Bundespräsident boykottiert Sotschi Viel Lob für Gaucks Olympia-Absage

Die Entscheidung von Bundespräsident Joachim Gauck, den Olympischen Spielen im russischen Sotschi die kalte Schulter zu zeigen, löst eine Flut an Reaktionen aus. Politiker bewerten den Schritt als Antwort auf Putins Umgang mit den Menschenrechten. Russland sieht sich zu Unrecht am Pranger. Das IOC windet sich.

 Da war noch alles gut: 2012 besuchte Bundespräsident Joachim Gauck an der Seite von Thomas Bach das Olympische Dorf in London.

Da war noch alles gut: 2012 besuchte Bundespräsident Joachim Gauck an der Seite von Thomas Bach das Olympische Dorf in London.

Foto: dpa, Michael Kappeler

IOC-Präsident Thomas Bach wollte die unangenehme Nachricht nicht kommentieren. Doch auch ohne seine Kommentierung hat die Ankündigung von Bundespräsident Joachim Gauck, nicht nach Sotschi zu reisen, die Diskussionen um die politisch belasteten Spiele an der russischen Schwarzmeerküste neu befeuert.

Knapp zwei Monate vor der Eröffnungsfeier gewinnt auch die Frage nach der Menschenrechtslage als Kriterium für die Vergabe Olympischer Spiele weiter an Brisanz. Spätestens bei der Sitzung der Exekutive Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am Dienstag in Lausanne wird sich Bach zur gesamten Thematik äußern müssen.

"Mit einem Boykott nichts zu tun"

Mit einem Boykott habe Gaucks Schritt nichts zu tun, versuchte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper zu beschwichtigen. "Wer nicht hinfährt, der boykottiert nicht gleich etwas. Es ist mit Sicherheit nicht gegen die deutsche Mannschaft gerichtet", sagte der Spitzenfunktionär des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa. Eine Reise von Gauck sei auch nicht geplant gewesen.

Politiker werteten Gaucks brisante Absage unterdessen als Reaktion auf Moskaus rigiden Umgang mit Menschenrechten. Gauck hatte in der Vergangenheit wiederholt mehr Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Russland angemahnt. Der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning nannte die Entscheidung eine "wunderbare Geste der Unterstützung für alle russischen Bürger, die sich für Meinungsfreiheit, Demokratie und Bürgerrechte einsetzen".

Zarenfestspiele gestrichen

"Die Winterspiele in Sotschi waren geplant als Zarenfestspiele." Diese Rechnung gehe jedoch nicht mehr auf, sagte der Beauftragte der Bundesregierung der dpa. "Die Weltöffentlichkeit lässt sich von solchen Inszenierungen nicht darüber hinweg täuschen, dass Russland an anderer Stelle die Menschenrechte massiv verletzt."

Auch die Grünen-Politikerinnen Claudia Roth und Silvia Löhrmann lobten Gauck für seine Haltung. "Das ist eine starke Haltung des Bundespräsidenten und ein ermutigendes Signal", sagte Roth unserer Redaktion. Löhrmann beglückwünschte Gauck zu seiner "klaren Haltung."

Skepsis bei CDU und SPD

Politiker von Union und SPD reagierten zurückhaltender. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff, Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, sprach in der Tageszeitung "Die Welt" von einem sehr persönlichen Bekenntnis, "vor dem ich großen Respekt habe". Es entspreche der konsequenten Haltung des Bundespräsidenten zu Menschenrechtsfragen. Einen generellen Boykottaufruf hält Schockenhoff dennoch für falsch: "Man muss sich fragen, ob man damit nicht auch die Menschen im Land trifft."

Auch der SPD-Bundestagabgeordnete Lars Klingbeil, stellvertretender Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe, sieht einen Boykott skeptisch: "Gaucks Entscheidung ist zu akzeptieren, allerdings hätte ein Besuch der Olympischen Spiele auch eine gute Möglichkeit geboten, um Gespräche mit Reformkräften in Russland zu führen und ihren Anliegen in der politischen Debatte mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen", sagte Klingbeil der Welt.

IOC-Präsident Bach, der die Spiele von seinem Vorgänger Jacques Rogge "geerbt" hat, sieht sich schon seit langem gezwungen, den 2007 geschlossenen Pakt zwischen dem IOC und Kremlchef Wladimir Putin zu verteidigen, um einen möglichst reibungslosen Ablauf des Ringe-Spektakels sicherzustellen. Er sei überzeugt, dass Sotschi im Februar ausgezeichnete Spiele präsentieren würde, so der neue Ober-Olympier bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit. Neben Menschenrechtsverletzungen belasten Terrorgefahr, internationale Empörung über das russische Anti-Homosexuellen-Gesetz und die Kostenexplosion das Großereignis.

Merkels Pläne offen

Ein Sotschi-Besuch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) blieb zunächst offen. Es gebe derzeit noch keine Planungen zu einer möglichen Reise der Kanzlerin, sagte eine Regierungssprecherin. Das Bundespräsidialamt hatte der russischen Regierung mitgeteilt, dass Gauck nicht zu den Spielen vom 7. bis 23. Februar kommt. Eine Sprecherin des Bundespräsidenten bestätigte am Sonntag einen entsprechenden Bericht des "Spiegel". Das Magazin interpretierte den Schritt als Kritik an den Menschenrechtsverletzungen und der Drangsalierung der Opposition in Russland.

"Ein Besuch des Bundespräsidenten in Sotschi selbst war unseres Wissens bislang nicht geplant", hieß es in einer DOSB-Erklärung vom Sonntag. Vielmehr plane das Staatsoberhaupt zur Willkommensfeier der deutschen Olympia-Mannschaft am 24. Februar nach München zu kommen.

Gaucks Vater war im sowjetischen Arbeitslager

Gaucks Sprecherin wies darauf hin, es gebe keine feste Regel, dass Bundespräsidenten zu Winterspielen reisten. Auch Horst Köhler sei 2010 nicht ins kanadische Vancouver gekommen. Gauck hat Russland allerdings seit seinem Amtsantritt im März 2012 noch keinen offiziellen Besuch abgestattet. Sein Verhältnis zu Russland gilt als angespannt, sein Vater war mehrere Jahre in einem sibirischen Arbeitslager interniert. Die Olympischen Sommerspiele und Paralympics in London 2012 hatte Gauck besucht.

In Russland stieß seine Absage auf Missbilligung: "Der deutsche Präsident Gauck kritisierte kein einziges Mal die Tötung von Kindern und Frauen in Pakistan und Afghanistan. Aber er verurteilt Russland so stark, dass er nicht einmal nach Sotschi reisen will", twitterte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament, Alexej Puschkow.

Kritik ist unerwünscht

Kritik an den Sotschi-Spielen ist in Russland ohnehin unerwünscht.
Unter Polizeischutz ging am Wochenende in Moskau die Premiere der Dokumentarfilmproduktion "Putins Spiele" über die erste Winterolympiade in Russland ruhig zu Ende. In dem vom deutschen Fernsehen finanzierten Enthüllungsfilm sprechen Augenzeugen über das schwere Leben zwangsumgesiedelter Russen, undurchsichtige Geschäfte und Korruption sowie Umweltzerstörung bei der von Putin persönlich kontrollierten Vorbereitung. Zudem kommen immer wieder russische Geschäftsleute zu Wort, die von der verbreiteten Schmiergeldkultur erzählen.

Gaucks Abwesenheit könnte die weltweite Debatte über die Sotschi-Spiele intensivieren. Aktivisten hatten im Sommer zu einem Boykott der Spiele aufgerufen. Diese Forderungen waren von US-Präsident Barack Obama und dem britischen Premierminister David Cameron zurückgewiesen worden.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort