Neue Debatte in der CDU Der Streit um die Migration ist zurück

Berlin · Jens Spahn hat in der CDU einen Streit um den UN-Migrationspakt befeuert. Die AfD klatscht Beifall. Merkel warnt vor einer rechten Agenda und Lügen. Dabei war die Debatte eigentlich schon befriedet.

Denken bloß bis zum Tellerrand ist Manfred Weber zuwider. Auf das plötzliche Gezerre in der CDU-Schwesterpartei um den seit zwei Jahren von mehr als 100 Staaten ausgehandelten UN-Migrationspakt würde er bei seinem Auftritt in Berlin am Montag am liebsten gar nicht eingehen. Als leidenschaftlicher Europäer denkt der CSU-Mann global, nicht national, langfristig, nicht reflexhaft.

Er hätte Chancen gehabt, Nachfolger von Parteichef Horst Seehofer zu werden, der sein Amt im Januar abgeben wird. Es hat dem 46-Jährigen geschmeichelt, dass Parteikollegen ihn ermuntert hatten, zu kandidieren. „Ich bin Europapolitiker mit Leib und Seele. Das war in meiner Partei nicht immer stressfrei“, lässt er seine Zuhörer in der Bundespressekonferenz wissen. Aber Weber überlässt die Bewerbung für das höchste Parteiamt dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, weil er sich selbst für eine andere Kandidatur entschieden hat: Für die Spitzenkandidatur der Europäischen Volkspartei (EVP) bei der Europawahl 2019. Er habe Prioritäten gesetzt, sagt der Bayer. „Ich möchte Kommissionspräsident werden.“

Zum UN-Migrationspakt sagt er dann doch etwas: „Der Pakt ist sicher nicht perfekt, aber er ist sinnvoll.“ Denn es sei ein „Pakt für Multilateralismus“. Dieses politische Signal sei entscheidend. Der Subtext: Dieses politische Signal sei in Zeiten sich abschottender Staaten und Parteien, angefangen beim US-Präsidenten Donald Trump bis hin zur AfD, bitter nötig. Erstmals, so betont es Weber, werde ein Weg aufgezeigt, wie die Migrationsprobleme global gelöst werden könnten. Erstmals werde die Tür geöffnet, weltweit einen Grundkonsens zu finden.

Das ist der Unterschied: Für die Befürworter des 32-seitigen Papiers „Globaler Pakt für eine sichere, geordnete, reguläre Migration“ wird endlich das Tor für eine internationale Verständigung geöffnet. Aus Sicht der Gegner ist es das Tor, das sich pauschal für Migranten öffnet. In Deutschland führen sie die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor drei Jahren an, als fast eine Million Flüchtlinge ins Land kamen, die meisten unter ihnen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge.

Gesundheitsminister Jens Spahn, der sich für den CDU-Parteivorsitz bewirbt, hat vorgeschlagen, erstmal auf dem Parteitag Anfang Dezember über den Migrationspakt zu diskutieren. Die deutsche Unterstützung auf dem darauffolgenden UN-Gipfel in Marokko käme in seiner Planung dann eventuell verspätet. Dafür hat Spahn allerdings wenig Rückenwind bekommen. Zwar springt der Chef der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann, Spahn bei, (die AfD beklatscht die Forderung ohnehin) aber die Abwehr ist stark.

„Die Unterzeichnung des Migrationspaktes notfalls zu verschieben, wäre eine doppelte Führungsschwäche, die sich Deutschland nicht erlauben darf“, sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, der „Bild“-Zeitung. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Stephan Harbarth sagt unserer Redaktion: „Der Pakt ist in unserem nationalen Interesse, weil er langfristig den Migrationsdruck auf Deutschland senkt und nicht erhöht, indem er die Staatengemeinschaft zur Wahrung bestimmter Standards im Umgang mit Migranten anhält, zu denen wir uns durch unsere Verfassung längst bekannt haben.“ Deutschland sei gar nicht der Hauptadressat des Paktes. „Wenn wir uns in der Zusammenarbeit mit anderen Staaten auf diesen Pakt berufen können, ist das ein Vor- und kein Nachteil. Wir werden die Migrationsfrage nicht im nationalen Alleingang, sondern nur mit einem internationalen Ansatz bewältigen können.“

Der Pakt ist, wie bei solchen UN-Abkommen üblich, rechtlich nicht bindend. Er soll weltweit Standards im Umgang mit Arbeitsmigranten und Flüchtlingen festschreiben. Die EU-Staaten Österreich, Ungarn, Polen und Tschechien sind von dem zunächst gemeinsam ausgehandelten Pakt aber wieder abgerückt. In Unionsfraktion und Bundesregierung sind viele über Spahns Vorstoß überrascht. Jüngst hatte es eine Debatte im Bundestag über den Pakt gegeben. Die AfD war mit ihrer scharfen Kritik weitgehend isoliert. Abgeordnete von Union und SPD wie auch anderer Oppositionsparteien warfen der AfD vor, Ängste vor Einwanderung zu schüren und eine internationale Ordnung für geregelte Migration behindern zu wollen.

Das Auswärtige Amt verweist darauf, dass der Bundestag in den zweijährigen Verhandlungen intensiv in die Beratungen einbezogen gewesen sei. Merkel hat mehrfach gewarnt, dass man sich nicht die Agenda rechter, migrationsfeindlicher Kräfte aufdrücken lassen dürfe, die über den Migrationspakt Lügen verbreiteten.

Auch in der Unionsfraktion war stundenlang debattiert und auch eigentlich ein Konsens erzielt worden. Zumindest war das die vorherrschende Meinung bis zu Spahns Vorstoß.

(kd)
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