Volker Kauder im Interview "Vertrauen in Rechtsstaat wird durch Staatsanwälte gefährdet"

Nach Ansicht von Unionsfraktionschef Volker Kauder wird das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht nur durch das Agieren der Politik im Fall Edathy gefährdet, sondern auch dadurch, wie die Staatsanwaltschaft vorgeht. Scharf kritisiert er "Durchstechereien", von denen auch er selbst schon betroffen gewesen sei.

 Volker Kauder kritisiert "Durchstechereien" im Justizwesen.

Volker Kauder kritisiert "Durchstechereien" im Justizwesen.

Foto: dpa, Bernd Von Jutrczenka

Der Fall Edathy und das Vorgehen ihres Amtskollegen Thomas Oppermann haben die Koalition schwer erschüttert. Trauen Sie Herrn Oppermann jetzt wieder?

Kauder Verlorenes Vertrauen kann man sicher nicht über Nacht wiederherstellen. Das wird noch ein wenig dauern. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Wir haben uns darauf verständigt, die Koalition fortzusetzen und dem Land eine gute Regierung zu stellen. Das erwarten die Wähler von uns. Mit Herrn Oppermann habe ich schon schwierige Themen voranbringen können. Ich habe mit ihm ein gutes Arbeitsverhältnis. Aus der Arbeitsatmosphäre muss wieder Vertrauen entstehen.

Wie machen Sie das?

Kauder Erklärungen sind das eine. Konkrete Beschlüsse wichtiger. Die SPD weiß, wie bitter das für uns war, dass einer von uns als Minister gehen musste. Nun kommt es darauf an, dass der Koalitionsvertrag so umgesetzt wird, wie er vereinbart wurde. So wächst Vertrauen. Dazu zählt auch, dass man sich gegenseitig zuhört, neue Vorschläge nicht über die Öffentlichkeit macht und zumindest Verständnis für die Situation des anderen aufbringt.

Die Kanzlerin sorgt sich darum, dass die Bevölkerung das Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren könnte. Sie auch?

Kauder Ja. Für mich liegt die Gefahr nicht nur darin, wie die Politik agiert, sondern auch darin, wie die Staatsanwaltschaft mit bestimmten Themen umgeht. Polizei und Staatsanwaltschaft müssen sich wieder bewusster werden, dass sie in aller Objektivität vor allem Sachverhalte zu ermitteln haben und die Öffentlichkeitsarbeit erst danach kommt. Die Durchstechereien mit der Folge, dass ganze Ermittlungsakten veröffentlicht werden, stärken mein Vertrauen in den Rechtsstaat nicht - wer auch immer im Einzelfall dafür verantwortlich ist. Da habe ich auch eigenen Erfahrungen gemacht: Nachdem mir meine Kreditkartendaten gestohlen worden waren, rief mich kurze Zeit ein Journalist deswegen an, weil er davon direkt von der Berliner Polizei erfahren hatte.

Was ist in Sachen Staatsanwaltschaft zu tun?

Kauder Die Staatsanwaltschaften sind bei uns nicht Partei in einem Strafverfahren wie etwa in den USA. Sie müssen sich immer vor Augen halten, dass ihre Pressearbeit, die ja notwendig ist, nicht zur Vorverurteilung führen darf. Vielleicht sollten die Justizministerien in dieser Hinsicht auch mal ihre Dienstaufsicht gegenüber den weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften intensiver wahrnehmen.

Auch im aktuellen Fall Edathy?

Kauder Auch hier sind noch eine Fülle offener Fragen zu beantworten, damit das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht vor die Hunde geht. Diese Fragen richten sich nicht nur an die SPD. Auch die Staatsanwaltschaft in Hannover muss klären, warum sie beispielsweise ein wichtiges Dokument mit der Citipost wegschickt und der Brief nach sechs Tagen geöffnet beim Bundestagspräsidenten ankommt. Und was steckt hinter der Mitteilung eines ehemaligen Ministers, Edathy habe Hinweise bekommen, und zwar nicht aus der Politik? Es ist eindeutig Sache der Staatsanwaltschaft, das jetzt aufzuklären.

Edathy fühlt sich zu Unrecht verfolgt, weil er die Bilder von nackten Kindern legal gekauft habe. Kann das so bleiben?

Kauder Wir werden jetzt genau prüfen, ob der Straftatbestand ergänzt werden muss. Dabei müsste aber so präzise formuliert werden, dass es nicht wieder Auslegungsprobleme gibt. Wir sollten auf jeden Fall den gewerbsmäßigen Umgang mit Fotos nackter Kinder verbieten. Ich denke, wir sollten aber auch das Übel an der Wurzel bekämpfen: Wie kommen solche Fotos überhaupt zustande? Wir wissen jetzt, dass ein Deutscher das in Rumänien gemacht hat. Das muss intensiver verfolgt werden.

Wie lässt sich das von Deutschland aus in Rumänien unterbinden?

Kauder Natürlich ist es zunächst Aufgabe der rumänischen Polizei, intensiver dagegen vorzugehen. Und wenn sie Unterstützung braucht, kann sie sich auf Hilfe aus Europa stützen. Jedenfalls dürfen wir das nicht einfach abhaken, wenn in einem EU-Staat solche Dinge passieren.

Es scheint beim Rentenpaket Probleme zu geben, Zeiten der Arbeitslosigkeit zu berechnen. Wie wollen Sie hier weiter verfahren?

Kauder Die Vereinbarung ist eindeutig: Die Rente mit 63 gibt es unter der Voraussetzung von 45 Beitrittsjahren, wozu auch maximal fünf Jahre Arbeitslosigkeit zählen dürfen. Aber: Diese Arbeitslosigkeit darf keinesfalls am Ende eines Berufslebens entstehen, sonst laufen wir in eine Frühverrentungswelle hinein. Die Verhandlungen dazu sind nicht einfach, aber darauf bestehen wir.

Welche Folgen hat der Schweizer Volksentscheid zur Zuwanderung für das Zusammenleben in Europa?

Kauder Für die Deutschen in der Schweiz war es sicher kein gutes Signal. Ich lebe in der Nachbarschaft und bin ein Freund der Schweiz, aber ich denke, dass die Schweizer Politik in einen sehr intensiven Dialog mit ihren Bürgern treten muss, um die Sorgen in Teilen der Bevölkerung zu besprechen. Wenn nötig, sollten die Schweizer in zwei Jahren vielleicht einmal über das Gesamtpaket Europa abstimmen. Wenn die Bürger dann keine Vereinbarungen mit der EU mehr wollen, müssten wir das respektieren, auch wenn sie sich damit isolieren. Die Schweizer sollten erkennen, dass Europa für sie nicht als bloße Maximierung eigener Vorteile verstanden werden kann.

Gäbe es bei einem Volksentscheid in Deutschland ein ähnliches Ergebnis?

Kauder Das lässt sich nicht ausschließen. Allerdings haben die Schweizer einen Ausländeranteil von fast 25 Prozent, bei uns sind es neun Prozent. Gleichwohl rate ich dazu, über Probleme zu reden, wenn es sie gibt, und sie zu lösen. Das ist immer besser, als diese zu verschweigen, weil sie vermeintlich politisch inkorrekt sind. Sonst überlässt man die Antwort auf Fragen einer politischen Richtung, die sie falsch instrumentalisiert.

Die AfD fühlt sich durch das Votum der Schweizer in ihrem europakritischen Kurs bestärkt. Werden Sie im Europawahlkampf eine Auseinandersetzung mit der AfD erneut vermeiden?

Kauder Die Bevölkerung weiß sehr genau, was sie an Europa hat, was offene Grenzen, was Freizügigkeit für jeden bedeuten. Wir müssen mehr darauf hinweisen, dass Europa nicht nur eine Veranstaltung von Euro und Cent ist, sondern auch eine Werte- und Schicksalsgemeinschaft. Für meinen Jahrgang 1949 war Europa immer auch eine Vision und die Hoffnung auf Frieden. Selbst wenn Europa nicht mehr geschafft hätte als den Frieden, müssten wir schon dafür jeden Tag dankbar sein. Aber Europa hat natürlich noch viel mehr bewirkt.

Gregor Mayntz und Eva Quadbeck führten das Interview

(may-/qua)
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