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Reaktion auf Youtube-Video Der hilflose Umgang der CDU mit Rezo ist symptomatisch

Meinung | Düsseldorf · Der Umgang der CDU mit dem Video des Youtubers Rezo ist symptomatisch für die Unfähigkeit der Parteien, einen adäquaten Kommunikationsweg mit Jugendlichen zu finden. Dabei sind die politischer denn je. Und Politiker? Reden immer mehr und sagen immer weniger.

 CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak lud Rezo zu einem Meinungsaustausch ein.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak lud Rezo zu einem Meinungsaustausch ein.

Foto: obs/FOTO: © WeltN24 GmbH

Die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross hat einmal beschrieben, dass der Mensch nach einem traumatischen Erlebnis fünf Phasen durchlebt: Leugnung, Zorn, Verhandlung, Depression und Akzeptanz. Zwar bezieht sich dieses Phasenmodell in erster Linie auf den Verlauf der Trauer um Gestorbene – doch auffällige Analogien legen nahe, dass die CDU gerade etwas sehr Ähnliches durchmacht, nachdem der Youtuber Rezo ein Video mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“ veröffentlicht hat und das in die heiße Wahlkampfphase eingeschlagen ist wie eine Bombe. Der Verlust einer Kommunikationsbasis mit dem jugendlichen Gegenüber ist kein auf die CDU begrenztes Problem, doch die Tage nach dem Rezo-Trauma sind symptomatisch für die Unfähigkeit großer Parteien einen adäquaten Kommunikationsweg mit Jugendlichen zu finden.

In diesem bis Samstagmorgen über neun Millionen Mal abgespielten Video macht der Youtuber Rezo (26) die CDU für allerlei Missstände in Deutschland und im Ausland verantwortlich. Dafür überspitzt, polemisiert und vereinfacht er in teilweise unerträglichem Ausmaß.

Doch der völlig überforderte, hilflos zwischen Gehässigkeit, Tollpatschigkeit und peinlicher Möchtegern-Coolness mäandernde Umgang mit diesem Video ist sehr viel bemerkenswerter und zeigt eine tief liegende Verunsicherung der Parteien im Umgang mit jungen Menschen und neuen Medien. Die Politik und die Jugend, sie haben sich voneinander entfernt – so weit, dass sie sich mittlerweile anschreien, ohne sich zu hören.

Politiker reden immer mehr und sagen immer weniger. Das ist kein neues Phänomen. Doch früher war es vor allem ein Problem der Journalisten: Sie mussten sich mit monologisierenden Nicht-Aussagen der Politiker befassen, sich herumschlagen mit dem geschwafelten Herumnavigieren um die eigentliche Frage herum, immer und immer versuchen, aus dem Politikersprech etwas Klares, Inhaltliches – gar eine Nachricht – zu destillieren.

Doch heute sehen es alle. 24 Stunden am Tag, zu jeder Tages- und Nachtzeit können Menschen Politikern dabei zuschauen, wie sie Journalisten, Zuschauer und Wähler in inhaltsleere – mal überhebliche, mal anbiedernde und mal ideologisch aufgeladene – Sprechblasen einhüllen. Dahinter steckt immer Kalkül. Personalpolitisches, machtpolitisches, parteipolitisches Kalkül. Bis zu einem gewissen Grad ist das nachvollziehbar und richtig. Ein Politiker kann nicht daherreden, wie es ihm gerade passt, dafür ist vieles zu sensibel. Aber das genaue Gegenteil – wenn nämlich das politische Kalkül den politischen Inhalt überschattet – ist ebenso fatal, wenn nicht fataler. Und es bewirkt eine Gegenoffensive. Es ist eine besondere Ironie, dass es die apolitischen Verlautbarungen der Regierenden sind, die die Jugendlichen politisiert haben.

Politiker müssen Inhalte erklären, Kompromisse verteidigen, Schwierigkeiten aufzeigen, Ungewissheiten zugeben. Stattdessen tun sie meist so, als seien sie die Allwissenheit in Person – beziehungsweise in Partei – und verwenden mehr Energie darauf, gegen den politischen Konkurrenten zu kämpfen, statt sich dem Bürger zu erklären.

Das hinterlässt eine Lücke, in die dann jeder springen kann. Wo ein Bedürfnis unbefriedigt bleibt, findet sich schnell einer, der sich das zu Nutzen macht. So schlägt die Stunde des anderen Extrems: Die, die sagen, „was endlich mal gesagt werden muss“, die populistische Forderungen stellen, einfache Lösungen versprechen. Hier dürfte der Youtuber Rezo noch zu den Harmlosesten gehören.

Ein Großteil der Politik hat die Jugend verloren, nicht nur, weil sie nicht mit ihr spricht, sondern auch, weil sie ihr nicht zuhört. Wer sein Gegenüber nicht ernst nimmt und immer in Distanz zu ihm bleibt, der kappt jede Verbindung. Und hier sind wir bei dem Verlust und den fünf Phasen.

Zuerst wollte die CDU das Video herunterspielen. „Falschbehauptungen“ und „Pseudofakten“ schimpfte der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak über das Video (Leugnung). Diese Unaufmerksamkeit wurde auch Jugendlichen zuteil, die wochenlang gegen die Urheberrechtsreform demonstriert hatten. Zuerst wurden sie ignoriert. Dann warf man ihnen vor, sie seien von den großen Internet-Konzernen gekauft.

Doch zurück zu Rezo: Nach einer ersten Schockstarre versuchte man ihn zu verunglimpfen (Zorn). Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) twitterte, das Video sei „übelste Propaganda“, folge „der brutalen Logik der schönen, neuen digitalen Politikwelt“. Und: Nicht nur die CDU, sondern alle Demokraten sollten alarmiert sein. Hier wird nicht nur ein Youtuber zum Endgegner der Demokraten stilisiert, sondern das für Jugendliche relevanteste Medium und das Internet insgesamt zum Schauplatz einer neuen Dystopie erklärt.

Ein entwürdigendes Hin und Her um eine mögliche Antwort folgte. Nach dem Motto „Das Imperium schlägt zurück“ wollte die CDU mit ihrem jüngsten Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor, 26, ein Antwort-Video senden (Verhandlung? Depression?), und es ging ein kollektives Aufseufzen durch die Gesellschaft. Schlimmer noch als diese Ankündigung hätte nur das Video sein können – aber davon distanzierte sich die Partei schließlich.

Dann, endlich, tat Paul Ziemiak etwas, das man fast schon souverän nennen könnte: Er lud Rezo zum Gespräch ein, lobte ihn („Was mich sehr freut, er hat es geschafft, viele junge Leute für Politik zu interessieren“) und gab ihm gar Recht: „Er hat einen Punkt getroffen: Wie kommunizieren wir, wie können wir junge Menschen für Politik begeistern?“ (Akzeptanz)

An einer Stelle täuscht sich Ziemiak aber: Die jungen Menschen müssen nicht für Politik begeistert werden, das sind sie zum Glück schon. Sie kämpfen hartnäckig dafür, dass die Regierung ihre eigenen Klimaziele ernst nimmt und entsprechende Politik macht. Sie demonstrieren gegen ein EU-Gesetz zur Netzpolitik und schauen sich im Internet nicht nur Schmink-Tutorials, Pornos und Spiele an, sondern einstündige Videos über Politik. Das ist eine Generation, die jede Gesellschaft stolz machen sollte. Wer ihr stattdessen mit Überheblichkeit begegnet, darf sich auch nicht wundern, wenn die Antwort laut, polemisch und in Teilen unfair ausfällt – anders werden die jungen Leute offenbar ja nicht gehört.

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