Gefahren im Himmel über Europa Unsichtbare russische Bomber gefährden Flugverkehr

Uedem · Die Kampfflugzeuge schalten über der Nord- und Ostsee ihre Transponder aus und sind für die zivile Flugsicherung unsichtbar - ein Besuch im Luftverteidigungsgefechtsstand der Nato.

Russische Bomber: Zwischenfälle über Nord- und Ostsee
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Die zwei riesigen Atombomber mit dem roten Stern auf dem metallisch glänzenden Rumpf haben nördlich von Norwegen noch einmal in der Luft aufgetankt. Mit schrill heulenden Triebwerken und mächtige Wirbelschleppen erzeugend fliegen die Tupolews nun in rund sieben Kilometer Höhe über den Atlantik in Richtung englische Küste. Dann steuern sie auf den Ärmelkanal zu.

Vom Paulsberg in Uedem am Niederrhein, rund 400 Kilometer Luftlinie entfernt, werden die russischen Maschinen aufmerksam beobachtet: Durch 100 über Nordwest- und Mitteleuropa verteilte Radaranlagen und Awacs-Frühwarnflugzeuge sehen die Soldaten des CAOC, des Luftverteidigungsgefechtsstands der Nato in Uedem, jede Bewegung am Himmel von Island bis zu den Alpen.

Soldaten beunruhigt.

Der Flug der Maschinen mit dem Nato-Code "Bear" (auf Deutsch "Bär", wobei das B für Bomber steht) beunruhigt die Soldaten: "Das ist jedes Mal eine Gänsehaut-Angelegenheit", sagt Oberstleutnant Bernhard May, Einsatzstabsoffizier in Uedem. Der Grund: Über dem Ärmelkanal tummeln sich startende und landende Passagierjets von etlichen Großflughäfen in England und Frankreich, unter anderem London-Heathrow und Paris.

Rüstungsflops - von peinlich bis tödlich
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Foto: Bundeswehr

Die Sorge vor einer Unterschreitung von international anerkannten Sicherheitsabständen in diesen stark frequentierten Sektoren ist groß. Denn die russischen Bomber sind für die zivile Flugsicherung unsichtbar.

Beinahe kolliderten Maschinen südlich von Malmö

Der zivile Luftverkehr wird ausschließlich über das sogenannte Sekundär-Radar gesteuert, die elektronischen Signale, die die Jets selbst aktiv ausstrahlen. Nicht alle russischen Kampfflugzeuge sind mit diesen Transpondern ausgestattet, manchmal werden vorhandene Transponder auch ausgeschaltet und sind damit für die Fluglotsen nicht mehr zu erfassen.

Ein Beinahezusammenstoß eines Iljuschin-Aufklärers mit einem Airbus der "Skandinavian Airlines" mit 132 Passagieren südlich von Malmö hatte im Mai 2014 für Aufregung gesorgt. Die Flugzeuge sollen sich bis auf 90 Meter nahe gekommen sein, berichteten schwedische Zeitungen.

Solche Begegnungen häufen sich

"Das ist ein hohes Flugsicherheitsrisiko. Die Russen fliegen auch in die Wolken und sind damit selbst für das Auge verschwunden", berichtet Oberst Thomas "Tito" Leibinger, ein ehemaliger "Tornado"-Pilot, der jetzt die Einsatzplanung für das CAOC verantwortet. Im Fall der beiden Bomber hat die Nato schnell reagiert: Zwei britische "Eurofighter" begleiten die "Bären" in rund 300 Meter Abstand. Und zwei französische Abfangjäger sind gerade gestartet, um ihre Kameraden von der Royal Air Force zu unterstützen. "Unsere Transponder sind eingeschaltet. Damit erkennt die Flugsicherung, dass da jemand unterwegs ist und kann die zivilen Flugzeuge warnen und umleiten", sagt Leibinger.

Begegnungen dieser Art über der Nord- und Ostsee, wie sie einst im Kalten Krieg üblich waren, häufen sich seit Beginn des Ukraine-Konflikts - Moskau zeigt Muskeln. Von Uedem aus wird das "Nato Air Policing", die Sicherung des Nato-Luftraums, gesteuert. 28 Abfangjäger befinden sich gerade in Alarmbereitschaft; binnen 15 Minuten können sie in der Luft sein. Mehr als 300 Alarmstarts, sogenannte "Alpha Scrambles", überwiegend über dem Baltikum und am Nordkap, befahl das CAOC im vergangenen Jahr; in den meisten Fällen waren es russische Militärflugzeuge, die den Hoheitsgebieten der Nato-Staaten nahe kamen.

Die Staaten im Baltikum haben keine Abfangjäger

Estland, Lettland und Litauen, die eine russische Aggression fürchten, haben selbst keine Jäger, so dass Bündnispartner den Schutz des Luftraums übernehmen; ab September ist wieder Deutschland an der Reihe. Island, das über gar kein Militär verfügt, wird ebenso im Rotationsverfahren derzeit von amerikanischen F-15-Jets geschützt.

Knapp 70 Soldaten aus 18 Ländern sind in Uedem mit dem "Air Policing" befasst. CAOC ist die Abkürzung für Combined Air Operations Centre, übersetzt etwa: multinational besetzter Gefechtsstand zur Führung von Luftstreitkräften. Die Zentrale in einem leicht abgedunkelten Raum in einem Backsteingebäude wirkt unscheinbar und ist einem Großraumbüro ähnlich: Aktenregale, Telefone, Bildschirme auf den Tischen und an den Wänden, gedämpftes Stimmengemurmel.

Das aktuelle Luftlagebild wimmelt von weißen Kreisen

"Magic airborne", ruft jemand - "Magic" steht für eines der Frühwarnflugzeuge aus Geilenkirchen mit dem riesigen Radarteller auf dem Rumpf. Es ist demnach gerade gestartet. Das aktuelle Luftlagebild wimmelt von weißen Kreisen, die für Zivilflugzeuge stehen. Bis zu 10 000 sind es im Bereich des CAOC Uedem täglich, gerade bewegen sich rund 1000 Symbole scheinbar im Zeitlupentempo vorwärts. Gelb markiert sind die Luftfahrzeuge, die für das CAOC von Interesse sind: Militärflugzeuge und Frachter, die Gefahrgüter transportieren oder deren Zustand noch durch nationale Führungsgefechtsstände, sogenannte Control and Reporting Center, geprüft wird. Die eigenen Abfangjäger sind grün markiert.

Über die Nordsee fliegt gerade ein US-Tanker KC 135 in die Niederlande ein, vor Bornholm kreuzt ein dänisches Marineflugzeug, ein schwedischer Aufklärer patrouilliert über der Ostsee - keine Anlässe, für das CAOC aktiv zu werden.

In Vierecken sind Notfallkennnummern zu sehen

11.10 Uhr: Über der Slowakei und Italien blinken plötzlich rote Vierecke auf: zwei Luftnotfälle. Es sind "Commloss" (unterbrochene Kommunikation), also zivile Jets, deren Funk ausgefallen ist. Das, so berichtet May, kommt relativ häufig vor. "Es liegt auch an der Luftraumstruktur in Europa: Jedes Mal, wenn ein neuer Sektor angeflogen wird, müssen die Piloten die Frequenz wechseln."

Der Bereich jenseits der Alpen wird vom Partner-CAOC im spanischen Torrejon bei Madrid überwacht. Der Gefechtsstand in Uedem wird aber informell einbezogen, um zu übernehmen, falls die Flugzeuge in seinen Bereich wechseln.

Die Vierecke mit den Notfallkennnummern verschwinden nach wenigen Minuten vom Bildschirm, offenbar war es nichts Ernstes. Meldet sich aber ein Flugzeug über längere Zeit nicht mehr, schickt die Leitstelle in Uedem Abfangjäger. "In einem krassen Fall haben wir auch niemanden mehr im Cockpit gesehen. Die Piloten hatten auf Autopilot geschaltet und sich schlafen gelegt", berichtet Leibinger. Das habe der Besatzung die Lizenz gekostet.

Manchmal wird es ernst

Doch nicht immer sind die Alarmierungen harmlos: Die zivile Flugsicherung hatte das CAOC im Herbst 2007 um Unterstützung gebeten, als der Funkkontakt zu einer estnischen Boeing 737 auf dem Weg von London nach Kopenhagen abgebrochen war. Der Jet mit 135 Passagieren an Bord flog Schlangenlinien über der Nordseeküste und war schließlich vom Radarschirm verschwunden. Ein militärisches Radar entdeckte die verirrte Maschine vor Helgoland. Alle Systeme waren ausgefallen und sie drohte abzustürzen. Zwei deutsche Abfangjäger holten die Boeing im Überschallflug ein und führten sie zum Flughafen Hamburg, wo sie sicher aufsetzen konnte.

2014 wurde das CAOC alarmiert, als ein polnischer Passagierjet beim Anflug auf Warschau Fahrwerksprobleme hatte. Die Abfangjäger konnten die Piloten beruhigen: "Das Fahrwerk ist draußen, eine normale Landung also möglich."

"Air Policing ist Friedensbetrieb", betont Oberst Leibinger. "Natürlich helfen wir auch in zivilen Notlagen." Das schien auch bei einer russischen Militärmaschine der Fall, deren Pilot über der Ostsee einen Zettel ans Cockpitfenster hielt. Die Nato-Piloten flogen nah heran, um die Schrift zu entziffern, was prompt zu einer Beschwerde Moskaus führte: Die Abfangjäger hätten den russischen Jet bedrängt und in Gefahr gebracht.

Luftraumverletzungen die Ausnahme

Das russische Militär bewege sich nahezu immer im erlaubten Rahmen, betonen die CAOC-Offiziere; Luftraumverletzungen seien die Ausnahme. Jedoch überprüfen seit Beginn der Ukraine-Krise die Abfangjäger vermehrt russische Transportflugzeuge über der Ostsee. Manchmal entdecken sie dabei ein Kampflugzeug, das, im Radarschatten des Transporters fliegend, unbemerkt bleiben will.

Die Bomber der Typen "Bear" oder Tu-22 M "Backfire" können Atomwaffen mit der vielfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe mitführen. Die "Bear" tragen sie im Rumpf. Oberstleutnant May: "Was da im jeweiligen Fall mitgeführt wird, wissen wir nicht. Aber sie üben die Einsatzverfahren."

(RP)
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