Heute beginnt der "Kindergipfel" Verfassungsrang für Kinderrechte?

Berlin (RPO). Heute beginnt im Kanzleramt der "Kindergipfel". Die entscheidende Frage spaltet die Lager: Sollten Kinderrechte im Grundgesetz stehen? Die SPD und Grüne sagen ja, aus der Union kam Ablehnung. Die Kirche warnt vor Wortgeplänkel. Beim "Kindergipfel" beraten die Ministerpräsidenten der Länder und Kanzlerin Merkel, wie der Schutz von Kindern verbessert werden kann.

Mehr Kinderschutz - aber wie?
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Vor dem Spitzentreffen zum Kinderschutz bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz im Mittelpunkt der Diskussion. Vertreter von Grünen und SPD sprachen sich am Mittwoch für einen solchen Schritt aus. Aus der Union kam Ablehnung. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Berliner Bischof Wolfgang Huber, sagte, eine Verfassungsänderung sei nicht entscheidend. Wichtig seien konkrete Maßnahmen.

Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder wollten am Mittwoch in Berlin über einen effektiveren Schutz von Kindern beraten. Die Kanzlerin hatte das Thema auf die Agenda gesetzt, nachdem mehrere Fälle von Kindstötungen eine Debatte über Misshandlung und Vernachlässigung im Elternhaus ausgelöst hatten.

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil warf Merkel Wankelmütigkeit vor. Noch vor eineinhalb Jahren habe sie die Idee, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, ganz interessant gefunden. Nach den Vorstellungen der SPD solle es bei dem im Grundgesetz verankerten Vorrecht der Eltern bleiben, für die Erziehung ihrer Kinder zu sorgen. "Aber es darf kein Recht des Staates geben, der Verwahrlosung von Kindern tatenlos zuzusehen", fügte Heil hinzu.

"Deutschland braucht Mentalitätswechsel"

Die frühere Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) sagte, sie erwarte sich von einer Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung auch einen Mentalitätswechsel in Deutschland. Merkel solle deshalb ihren Widerstand gegen dieses Vorhaben aufgeben.

Grünen-Bundestagsfraktionschefin Renate Künast sagte, mit gesonderten Kindergrundrechten in der Verfassung müsste das bisherige System der Betreuung und Förderung von Kindern umgestellt werden. "Keine Kommune, kein Landkreis, kein Ministerpräsident könnte es sich mehr leisten, Haushaltseinsparungen da zu beginnen, wo die geringste Gegenwehr herrscht, bei den Personalstellen im Kinderbereich", sagte sie.

Kultur des Hinsehens

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sagte, ungeachtet verfassungsrechtlicher Klarstellungen sei eine Kultur des Hinsehens und des Miteinanders notwendig. Zur besseren Vorbeugung riet er, das derzeit in der Lausitz erprobte Modell "Netzwerk Gesunde Kinder" bundesweit auszuweiten. Dort würden jungen Familien ehrenamtliche Paten zur Seite gestellt, die regelmäßig Besuche abstatten.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk, schlug verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen vor. Außerdem sollten wieder ärztliche Schuluntersuchungen eingeführt werden.

Der familienpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Johannes Singhammer (CSU), sprach sich gegen eine Verfassungsänderung aus. Stattdessen regte er an, die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen für Kinder mit der Auszahlung des Betreuungsgelds an die Eltern verknüpfen.

Bischof Huber forderte vor dem Gipfeltreffen: "Es muss konkrete Maßnahmen geben, die Verbesserungen in der ersten Lebensphase bedeuten." Dazu gehörten auch verbindliche Einladungen zu Vorsorgeuntersuchungen. Es komme darauf an, aufmerksam zu sein, wo Kinder vernachlässigt werden und zu intervenieren, wenn es notwendig sei - im Notfall bis hin zur Entziehung des Sorgerechts. "Im Zentrum muss das Wohl und die Würde des Kindes stehen", mahnte der Bischof.

Missbrauch häuft sich im Armutsmilieu

Der Deutsche Kinderschutzbund kritisierte das mangelnde Engagement gegen Kinderarmut. "Die Bundesregierung benimmt sich den Kindern in Deutschland gegenüber wie Rabeneltern", sagte der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers. Man könne den Kinderschutz nicht von der sozialen Frage trennen. "95 Prozent der Fälle von Misshandlung ereignen sich im Armutsmilieu", sagte er.

Der Deutsche Städtetag forderte Einschränkungen beim Datenschutz, um Kinder besser vor Vernachlässigung und Gewalt schützen zu können. "Datenschutz darf nicht vor Kinderschutz gehen", sagte Städtetagspräsident Christian Ude (SPD). "Es muss verhindert werden, dass sich Eltern durch Arztwechsel, Umzüge, Schulwechsel den notwendigen Hilfen und Maßnahmen entziehen."

(afp)
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