Vormarsch auf Kiew Das ist in der Nacht in der Ukraine passiert

Kiew/Moskau · Nach einer gescheiterten Feuerpause meldet die belagerte ukrainische Hafenstadt Mariupol dramatische Zustände. Zudem rücken russische Truppen weiter auf Kiew und andere Städte vor. Ein Überblick zum Geschehen in der Nacht.

Krieg in der Ukraine: Russland belagert ukrainische Hafenstadt Mariupol - Fotos
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Russland belagert ukrainische Hafenstadt Mariupol

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Foto: AP/Evgeniy Maloletka

Kein Strom, keine Heizung, viele Tote: Nach einer gescheiterten Feuerpause meldet die von Russland belagerte ukrainische Hafenstadt Mariupol dramatische Zustände. Zudem rücken russische Truppen weiter auf die Hauptstadt Kiew und andere Städte vor, wie der ukrainische Generalstab am Sonntagmorgen erklärte. Präsident Wolodymyr Selenskyj rief die Ukrainer erneut zum Widerstand auf. Zugleich wächst der wirtschaftliche Druck auf Moskau: Mastercard und Visa kappen internationale Kreditkartenzahlungen mit Russland.

Das Kriegsgeschehen

Nach mehr als einer Woche Krieg hatten die beiden Seiten am Samstag eine mehrstündige Waffenruhe für die südukrainische Hafenstadt Mariupol und eine Kleinstadt der Umgebung vereinbart, um Zivilisten fliehen zu lassen. Doch wurde die Feuerpause gebrochen, die Evakuierung scheiterte. Mariupols Bürgermeister Wadym Boitschenko sprach danach im ukrainischen Fernsehen von einer „humanitären Blockade“ der Stadt durch russische Einheiten.

Seit fünf Tagen gebe es keinen Strom und keine Heizung sowie Probleme mit der Wasserversorgung, Tausende Menschen seien verletzt und viele tot, sagte der Bürgermeister. Er flehe um die Errichtung eines Korridors, um Ältere, Frauen und Kinder aus der Stadt zu bringen.

Der ukrainische Generalstab erklärte am Sonntagmorgen, der Hauptfokus der russischen Offensive sei weiter die Umzingelung der Städte Kiew, Charkiw im Osten und Mykolajiw im Süden. Russische Einheiten versuchten, in die südwestlichen Außenbezirke von Kiew einzudringen und näherten sich der Autobahn nach Boryspil, wo der internationale Flughafen Kiews liegt.

Nach Einschätzung der ukrainischen Armee plant Russland, den Damm des Wasserkraftwerks Kaniw rund 150 Kilometer südlich von Kiew am Fluss Dnipro einzunehmen. Die Ukraine hofft auf eine Vereinbarung mit Russland über einen baldigen humanitären Korridor aus Charkiw, wie der ukrainische Unterhändler David Arachamija auf Facebook schrieb.

Von russischer Seite wurden neue Angriffe auf die selbsterklärte und von prorussischen Kräften dominierte Volksrepublik Luhansk im Osten der Ukraine gemeldet. Die ukrainische Armee soll binnen 24 Stunden achtmal vier Siedlungen beschossen haben, berichtete die russische Agentur Tass. Mindestens zwei Zivilisten seien verletzt worden. 23 Wohnhäuser sowie eine Gas- und eine Hochspannungsleitung seien beschädigt. Die Angaben beider Seiten können nicht unabhängig überprüft werden.

Präsident Selenskyj forderte seine Landsleute in einer Videobotschaft auf, die russischen Truppen zu vertreiben. „Wir müssen nach draußen gehen! Wir müssen kämpfen! Wann immer sich eine Gelegenheit bietet.“ Die Menschen sollten wie in Cherson, Berdjansk oder Melitopol nach draußen gehen „und dieses Übel aus unseren Städten vertreiben“. Aus den genannten ukrainischen Städten war berichtet worden, dass sich unbewaffnete Menschen russischen Einheiten entgegengestellt hatten.

Fotos: Erste Flüchtlinge aus der Ukraine erreichen Deutschland
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Erste Flüchtlinge erreichen Deutschland

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Foto: dpa/Boris Roessler

Israel versucht zu vermitteln

Internationale Vermittlungsversuche scheinen in dem Krieg derzeit wenig zu fruchten. Israels Ministerpräsident Naftali Bennett war am Samstag zu Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nach Moskau gereist. Nach israelischen Angaben dauerte die Unterredung drei Stunden. Bennet telefonierte auch mit Selenskyj. Ergebnisse wurden nicht bekannt. Bennet kam anschließend zu einem eineinhalbstündigen Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz nach Berlin. Danach erklärte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit aber nur, das gemeinsame Ziel bleibe es, den Krieg in der Ukraine „so schnell wie irgend möglich“ zu beenden. „Daran werde man mit aller Kraft arbeiten.“ Auch US-Präsident Joe Biden telefonierte mit Selenskyj.

Wirtschaftlicher Druck auf Russland

Die USA, die EU und andere westliche Partner hatten seit Kriegsbeginn harte Sanktionen gegen Russland verhängt. Nun kam ein weiterer Schlag der Privatwirtschaft hinzu: Die beiden weltgrößten Kreditkartenanbieter, Visa und Mastercard, setzten die Geschäfte mit Russland aus. Visa erklärte, man werde alle Transaktionen in den kommenden Tagen einstellen. Danach würden in Russland ausgestellte Karten nicht mehr im Ausland funktionieren. Mastercard äußerte sich ähnlich. Beide Unternehmen hatten bereits vorher keine Transaktionen mehr für russische Banken abgewickelt, die von internationalen Sanktionen betroffen sind.

Zehntausende ukrainische Flüchtlinge in Deutschland

Vor dem Krieg fliehen weiter täglich Zehntausende Menschen über die ukrainischen Grenzen in die Europäische Union. Rund 830.000 gelangten allein nach Polen, Zehntausende nach Deutschland. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte die Aufnahme der Menschen unabhängig von der Nationalität zu. „Wir wollen Leben retten. Das hängt nicht vom Pass ab“, sagte Faeser der „Bild am Sonntag“. „Der allergrößte Teil der Geflüchteten sind Ukrainerinnen und Ukrainer. Menschen aus anderen Staaten, die in der Ukraine schon ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht hatten, bringen diesen Status mit.“ Sie nannte als Beispiel Inder, die in der Ukraine studiert haben. Die europäische Zusammenarbeit in der Versorgung der Flüchtlinge nannte Faeser „historisch“. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) forderte aber eine bessere Koordination innerhalb Deutschlands.

Was heute wichtig wird

Bundeskanzler Scholz empfängt mittags EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu einem Gespräch im Kanzleramt, bei dem es auch um den Ukraine-Krieg gehen soll. US-Außenminister Antony Blinken reist zu Beratungen mit dem Nato-Verbündeten Moldau. Weitere Verhandlungen der Ukraine mit Russland soll es erst am Montag geben.

(mba/juju/dpa)
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