Kritik an Truppen-Abzugsplänen aus Ramstein „Donald Trump ist ein Inkasso-Unternehmer“
Berlin · Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnt vor Schaden für die USA und die Allianz. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nennt den Präsidenten einen „Inkasso-Unternehmer“. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen haben einen neuen Tiefpunkt erreicht.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wollte es zumindest versuchen. In der vorigen Woche ließ er eine Verbindung zum Mann im Weißen Haus herstellen. Thema: Meldungen über einen Abzug von knapp 10.000 von 34.000 US-Soldaten aus Deutschland. Stoltenbergs Info an Donald Trump: „Die US-Präsenz in Europa ist gut für Europa, aber sie ist auch gut für Nordamerika und die Vereinigten Staaten.“ Von Deutschland aus laufe über das Luftdrehkreuz der US-Truppen im rheinland-pfälzischen Ramstein schließlich die Versorgung für Operationen etwa im Mittleren Osten oder in Afrika. Das Afrika-Kommando der US-Truppen sitze in Stuttgart, betonte Stoltenberg. So berichtet er es am Dienstag in Brüssel. Aber es half alles nichts.
Der US-Präsident bestätigte die Pläne jetzt offiziell. Er spricht von insgesamt 52.000 Soldaten in Deutschland. Weil er es aber mit Fakten erfahrungsgemäß nicht so genau nimmt, kann man vermuten, dass er die 17 000 amerikanischen Zivilisten im Dienst der US-Streitkräfte einfach dazu gerechnet hat. Und er begründet seinen Schritt damit, dass Deutschlands Nato-Beitrag zu gering sei. Die Bundesregierung weigere sich, die Verteidigungsausgaben so zu erhöhen, dass das selbstgesteckte Nato-Ziel erreicht werde. Dabei hat Deutschland wie die anderen Mitglieder dafür noch ein paar Jahre Zeit. Vielleicht hat sich Trump auch nur wieder über Kanzlerin Angela Merkel geärgert, die seine Idee eines G7-Gipfels in Corona-Zeiten nicht gut fand und ihre Teilnahme absagte.
Stoltenberg lässt die Verteidigungsminister der Allianz nun bei ihren Beratungen am Mittwoch und Donnerstag über den möglichen Truppenabzug diskutieren. Denn: Es handele sich bei der Stationierung zwar um eine bilaterale Angelegenheit zwischen den USA und Deutschland, „aber davon ist die gesamte Allianz betroffen“, warnt er. Vielleicht kommt ja auch noch alles ganz anders. „Der US-Präsident hat angekündigt, was er angekündigt hat. Aber es ist noch nicht beschlossen, wie und wann die Entscheidung umgesetzt wird“, sagt Stoltenberg. Er setzt womöglich auf den Faktor Zeit – und den Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA im Herbst.
Wer weiß, ob Trump die Wahl gewinnt. Ein demokratischer US-Präsident Joe Biden würde die Truppen vermutlich nicht abziehen. Auch im Bundeskanzleramt und im Verteidigungsministerium herrscht die Devise: Erst einmal cool und kühl bleiben und nicht zu scharf reagieren. „Die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Streitkräften sowohl im Einsatz als auch bei der Ausbildung innerhalb des NATO-Rahmens ist gut, sicher, eng und vertrauensvoll“, sagt ein Ministeriumssprecher unserer Redaktion. Und er betont: „Wir wissen aus den Beziehungen zu den amerikanischen Soldaten und ihren Familien, die wir zahlreich pflegen, dass sie sich in Deutschland wohl fühlen, und wir gehen davon aus, dass das auch in Zukunft so sein wird.“
Die Koordinatorin für Internationale Politik der Grünen-Fraktion, Agnieszka Brugger, formuliert es deutlich schärfer, aber es ist dieselbe Stoßrichtung: „Mit Sicherheitspolitik hat auch der neue Affront von Donald Trump absolut nichts zu tun.“ Statt „rachsüchtiger Drohungen“ bräuchte es eine verantwortungsvolle und auch kontroverse Debatte über transatlantische Sicherheit zwischen echten Partnern. Dazu gehörte auch Fragen zu den in Deutschland stationierten US-Atomwaffen und dem „völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg“.
Tacheles redet auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er nennt Trump jetzt einen „Inkasso-Unternehmer“ und fordert Europa zu Abrüstung und Senkung der Militärausgaben auf. Trump sei ein unberechenbarer und selbstbezogener Präsident, der wieder eine einsame Entscheidung getroffen habe, sagt Mützenich unserer Redaktion. „Donald Trump ist von seinem Selbstverständnis her mehr ein Inkasso-Unternehmer als der Antreiber für liberale Werte und gemeinsame Sicherheit.“ Darunter litten in erster Linie die USA selbst. Der reibungslose Betrieb zahlreicher Einrichtungen amerikanischen Streitkräfte sei nun in Zweifel gezogen. Die Zusammenarbeit der deutschen Sicherheitspolitik mit den europäischen Partnern müsse innerhalb und außerhalb der NATO intensiviert werden. Die sicherheitspolitische Strategie dürfe sich dabei nicht auf Militärpolitik und Verteidigungsausgaben verengen. „Die finanziellen Belastungen aller Länder durch die Corona-Pandemie zwingen dazu, sich verstärkt für mehr Abrüstung und geringere Militärausgaben stark zu machen.“ Mützenich: Dieser politischen Aufgabe muss sich Europa insgesamt und selbstbewusst stellen.“