Tarifverhandlungen Gewerkschaften fordern 10,5 Prozent mehr Lohn für öffentlichen Dienst

Berlin · Inflation und galoppierende Energiepreise treffen alle - mitten in der Krise legen die Gewerkschaften nun hohe Lohnforderungen für den öffentlichen Dienst vor. Der Tarifstreit könnte im Winter große Auswirkungen haben.

 Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen in Ausbildung nehmen an einer Kundgebung am Verhandlungsort der Tarifverhandlungen für rund 26.000 Beschäftigte an Unikliniken im Südwesten teil.

Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen in Ausbildung nehmen an einer Kundgebung am Verhandlungsort der Tarifverhandlungen für rund 26.000 Beschäftigte an Unikliniken im Südwesten teil.

Foto: dpa/Marijan Murat

Die Gewerkschaften ziehen mit einer Forderung von 10,5 Prozent mehr Einkommen in die Tarifverhandlungen für rund 2,5 Millionen Beschäftigte von Bund und Kommunen. Mindestens solle es 500 Euro mehr im Monat geben. Verdi-Chef Frank Werneke und der dbb-Vorsitzende Ulrich Silberbach wiesen bei der Präsentation der Forderungen ausdrücklich darauf hin, dass die Beschäftigten für ihre Ziele energisch kämpfen würden. Die Mobilisierungsbereitschaft sei hoch, sagte Werneke am Dienstag in Berlin. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) lehnte die Forderungen prompt ab und bezeichnete sie als „nicht leistbar“.

Anders als in den Vorjahren verzichteten die Gewerkschaften angesichts der ungewöhnlich hohen Inflation und der Energiepreiskrise auf einen umfassenden Forderungskatalog. „Sondern es geht um Einkommenssicherung“, sagte Werneke. Viele Beschäftigten wüssten nicht, wie sie sich und ihre Familien über Wasser halten könnten. „Einige können ihre Mieten oder Heizkosten nicht mehr zahlen“.

Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 200 Euro monatlich angehoben werden. Nach einer Laufzeit von zwölf Monaten soll nach dem Willen der Gewerkschaften neu über das Einkommen verhandelt werden. Auf Beamtinnen und Beamte soll der angestrebte Abschluss - so die Forderung - zeit- und inhaltsgleich übertragen werden.

Die Lohnrunde solle den drohenden Abstieg vieler hart arbeitender Menschen durch die bevorstehende Rezession verhindern, sagte Werneke. „Das Gerede von angeblich unvermeidlichen Wohlstandsverlusten ist ein Gerede, was sich vielleicht Wohlhabende leisten können, aber die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes dezidiert nicht.“ Hinter den Beschäftigten lägen bereits zwei Jahre des Reallohnverlustes.

Nach den Worten von dbb-Chef Silberbach ist die Stimmungslage der Beschäftigten vielfach miserabel. „Es gibt eine Bazooka, es gibt einen Wumms, es gibt einen Doppelwumms - und dann soll für den öffentlichen Dienst der Sparhammer herausgeholt werden“, so der Gewerkschaftschef. „Die Kollegen und Kolleginnen sind bereit, für diese Forderungen zu kämpfen, weil sie es nicht mehr ertragen können, immer nur als Zahlmeister der Nation herhalten zu müssen.“

Mit ihrer Forderung liegen Verdi und dbb deutlich über der Forderung für die Lohnrunde der Metall- und Elektroindustrie. Acht Prozent mehr Geld hatte die IG Metall hier verlangt. Werneke sagte, aus der Verdi-Mitgliedschaft waren teils noch viel höhere Lohnforderungen gekommen.

Die Präsidentin und Verhandlungsführerin der kommunalen Arbeitgeber-Vereinigung VKA, Karin Welge, erklärte, die Umsetzung der Gewerkschaftsforderungen sei in dieser Form „schlicht nicht leistbar“. Man müsse dafür sorgen, „dass Kommunen und kommunale Unternehmen handlungsfähig bleiben, auch und gerade in der Krise“.

Die Forderungen überraschten in der Höhe und berücksichtigten nicht „die schwierige finanzielle Lage der kommunalen Haushalte und Unternehmen“, kritisierte Welge. Die kommunalen Haushalte seien zum großen Teil noch immer mit den finanziellen Einbußen im Zuge der Corona-Pandemie befasst, dazu kämen Altschulden und ein hoher Investitionsrückstand. Zudem seien auch die Kommunen von der hohen Inflation betroffen. Die Mehrkosten für die geforderte Entgelterhöhung bei den kommunalen Arbeitgebern bezifferte Welge auf rund 15,4 Milliarden Euro.

Warnstreiks im Winter werden angesichts der unterschiedlichen Positionen in der Tarifrunde wahrscheinlich. Verhandelt wird für das Einkommen in Hunderten Berufe - unter anderem für Erzieherinnen, Busfahrer, Feuerwehrleute, Pflegekräfte und oder Bodendienste an Flughäfen. Auch in den Vorgängerrunden 2020 und 2018 war das öffentliche Leben durch Warnstreiks teils massiv gestört worden.

„Extrem groß“ sei der Frust auch in den Kitas, sagte Verdi-Vizechefin Christine Behle. Zwar gab es für den Sozial- und Erziehungsdienst erst im Mai einen Abschluss, bei dem es aber nicht um das Einkommen generell ging, sondern um die Einstufung einzelner Mitarbeitergruppen. Behle monierte: „Bis heute ist noch keine Zahlung geleistet worden.“ Zudem fühlten sich viele Erziehungskräfte vernachlässigt. „Das ganze Thema der ukrainischen Flüchtlinge wird den Kolleginnen und Kollegen aufs Auge gedrückt, ohne dass das Personal verstärkt wird“, sagte Behle.

Werneke wies auf die historische Dimension der Lohnforderung hin. „In der Geschichte von Verdi ist das sicherlich eine der höchsten.“ Historisch vergleichbar sei dies mit Anfang der 70er Jahre.

Wenig Bereitschaft signalisierten die Gewerkschaften zu Einmalzahlungen. „Einmalzahlungen sind Strohfeuer“, sagte Werneke. Die Inflation werde voraussichtlich hoch bleiben, deshalb seien lineare Verbesserungen in der Einkommenstabelle wichtig. Die Bundesregierung hatte zur Entlastung in der aktuellen Krise angeboten, dass der Staat bei Zusatzzahlungen bis zu 3000 Euro von Arbeitgebern an ihre Beschäftigten auf Steuern und Abgaben verzichtet. Silberbach sprach von einem „verseuchten Angebot“ - die Gewerkschaften hätten schlechte Erfahrungen mit Einmalzahlungen gemacht.

Verhandelt wird ab dem 24. Januar in Potsdam. Der Abschluss ist für Ende März vorgesehen.

(mzu/dpa)
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