Verteidigungsministerin in Afghanistan Ursula von der Leyen meidet Waffen und Drohnen

MASAR-E-SHARIF · Am zweiten Tag ihres Afghanistan-Besuches hebt sich Ursula von der Leyen deutlich von Vorvorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg ab. Betonte der noch den kriegerischen Aspekt seines Jobs, geht die Verteidigungsministerin auf Distanz zu allem Martialischen. Dafür zeigt sie als Ärztin einen Startvorteil für ihr neues Amt.

Dezember 2013: Von der Leyen in Afghanistan
12 Bilder

Dezember 2013: Von der Leyen in Afghanistan

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Gerade hat der Besuch der Ministerin bei der deutschen Afghanistan-Kampftruppe "Northern Reaction Unit" begonnen, da passiert das tragische Unglück: Ein gepanzertes Fahrzeug fährt in unmittelbarer Nähe auf einen versteckten Sprengsatz. Drei deutsche Soldaten werden zum Teil schwer verletzt. Sofort sichern die schwer bewaffneten Kameraden das Umfeld, fordern den Kampfhubschrauber "Tiger" an, um möglichen Taliban in der Nähe aus der Luft Paroli bieten zu können.

Als klar ist, dass keine Feinde in unmittelbarer Nähe sind, werden zwei Verletzte per Hubschrauber in die Klinik geflogen, ein Dritter soll mit einem beweglichen Arzttrupp in einem gepanzerten "Boxer" zum deutschen Feldlazarett gefahren werden. Spontan entscheidet sich die Ministerin, die selbst Ärztin ist, mit einzusteigen, um sich unterwegs ebenfalls um den Verletzten kümmern zu können.

Dramatische Szenen in Masar-e-Sharif im Norden Afghanistan. Glücklicherweise ist es eine Übung unter Mitwirkung des hohen Gastes aus Deutschland. Aber dass Ursula von der Leyen nicht nur zum Lernen nach Afghanistan gekommen ist, wird spätestens deutlich, als sie am Morgen die Besatzung eines in Einsatzbereitschaft stehenden fliegenden Lazaretts vom Typ C-160 "Medivac" (für "medizinische Evakuierung") einzeln begrüßt und mit einigen Sanitätssoldatinnen sofort in ein kleines intensives Fachgespräch kommt.

Das sei doch sehr beachtlich, dass so viele Rettungsassistenten hier im Einsatz seien, obwohl es sich doch um ein erst relativ neues Berufsbild handele, bemerkt Frau Doktor von der Leyen. Ein anderer neuer Minister hätte wohl kaum gewusst, dass die jungen Damen zwar keine Ärztinnen aber deutlich besser für Notfälle ausgebildet sind als gewöhnliche Pflegekräfte. Aber die neue Ministerin ist eindeutig vom Fach.

Bundeswehr soll attraktiver werden

Von daher darf erwartet werden, dass sie den seit Jahren chronisch zu nennenden Mangel an Ärzten in der Truppe mit neuen Ideen angeht. "Attraktiver" müsse die Bundeswehr werden. Das hat sich die große Koalition vorgenommen. Und auch von der Leyen sagt es wiederholt. Für sie gilt das ganz offensichtlich besonders für den Sanitätsdienst, der Hunderte Arztstellen nicht besetzen kann. Als Journalisten beim Ministerin-Rundgang durch das hochmoderne Feldlazarett eine Schilderung durch Kommandeur Dr. Jörg Ahrens nicht verstehen und nachfragen, antwortet die Ministerin für ihn und erläutert die nötigen chirurgischen Notfalleingriffe. Die Frau kennt sich aus. "Ihnen ein Krankenhaus vorstellen zu wollen, heißt Eulen nach Athen zu tragen", sagt Ahrens.

Ihre Eindrücke von ihrem ersten Truppenbesuch bringt von der Leyen auf die Formel, sie sei "tief beeindruckt" und habe "hohen Respekt" vor der Arbeit. In einer Ansprache auf dem Weihnachtsmarkt vor Hunderten deutscher Soldaten sagt die CDU-Politikerin, was für sie noch "gewöhnungsbedürftig" sei: "Ich bin jetzt die IBuk." Es ist eine Mischung aus Hochachtung vor dem Amt und Stolz, dass die Kanzlerin ihr zutraut, diese Herausforderung zu meistern, denn die Abkürzung steht für "Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt".

Das bedeutet: Sie sagt, wo es für 185.000 Soldatinnen langgeht. Sie hält für sie den Kopf hin oder wehrt Einsatzbegehrlichkeiten anderer Ministerien oder Nationen ab. "Sie können mir vertrauen, dass ich vor Ihnen stehe", verspricht sie. In zahlreichen Gesprächen wird klar, dass von der Leyen auf dem besten Weg ist, zur Mutter der Kompanie zu werden. Denn sie endet mit einer ebenfalls gewöhnungsbedürftigen Formulierung: "Seien Sie behütet!"

Abgrenzung von männlichen Vorgängern

Sie selbst hütet sich vor allem vor Bildern, die für männliche Vorgänger im Amt typisch waren. Nein, einen Helm zieht sie nicht auf, auch nicht bei der Fahrt mit dem gepanzerten "Boxer"-Bergepanzer. Das blonde Haar bleibt zivil und frei. Und auch nach der intensiven Einweisung in den Transporthubschrauber CH-53 warten die Fotografen vergeblich auf die packende optische Kombination aus schussbereitem Maschinengewehr und der neuen Ministerin dahinter: Schnell eilt sie seitlich davon. Vor jedem Fluggerät des Einsatzgeschwaders bleibt sie minutenlang stehen, spricht mit jedem Besatzungsmitglied. Vorsichtshalber ist die Bedienmannschaft der "Heron"-Aufklärungsdrohne aber bereits fernab ihres Einsatzgerätes platziert. Zügig und in gebührendem Abstand passiert sie die mediale "Symbolstelle", und so wird es vorerst auch keine plakativen Bilder der neuen Ministerin zum Dauer-Streitthema "Drohnen" geben.

Warum keine Waffen, warum keine Drohnen, warum nicht einmal ein näherer Blick auf die mit viel Mühe für sie aufgebaute Übersicht über die Bewaffnung vom G-36-Gewehr bis zum leistungsfähigen 40-Millimeter-Granatwerfer? Das Entscheidende bei diesem Besuch sei die Truppe. Für sie stehe "der Mensch im Mittelpunkt", erläutert von der Leyen. Auch für ihre künftigen Investitionsentscheidungen gelte, dass es zwar immer auch um effektive und kostengünstige Systeme gehen müsse. "Das Wichtigste ist der Menschen und sind nicht die Materialkosten", stellt von der Leyen fest. Die Soldaten bräuchten den größtmöglichen Schutz.

Was nimmt sie mit von diesem Zwei-Tage-Trip zum Hindukusch? Spontan fallen ihr die Gespräche mit den Soldaten ein, die von ihrem Alltag im gemeinsamen Einsatz mit afghanischen Sicherheitskräften und der Stimmung in der Bevölkerung berichten. Schließlich muss sie als Nächstes nicht nur den Abzug von knapp 3000 Soldaten organisieren, sondern auch entscheiden, wie es danach weiter geht: Ob 600 bis 800 Soldaten auch nach 2014 in Afghanistan bleiben, um dort weiter Ortskräfte zu trainieren und zu unterstützen und wie diese ausgerüstet und bewaffnet sein sollen. Für sie geht es darum, dass eine "lange Arbeit" für Frieden, Stabilität und Demokratie in Afghanistan auch "gut abgeschlossen" werden könne.

(may-)
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