aber immer mehr Länder Kontrollen an ihren Grenzen ein. Beobachter sehen damit die Schengen-Idee grundsätzlich in Gefahr. Aktuell gehören 27 Länder zum Schengen-Raum, wobei sie nicht deckungsgleich mit den EU-Mitgliedsstaaten sind. Die vier EU-Länder Irland, Bulgarien, Rumänien und Zypern gehören nicht zu Schengen, dafür zählen die Nicht-EU-Länder Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz dazu. Unter dem Strich also 27.
Asylverfahren an EU-Außengrenzen
Die Idee hinter solchen Verfahren ist, schon vor den Toren der EU zu klären, ob Menschen überhaupt asylberechtigt sind. Ist dies nicht der Fall, sollen sie von der Einreise in die EU abgehalten werden. Dies soll in Schnellverfahren in sogenannten Asylzentren in Grenznähe festgestellt werden - faktisch sind das streng gesicherte Bereiche oder Einrichtungen. Kritiker warnen daher davor, Menschen gegen ihren Willen in haftähnlichen Verhältnissen festzuhalten. Deutschland hat nach längeren Bedenken in der Ampel-Koalition, vor allem bei den Grünen, im Juni einer entsprechenden Reform des EU-Asylrechts zugestimmt.