Union und SPD sondieren erfolgreich Die große Koalition verursacht große Kosten

Berlin · Die Verhandler von Union und SPD haben sich in ihrer 24-stündigen Sitzung auf Ausgaben in Milliardenhöhe geeinigt. Von einer Groko sollen vor allem Rentner, Arbeitnehmer mit Durchschnittseinkommen und Familien profitieren.

Höheres Kindergeld, Begrenzung des Flüchtlingszuzugs auf maximal 220.000 pro Jahr, Abbau des steuerlichen Solidaritätszuschlags für kleinere und mittlere Einkommen, eine Rente für Geringverdiener - Union und SPD haben sich in 24-stündigen Verhandlungen in der Nacht zu Freitag auf die Grundlagen eines gemeinsamen Regierungsprogramms geeinigt. Darunter sind etliche teure Projekte wie beispielsweise der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Grundschüler, mehr Hilfen für den ländlichen Raum und Investitionen in den Wohnungsbau.

Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war es ihre wohl längste Sitzung, selbst die Euro-Verhandlungen in Griechenland und die Ukraine-Friedensgespräche gingen nicht über 17 Stunden hinaus. Die Unterhändler von Union und SPD einigten sich auf ein 28-seitiges Papier, das für die Jahre 2018 bis 2021 Ausgaben in Höhe von knapp 1,4 Billionen Euro vorsieht. Derzeit sind die Staatskassen gut gefüllt: Der Bund hat bis 2021 insgesamt 45 Milliarden Euro für Mehrausgaben zur Verfügung. Das vergangene Jahr konnte mit einem Überschuss von 5,3 Milliarden Euro abgeschlossen werden.

"Wir müssen schneller werden"

Die Sondierungen waren nach den Verlusten bei der Bundestagswahl von der Erkenntnis geprägt, dass es kein "Weiter so" geben dürfe. So mussten die Spitzenpolitiker im Wahlkampf feststellen, dass die Themen Pflege, schlechte Infrastruktur auf dem Land, innere Sicherheit, Flüchtlingszuzug und Wohnungsnot den Bürgern stärker auf den Nägeln brennen als von der Politik angenommen.

Ergebnis der Sondierungsgespräche - Reaktionen von Merkel, Schulz, Linke
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Reaktionen auf das Sonderungsergebnis von Union und SPD

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Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Auf diese Defizite geben die Sondierer in ihrem Papier nun Antwort mit hohen Ausgabeplänen. Polizei und Gerichte sollen besser mit Personal ausgestattet werden. 8000 Pflegekräfte sollen eingestellt werden. Zwölf Milliarden Euro wollen Union und SPD in den Bereich Landwirtschaft, Verkehr und Kommunen investieren, weitere zwölf Milliarden sind für Familien, Kinder und Soziales vorgesehen. "An vielen Stellen in der politischen Entwicklung müssen wir schneller werden", mahnte Kanzlerin Angela Merkel und nannte die Digitalisierung.

Erleichterung in der Union

SPD-Chef Martin Schulz, der sich gegen eine große Koalition gestemmt hatte, lobte nun den Geist der Gespräche. Dem SPD-Chef steht ein schwieriger Gang bevor. Er muss sich kommende Woche bei einem Parteitag von der Basis grünes Licht für die offizielle Aufnahme von Koalitionsverhandlungen holen. Die SPD-Jugendorganisation Jusos und der linke Parteiflügel rebellieren gegen die geplante Neuauflage der ungeliebten Groko. Als ein gutes Argument, die SPD-Basis zur Zustimmung zu bewegen, gelten die Pläne für den Abbau des Solidaritätszuschlags, von dem nur die breite Masse der unteren und mittleren Einkommensbezieher profitieren soll. Besserverdienende mit Jahreseinkünften von voraussichtlich mehr als rund 60.000 Euro (Alleinstehende) sollen den Soli weiter voll bezahlen müssen.

In der Union herrscht hingegen überwiegend Erleichterung über die Einigung. Merkel kündigte in der Fraktionssitzung gestern Nachmittag an, nach einem positiven Votum des SPD-Parteitags bei den Koalitionsverhandlungen aufs Tempo zu drücken. "Bis Fasching" nannte sie als Zielmarke für einen fertigen Koalitionsvertrag. Danach will sie einen CDU-Parteitag über das Ergebnis abstimmen lassen.

An den Plänen von Union und SPD hagelte es insgesamt Kritik. Hart gingen die Arbeitgeber, die künftig höhere Krankenkassenbeiträge leisten sollen, mit den Sondierern ins Gericht. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sprach von einer "Schlagseite zur Umverteilung" und beklagte, dass zu wenig für Deutschlands "Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit" getan werde. Der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Eric Schweitzer, warf den möglichen Koalitionären vor, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. "Bei der deutschen Wirtschaft kommt die Botschaft an: Eine Entlastung fällt für die allermeisten Unternehmen erst mal komplett aus." Als für die Zielgruppe nicht erreichbar kritisierte der Sozialverband VdK die Idee einer Grundrente für Geringverdiener. An den Plänen zur Flüchtlingspolitik kam Ablehnung von "Pro Asyl" - die Organisation nannte die Vorhaben "menschlich bedrückend". Die Grünen kritisierten die aus ihrer Sicht zu zaghaften Pläne bei der Reduktion des Treibhausgases Kohlendioxid.

Was macht die NRW-SPD?

Entscheidend für das Zustandekommen der großen Koalition ist die Zustimmung der NRW-SPD. Doch dort zeichnet sich bisher keine klare Linie ab. Während Landespartei-Chef Michael Groschek eine Annahme des Kompromisspapiers empfiehlt, konnte sich SPD-Fraktionschef Norbert Römer dazu noch nicht durchringen: "Ich kann nur allen raten, das Papier genau zu lesen und zu analysieren. Das werden wir in Ruhe tun und ab heute hier in unseren nordrhein-westfälischen Gremien breit diskutieren."

(RP)
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