Putins Griff nach der Ukraine Die Welt ist jetzt eine andere

Meinung | Düsseldorf · Putins Rede und der Einmarschbefehl für die Ukraine markieren einen Wendepunkt. Russlands Präsident nimmt bewusst Abschied von Europa. Das bringt besonders Deutschland unter Druck. Was jetzt wichtig wird.

Männer mit Fahnen in der sogenannten Volksrepublik Donezk.

Männer mit Fahnen in der sogenannten Volksrepublik Donezk.

Foto: dpa/Alexander Reka

Als der Kalte Krieg zu Ende ging, war durchaus ernsthaft vom Ende der Geschichte die Rede. Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama hatte damals die These aufgestellt, von nun an würden sich Marktwirtschaft und liberale Demokratie überall durchsetzen. Im Rückblick scheint der Wunsch Vater des Gedankens gewesen zu sein. Die Planwirtschaft früherer Prägung mag sich in der Sowjetunion und in China überholt haben, aber die Demokratie kommt deswegen noch längst nicht voran. Und die Geschichte beginnt wieder – oder geht weiter, wie sich in der Ukraine zeigt.

Denn seit der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin vom Montag und dem Einmarschbefehl an die russischen Truppen in angeblich eigenständige Provinzen ist die Welt eine andere. Wir erleben einen markanten Wendepunkt, wie es der Fall der Mauer 1989 in Berlin oder auch das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand 1914 in Sarajevo war. Und genau wie damals bei diesen beiden historischen Ereignissen ist zunächst die ganze Tragweite noch nicht zu erkennen. Die Zeitenwende lässt sich spüren, aber noch nicht ganz deuten.

Unbestreitbar setzt sich der russische Präsident sehenden Auges über das Völkerrecht und bestehende Vereinbarungen hinweg. Er weiß, was auf sein Land zukommt, denn der Westen hat die Folgen klar umrissen. Wladimir Putin nimmt also bewusst von Europa Abschied – was nur heißen kann: Russland orientiert sich nach Osten. Dahinter steckt nicht der Ego-Trip eines früheren KGB-Agenten, sondern strategisches Kalkül.

Vor gut 20 Jahren beschwor er bei einer Rede im Bundestag noch die Nähe zu Europa: für ihn damals ein „Mittelpunkt der Weltpolitik“, der mit dem Potenzial Russlands noch stärker werden könne. Doch das ist vorbei. Nach der Türkei wendet sich auch Russland von Europa ab. Wer da allerdings verschmähte Liebe als Motiv sieht, dürfte es sich zu leicht machen. Die Außenpolitik Putins hat nichts Impulsives.

Erste Flüchtlinge aus dem Donbass erreichen Russland
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Foto: AP/Roman Yarovitcyn

Zu seinem Kalkül gehört, dass er nicht mit einer bedrohlichen militärischen Antwort der Nato oder der USA rechnen muss. In einen Krieg im Osten der Ukraine einzutreten, wäre wohl kaum einem amerikanischen Wähler zu vermitteln. Schon die Annexion der Krim 2014 konnte deswegen so geschehen.

Diese Lage bringt Europa, aber auch ganz besonders Deutschland unter Druck. Die Energieversorgung, ob mit oder ohne Nord Stream 2, beruht zu einem großen Teil auf russischem Gas. Für die Energiewende, die sich die Ampelkoalition vorgenommen hat, sollen sogar neue Gaskraftwerke errichtet werden, um den stabilen Übergang zu Wind und Sonne hinzukriegen. Wie soll diese Rechnung jetzt noch aufgehen?

Aber es geht um sehr viel mehr. Die Orientierung Russlands nach Osten, die bei den Olympischen Spielen in China schon in Szene gesetzt wurde, hat nicht nur wirtschaftliche Folgen. Wie viel geopolitisches Gewicht hat die Nato, haben Europa und Amerika denn noch in einer Welt, in der China und Russland eng zusammenrücken? Einst spottete ein amerikanischer Verteidigungsminister über das „alte Europa“, das sich nicht am Irakkrieg beteiligen wollte. Doch jetzt drohen die USA und Europa alt auszusehen. Russland und China – einer der weltgrößten Energieexporteure und der weltgrößte Absatzmarkt – zeigen, wie Marktwirtschaft ohne Demokratie funktioniert.

In Washington, Brüssel, Paris und Berlin muss es gelingen, einen überzeugenden Gegenentwurf zu entwickeln, der nicht nur moralisch überlegen ist, sondern sich auch rechnet. Nicht die – notwendigen – Sanktionen von heute sind dabei entscheidend, sondern ein Bild, wie die Weltordnung in zehn oder 20 Jahren aussehen soll. Die Demokratie hat nur eine Chance, wenn Freiheit sich buchstäblich lohnt. Sonst endet zwar nicht die Geschichte, aber doch ein schönes, eher sorgloses, vergleichsweise friedliches Kapitel.

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