Norbert Röttgen zu den US-Wahlen „Es kann jetzt zu Gewalt kommen“

Interview | Berlin · Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags befürchtet Unruhen in den USA, nachdem sich Amtsinhaber Trump bei laufender Auszählung zum Sieger ausgerufen hat.

  Norbert Röttgen (CDU) ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des    Bundestags.

Norbert Röttgen (CDU) ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Herr Röttgen, wie und wo haben Sie diesen US-amerikanischen Wahlkrimi verfolgt?

Röttgen Ich war in der Nacht noch im ZDF und habe dann zwischendurch ein paar Stunden geschlafen. Kurz vor 5 Uhr ging es für mich zunächst zu Hause mit den ersten Wahlanalysen los, ab 6 Uhr habe ich die Ergebnisse aus den verschiedenen Fernsehstudios verfolgt. Zwischendurch gab es immer wieder Updates meiner Mitarbeiterinnen.

Die Umfragen haben uns wieder in die Irre geführt, oder?

Röttgen Das stimmt. Auch wenn Trump zuletzt in einigen der wichtigen Swing States wieder aufholen konnte, haben die Umfragen und die große Wählermobilisierung einen klaren Sieg Joe Bidens nahegelegt. Das ist definitiv nicht eingetreten, so viel ist klar. Bis das endgültige Ergebnis vorliegt, kann es noch Tage dauern.

Folgt jetzt eine juristische Schlammschlacht? Donald Trump hat ja angekündigt, dass er die Wahl im Fall der Niederlagen anfechten will.

Röttgen Ich fürchte, dass den USA jetzt eine Auseinandersetzung in mehreren Akten droht. Beiden Seiten wird es darum gehen, die Meinungshoheit über das Wahlergebnis zu erringen. Trump hat den Sieg ja de facto schon für sich reklamiert, während noch ausgezählt wird. Das kann zu Wochen des Streits führen und hat ein hohes Konfliktpotential in sich.

Ein Fall für den Supreme Court, wo sechs der neun Richter als konservativ gelten. Wird das oberste Gericht der USA die Verfassung schützen und auch über die Legitimität der Briefwahl neu entscheiden?

Röttgen Die USA sind eine funktionierende Verfassungsdemokratie. Wir haben in den vergangenen vier Jahren unter Donald Trump gesehen, dass die Gewaltenteilung funktioniert. Insofern glaube ich, dass im Zweifel auf die Gerichte und in dieser Frage auch auf einen mehrheitlich konservativen Supreme Court Verlass ist. Aber die Zeit der Unsicherheit ist gefährlich.

Sorgen Sie sich, dass es zu einer echten Schlacht kommt, nachdem Trump schon jetzt von Wahlbetrug spricht? Er hatte seine militanten Anhänger ja aufgefordert, sich „bereitzuhalten“.

Röttgen Es ist nicht auszuschließen, dass ein Teil der Anhängerschaft Trumps den Vorwurf des Wahlbetrugs ernst nimmt und glaubt, die amerikanische Demokratie notfalls auch mit Waffen verteidigen zu müssen. Insofern kann es bei einem knappen Wahlausgang, und danach sieht es ja aus, durchaus zu Gewalt kommen.

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Foto: dpa/John Locher

Was sagt das über die Demokratie in Amerika aus?

Röttgen Die USA sind gesellschaftlich und politisch tief gespalten. Diese Wahl zeigt, dass sich daran nichts geändert hat. Es gibt Themen, wie Abtreibung oder das Waffenrecht, die der Anhängerschaft Trumps so wichtig sind, dass sie bereit sind, über fast alles andere hinwegzusehen. Für die Demokratie in den USA ist das eine gewaltige Bewährungsprobe.

Kann sich die Weltmacht USA Wochen der politischen Entscheidungslosigkeit leisten?

Röttgen Natürlich wäre ein schnelles und klares Ergebnis wünschenswert, aber das lässt sich nicht erzwingen. Eine lange Hängepartie ist für die USA schädlich, aber auch für uns. Denn global brennt es an allen Ecken und Enden. Ohne ein konstruktives Amerika lassen sich viele globale Probleme nur schwer lösen.

Was, wenn Trump nicht dazu bereit ist, das Wahlergebnis anzuerkennen?

Röttgen Dann werden die Gerichte entscheiden.

Kann sich die Kaltfront im transatlantischen Verhältnis noch auflösen?

Röttgen Wie es im transatlantischen Verhältnis weitergeht, hängt stark vom Ausgang der Wahl ab. Vier Jahre Trump waren bereits eine enorme Belastung. Weitere vier Jahre wären eine Steigerung dessen, was wir bisher erlebt haben. Mit Joe Biden wäre die Zusammenarbeit sehr viel einfacher. Kooperation und der Geist von Partnerschaft würden in das Verhältnis zurückkehren. Aber egal wie die Wahl ausgeht: Europa und vor allem Deutschland werden in Zukunft international sehr viel mehr leisten müssen.

Wird Deutschland wieder der privilegierte Partner der USA?

Röttgen Auch das hängt vom Ausgang der Wahl ab. Trump hat Deutschland in den vergangenen vier Jahren zu seinem Lieblingsfeind erkoren. Wir haben in regelmäßigen Abständen rituelles Niedermachen und die demonstrative Bestrafung Deutschlands erlebt. Sollte er gewinnen, würde es mich wundern, wenn er damit jetzt aufhört. Ein Präsident Biden hingegen würde mit Deutschland zusammenarbeiten wollen, aber auch viel von uns erwarten.

Inwiefern muss Europa jetzt eigenständiger werden?

Röttgen Egal wer gewinnt: Europa muss jetzt international mehr liefern. Auch Biden würde sich als Präsident auf China und den Indo-Pazifik konzentrieren. Das würde bedeuten, dass Europa mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit und Nachbarschaft übernehmen müsste. Nur dann bleiben wir für die USA ein attraktiver Partner. Wenn Trump gewinnen sollte, würde die Unsicherheit im Verhältnis zu den USA weiter zunehmen. Die rationale Antwort darauf wäre eine gemeinsame europäische Außenpolitik.

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